18.07.2025

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Aserbaidschan: Von Polizei an Medien weitergegebene Filmaufnahmen

Die Veröffentlichung von Fotos durch die Polizei in den Medien stellt eine Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens dar. (Bayramov gegen Aserbaidschan)

EGMR v. 6.5.2025 - 45735/21
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist ein in Aserbaidschan tätiger prominenter Rechtsanwalt. Nach seinen Angaben habe er sich nach einer Feier, auf der er geringe Mengen Alkohol getrunken habe, von einem professionellem Fahrer in seinem eigenen Auto nachhause fahren lassen. Die letzten Meter in seine Einfahrt habe er selbst fahren wollen, als die Verkehrspolizei ihn angehalten habe. Er sei zur medizinischen Untersuchung in das Narkologische Zentrum des Gesundheitsministeriums gebracht worden, um seinen Rauschzustand festzustellen. Dort sei ein Bericht erstellt worden, der zu dem Schluss gekommen sei, dass er betrunken gewesen sei. Beamte der Verkehrspolizei hätten die ärztliche Untersuchung gefilmt und ihre Absicht betont, das Material an die Medien weiterzugeben. Die Regierung trägt vor, dass der Beschwerdeführer angehalten worden sei, weil er sein Auto ohne Sicherheitsgurt gefahren habe und dabei festgestellt worden sei, dass er alkoholisiert gewesen sei.

Im Folgenden wurde das Videomaterial auf verschiedenen Fernsehsendern und auf YouTube veröffentlicht. Es zeigte den Beschwerdeführer, wie er in einem Polizeiauto am Narkologischen Zentrum ankam, das Gebäude betrat und von einem Arzt untersucht wurde. Mehrere Websites veröffentlichten unter Berufung auf den Pressedienst des Innenministeriums Artikel mit Standbildern aus dem Videomaterial unter verschiedenen Überschriften, in denen die Trunkenheit des Beschwerdeführers betont wurde.

Das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde letztlich wegen Verjährung eingestellt. Die Zivilklage des Beschwerdeführers gegen die Verkehrspolizei wurde von den nationalen Gerichten abgewiesen, die feststellten, dass er nicht habe nachweisen können, dass es die Polizei war, die das Videomaterial an die Medien weitergegeben hatte.

Die Gründe:
Der EGMR berief sich eingangs auf seine Rechtsprechung, wonach die Aufzeichnung von Videos im Rahmen der Strafverfolgung oder die Veröffentlichung von Fotos durch die Polizei in den Medien eine Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens darstellt. Er bekräftigte, dass Art. 8 EMRK zwar im Wesentlichen den Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen öffentlicher Stellen in sein Privatleben schützen soll, aber nicht allein den Staat verpflichtet, solche Beeinträchtigungen zu unterlassen. Neben dieser primär negativen Verpflichtung könne sich aus der wirksamen Achtung des Privat- und Familienlebens eine positive Verpflichtung ergeben. Diese könne Maßnahmen erfordern, die darauf abzielen, die Achtung des Privat- und Familienlebens auch im Bereich der Beziehungen zwischen Einzelpersonen untereinander zu gewährleisten.

Der Beschwerdeführer habe während des gesamten innerstaatlichen Verfahrens durchweg geltend gemacht, dass die Beamten der Verkehrspolizei ihn gefilmt und das Videomaterial, das ihn als alkoholisierten Autofahrer darstellte, an die Medien weitergegeben hätten. Er habe darauf hingewiesen, dass viele der Fernsehsender und Websites die Verkehrspolizei oder das Innenministerium als Quelle der betreffenden Informationen angegeben hätten. Seine Klage sei von den innerstaatlichen Gerichten jedoch zurückgewiesen worden, weil er nicht nachgewiesen habe, dass die Polizei die fraglichen Informationen an die Medien weitergegeben habe und insbesondere kein individueller Beamter benannt worden sei. Auch sei ausschließlich auf die Argumentation der Verkehrspolizei eingegangen worden, die jegliches Fehlverhalten abgestritten habe. In Anbetracht dieser Erwägungen sei die Klage des Beschwerdeführers ohne hinreichende Begründung zurückgewiesen worden.

Für die Argumentation der Regierung, die Videoaufnahmen hätten auch von Passanten oder unabhängigen Journalisten aufgenommen worden sein können, gebe es keine Anhaltspunkte; auch sei dies von den innerstaatlichen Gerichten nicht festgestellt worden. Es sei auch nicht erklärt worden, wie Dritte während der ärztlichen Untersuchung hätten filmen können, da diese in einem Arztzimmer des Narkologischen Zentrums des Gesundheitsministeriums stattgefunden habe. Somit sei der beklagte Staat seinen positiven Verpflichtungen aus Art. 8 EMRK nicht nachgekommen.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)