Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Bulgarien: Morddrohungen, Gewaltaufrufe und Hassrede auf Facebook
EGMR v. 9.9.2025 - 24729/17
Der Sachverhalt:
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um drei Personen, die sich in Nichtregierungsorganisationen (NGO) für den Schutz der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Flüchtlingen, engagieren. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit und der Nominierung einer der Beschwerdeführerinnen als "Person des Jahres" durch eine Menschenrechts-NGO waren sie namentlich identifiziert auf Facebook wiederholt Gegenstand massiver Hassrede und von Gewaltaufrufen zu ihrem Nachteil bis hin zu Morddrohungen. Dies erfolgte teilweise durch direkte Nachrichten an die Beschwerdeführer, überwiegend jedoch durch Kommentare auf den öffentlich einsehbaren Pinnwänden dritter Facebook-Konten. Die Kommentatoren wurden unter Pseudonymen sowie vermeintlichen Klarnamen aktiv. Die Beiträge wurden nach Angaben der Beschwerdeführer mehrere dutzendmal geliked und teilweise innerhalb weniger Tage über 120 mal geteilt.
Ein auf Antrag der Beschwerdeführer eingeleitetes Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwalt wegen Nichtidentifizierung der Täter letztlich ein. Sie argumentierte daneben, dass die Gewalt- und Morddrohungen keine begründete Angst vor ihrer Umsetzung hätten hervorrufen können. Eine von den Beschwerdeführern gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingeleitete gerichtliche Überprüfung blieb unter Verweis auf den Beschwerdeweg zur übergeordneten Staatsanwaltschaft erfolglos. Die dort eingereichte Beschwerde hatte im Ergebnis ebenfalls keinen Erfolg.
Nach Angaben der Beschwerdeführer seien Belästigungen und Übergriffe auch nach den beanstandeten Ereignissen aufgetreten, einschließlich eines körperlichen Angriffs auf einen der Beschwerdeführer.
Die Gründe:
Der EGMR bejahte vor dem Hintergrund des Sachverhalts die Einschlägigkeit der Art. 8 und 14 (Diskriminierungsverbot) EMRK. Er erinnerte daran, dass eine effektive Abschreckung vor schwerwiegenden Handlungen, bei denen grundlegende Werte und wesentliche Aspekte des Privatlebens auf dem Spiel stehen, wirksame strafrechtliche Bestimmungen und deren Anwendung durch entsprechende Ermittlungen und Strafverfolgung erfordere. Das Vorliegen eines möglichen Zusammenhangs zwischen rassistischen Einstellungen und Gewalttaten zu untersuchen, gehöre zu den Pflichten der Behörden der Konventionsstaaten. Dies gelte insbesondere, wenn eine Person glaubhaft behauptet, dass sie rassistisch motivierten Belästigungen, einschließlich verbaler Angriffe und körperlicher Drohungen, ausgesetzt gewesen sei.
Mit Blick auf derartige Verfahren müssten die Opfer in dem Umfang, der zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen erforderlich ist, mit einbezogen werden. Die Möglichkeit, für den Fortgang des Verfahrens entscheidende Verfahrensentscheidungen anzufechten, erscheine notwendig und unerlässlich, um eine wirksame Beteiligung der Opfer zu gewährleisten.
Vorliegend hätten die Behörden überwiegend verfahrensrechtliche Entscheidungen über die Beschwerden der Beschwerdeführer erlassen, ohne dabei glaubwürdige Versuche zu unternehmen, Ermittlungen durchzuführen. Auch seien die Beschwerdeführer nicht wirksam einbezogen worden und der Umfang der Ermittlungen mit Blick auf die in Frage kommenden Straftatbestände verkürzt gewesen. Angesichts der wesentlichen Rolle des Internets als beispiellos mächtige Plattform für den Austausch von Ideen und Informationen, die ein Risiko für die Ausübung und Wahrnehmung der Menschenrechte darstellen, würden aber die Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten, zum Schutz der Grundrechte zu handeln, online ebenso gelten wie offline. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die eindeutigen und gewalttätigen Kommentare im konkreten Fall und vor dem Hintergrund verschärfter gesellschaftlicher Spannungen angesichts wiederholter öffentlicher Äußerungen von Hassrede und Intoleranz gegenüber bestimmten Personengruppen.
Letztlich beanstandete der EGMR auch das behördliche Unterlassen, Informationen zur möglichen Identifizierung der Kommentatoren, einschließlich personenbezogener Daten, bei Facebook anzufordern sowie forensische Untersuchungen auf den Endgeräten der im Rahmen der Ermittlungen identifizierten potentiell Verdächtigen vorzunehmen.
Im Ergebnis sei die Art und Weise, in der die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall die strafrechtlichen Mechanismen angewandt haben, so mangelhaft gewesen, dass sie eine Verletzung der Verpflichtungen des Staates aus der EMRK darstelle.
Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 iVm 14 EMRK.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um drei Personen, die sich in Nichtregierungsorganisationen (NGO) für den Schutz der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Flüchtlingen, engagieren. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit und der Nominierung einer der Beschwerdeführerinnen als "Person des Jahres" durch eine Menschenrechts-NGO waren sie namentlich identifiziert auf Facebook wiederholt Gegenstand massiver Hassrede und von Gewaltaufrufen zu ihrem Nachteil bis hin zu Morddrohungen. Dies erfolgte teilweise durch direkte Nachrichten an die Beschwerdeführer, überwiegend jedoch durch Kommentare auf den öffentlich einsehbaren Pinnwänden dritter Facebook-Konten. Die Kommentatoren wurden unter Pseudonymen sowie vermeintlichen Klarnamen aktiv. Die Beiträge wurden nach Angaben der Beschwerdeführer mehrere dutzendmal geliked und teilweise innerhalb weniger Tage über 120 mal geteilt.
Ein auf Antrag der Beschwerdeführer eingeleitetes Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwalt wegen Nichtidentifizierung der Täter letztlich ein. Sie argumentierte daneben, dass die Gewalt- und Morddrohungen keine begründete Angst vor ihrer Umsetzung hätten hervorrufen können. Eine von den Beschwerdeführern gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingeleitete gerichtliche Überprüfung blieb unter Verweis auf den Beschwerdeweg zur übergeordneten Staatsanwaltschaft erfolglos. Die dort eingereichte Beschwerde hatte im Ergebnis ebenfalls keinen Erfolg.
Nach Angaben der Beschwerdeführer seien Belästigungen und Übergriffe auch nach den beanstandeten Ereignissen aufgetreten, einschließlich eines körperlichen Angriffs auf einen der Beschwerdeführer.
Die Gründe:
Der EGMR bejahte vor dem Hintergrund des Sachverhalts die Einschlägigkeit der Art. 8 und 14 (Diskriminierungsverbot) EMRK. Er erinnerte daran, dass eine effektive Abschreckung vor schwerwiegenden Handlungen, bei denen grundlegende Werte und wesentliche Aspekte des Privatlebens auf dem Spiel stehen, wirksame strafrechtliche Bestimmungen und deren Anwendung durch entsprechende Ermittlungen und Strafverfolgung erfordere. Das Vorliegen eines möglichen Zusammenhangs zwischen rassistischen Einstellungen und Gewalttaten zu untersuchen, gehöre zu den Pflichten der Behörden der Konventionsstaaten. Dies gelte insbesondere, wenn eine Person glaubhaft behauptet, dass sie rassistisch motivierten Belästigungen, einschließlich verbaler Angriffe und körperlicher Drohungen, ausgesetzt gewesen sei.
Mit Blick auf derartige Verfahren müssten die Opfer in dem Umfang, der zur Wahrung ihrer berechtigten Interessen erforderlich ist, mit einbezogen werden. Die Möglichkeit, für den Fortgang des Verfahrens entscheidende Verfahrensentscheidungen anzufechten, erscheine notwendig und unerlässlich, um eine wirksame Beteiligung der Opfer zu gewährleisten.
Vorliegend hätten die Behörden überwiegend verfahrensrechtliche Entscheidungen über die Beschwerden der Beschwerdeführer erlassen, ohne dabei glaubwürdige Versuche zu unternehmen, Ermittlungen durchzuführen. Auch seien die Beschwerdeführer nicht wirksam einbezogen worden und der Umfang der Ermittlungen mit Blick auf die in Frage kommenden Straftatbestände verkürzt gewesen. Angesichts der wesentlichen Rolle des Internets als beispiellos mächtige Plattform für den Austausch von Ideen und Informationen, die ein Risiko für die Ausübung und Wahrnehmung der Menschenrechte darstellen, würden aber die Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten, zum Schutz der Grundrechte zu handeln, online ebenso gelten wie offline. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die eindeutigen und gewalttätigen Kommentare im konkreten Fall und vor dem Hintergrund verschärfter gesellschaftlicher Spannungen angesichts wiederholter öffentlicher Äußerungen von Hassrede und Intoleranz gegenüber bestimmten Personengruppen.
Letztlich beanstandete der EGMR auch das behördliche Unterlassen, Informationen zur möglichen Identifizierung der Kommentatoren, einschließlich personenbezogener Daten, bei Facebook anzufordern sowie forensische Untersuchungen auf den Endgeräten der im Rahmen der Ermittlungen identifizierten potentiell Verdächtigen vorzunehmen.
Im Ergebnis sei die Art und Weise, in der die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall die strafrechtlichen Mechanismen angewandt haben, so mangelhaft gewesen, dass sie eine Verletzung der Verpflichtungen des Staates aus der EMRK darstelle.
Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 iVm 14 EMRK.