15.10.2025

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Frankreich: Veröffentlichung von Transkripten von Telefongesprächen in Presse

Eine Privatperson kann aufgrund ihrer Verbindungen zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in die Öffentlichkeit treten und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen. (Charki gegen Frankreich)

EGMR v. 11.9.2025 - 28473/22
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist die Tochter von Claude Guéant, einem französischen Politiker, der zwischen 2007 und 2012 unter der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy zunächst Generalsekretär des Präsidenten und dann Innenminister war. Im Mai 2013 wurden die Telefone Guéants im Rahmen der Ermittlungen wegen der mutmaßlichen Finanzierung der Präsidentschaftskampagne Sarkozys im Jahr 2007 durch das damalige libysche Regime und anderer möglicher Straftaten auf Ersuchen des Untersuchungsrichters abgehört. Guéant wurde wegen der Sachverhalte später, zuletzt im September 2025, in mehreren Verfahren verurteilt.

Im April 2015 erschien auf der Website der Zeitung Le Monde ein Artikel, der die Ermittlungen gegen Guéant und dessen Telefonüberwachung zum Gegenstand hatte und der gekürzt ebenfalls an prominenter Stelle in ihrer Print-Ausgabe veröffentlicht wurde. In dem Artikel wurden unter anderem mehrere Telefonate zwischen der Beschwerdeführerin und Guéant wörtlich wiedergegeben.

Daraufhin verklagte die Beschwerdeführerin den Verlag von Le Monde und die Autoren des Artikels mit dem Ziel, die Verletzung ihrer Privatsphäre anzuerkennen und eine Entschädigung von 50.000 € für den Schaden zu erhalten, der ihr durch die nicht genehmigte Veröffentlichung der Gespräche mit ihrem Vater entstanden war. Daneben beantragte sie insbesondere die Vernichtung aller Dokumente oder Datenträger im Besitz der Journalisten, auf denen die Mitschriften der Telefongespräche mit ihrem Vater gespeichert waren, sowie die Löschung des Artikels von der Website der Zeitung. Die Klage wurde abgewiesen; Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos.

Die Gründe:
Der EGMR erinnerte unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung daran, dass es einen Bereich der Interaktion zwischen dem Einzelnen und Dritten gibt, der selbst im öffentlichen Kontext zum Privatleben gehören kann. Von Art. 8 EMRK sei auch das Recht auf Schutz der Reputation als Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens geschützt. Zugleich betonte der Gerichtshof die herausragende Rolle, die er der Presse in ständiger Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft zuspricht.

Der EGMR verwies einerseits auf die persönlichen Informationen aus den aufgezeichneten Gesprächen, die fehlende Zustimmung zur Veröffentlichung der Transkripte und die breite Leserschaft, der der beschwerdegegenständliche Artikel aufgrund dessen Online-Veröffentlichung zugänglich war. Daraus seien ausreichend schwere Auswirkungen resultiert, um die Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK zu begründen. Andererseits verwies der Gerichtshof darauf, dass die dem Artikel zugrundeliegenden Transkripte aus Telefonabhörungen stammten, die auf Ersuchen eines Untersuchungsrichters angeordnet worden waren. Diese seien von heimlichen Abhörmaßnahmen zu unterscheiden, die als schwerwiegende Eingriffe in die Privatsphäre angesehen würden. Die Abhörmaßnahmen seien unter strengen gesetzlichen Vorgaben und Auflagen durchgeführt worden. Zudem sei die Veröffentlichung Teil einer Debatte von allgemeinem Interesse gewesen, die die Wiedergabe der Gespräche zwischen Vater und Tochter gerechtfertigt habe. Das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin sei nicht Gegenstand der Aufzeichnungen gewesen, sondern vielmehr Informationen von allgemeiner Bedeutung. Es seien auch Hauptzweck und Ziel des Artikels gewesen, in dieser Hinsicht zu informieren; weder dem Inhalt noch der Form nach seien Details über das Privatleben der Beschwerdeführerin bekanntgegeben worden. Die Veröffentlichung ihres Namens sowie der vollständigen Transkripte stehe dem nicht entgegen. Letzteres habe zur Glaubwürdigkeit der Informationen beigetragen.

Auch wenn die Beschwerdeführerin selbst der Öffentlichkeit unbekannt war, habe es sich bei ihr als Tochter eines hochrangigen Politikers keineswegs um eine gewöhnliche Person, die keine Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen würde, gehandelt. Aufgrund der Medienresonanz der Angelegenheiten ihres Vaters und deren gerichtlicher Folgen - selbst wenn diese ohne Wissen der Betroffenen durchgeführt wurden - sei sie stärker den Medien ausgesetzt gewesen als eine gewöhnliche Person.

Der EGMR verneinte mit 4:3 Stimmen eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Drei Richter äußerten eine abweichende Meinung, die dem Urteil beigefügt ist.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)