Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Schweiz: Überwachung der Briefkommunikation einer Inhaftierten
EGMR v. 6.11.2025 - 37639/19
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin befindet sich in der Schweiz wegen versuchten Mordes in Haft. Sie war im Juni 2017 in Untersuchungshaft genommen worden, nachdem sie mehrere Schüsse auf ihre Tochter abgegeben hatte. Seit Juni 2018, als sie sich noch in Untersuchungshaft befand, wurde die Post der Beschwerdeführerin - mit Ausnahme ihrer Korrespondenz mit ihrem Anwalt und einer Reihe von öffentlichen Einrichtungen - systematisch durch die Justizvollzugsanstalt überwacht. Ein dagegen gerichteter Antrag an die Leitung der JVA wurde negativ beschieden. Rechtsmittel blieben erfolglos.
Die Gründe:
Der Gerichthof hielt erneut fest, dass eine gewisse Überwachung der Korrespondenz von Häftlingen empfehlenswert sei und an sich nicht gegen die Konvention verstoße. Allerdings müssten angemessene und ausreichende Garantien gegen Missbrauch bestehen.
Diesbezüglich verwies der EGMR auf seine ständige Rechtsprechung, wonach es im Sinne von Art. 8 EMRK unzureichend ist, wenn innerstaatliches Recht eine automatische und allgemeine Überwachung der Korrespondenz Inhaftierter vorsieht, ohne dass zwischen den verschiedenen Kategorien von Personen, mit denen die Häftlinge korrespondieren, unterschieden wird. Bestimmte Kategorien von Korrespondenz von Gefängnisinsassen genössen grundsätzlich einen privilegierten Status, insbesondere die Kommunikation des Häftlings mit seinem Anwalt, mit Behörden, deren Aufgabe es ist, die Gewährleistung der Grundrechte zu überprüfen, oder mit einem Facharzt.
Auch eine automatische und allgemeine Überwachung der Korrespondenz Inhaftierter, ohne den Umfang und die Modalitäten der Ausübung des Ermessensspielraums der zuständigen Behörden hinreichend klar anzugeben und ohne die Regeln etwa zur Dauer und zu den Fristen für die Durchführung einer solchen Überwachung oder die Gründe, die sie rechtfertigen können, zu präzisieren, verletze Art. 8 EMRK. Ein Verstoß liege auch vor, wo innerstaatliches Recht keine Bestimmung enthält, wonach der Inhaftierte über eine Veränderung des Inhalts seiner ausgehenden Post informiert oder an Überwachungsmaßnahmen beteiligt werden muss - beispielsweise durch das Öffnen bestimmter Postsendungen in seiner Anwesenheit - oder wo es an einem Rechtsbehelf mangelt, der es dem Häftling ermöglicht, die Modalitäten und den Umfang der Überwachungsmaßnahmen anzufechten.
Vorliegend sei die Korrespondenz, die nach der Rechtsprechung des EGMR einen privilegierten Status genießt, von der Überwachung ausgenommen. Das Schweizer Strafgesetzbuch sehe vor, dass die Beziehungen von Häftlingen zur Außenwelt aus Gründen der Ordnung und Sicherheit der Justizvollzugsanstalt überwacht oder eingeschränkt werden können. Vorliegend habe die Überwachung der Korrespondenz dazu gedient, die Ordnung, die Sicherheit und den ordnungsgemäßen Betrieb der Haftanstalt, die öffentliche Sicherheit außerhalb der Haftanstalt sowie die Verhinderung weiterer Straftaten zu gewährleisten.
Da ausschließlich die ungeschützte Korrespondenz der Beschwerdeführerin betroffen sei, sei es nicht erforderlich, dass die Behörden die Notwendigkeit einer solchen Überwachung in jedem Einzelfall begründen. Es sei schwierig, für die Zwecke dieser Überwachung zwischen den verschiedenen Insassen derselben Einrichtung zu unterscheiden. Würde die fragliche Überwachung aber zu Maßnahmen zur Sperrung oder Einschränkung der Postzustellung führen würde, wären die Behörden verpflichtet, eine ausführliche Entscheidung zu treffen. Angesichts der normalen Anforderungen des Strafvollzugs könne die Überwachung nicht als unangemessen oder willkürlich angesehen werden.
Auch hätten der Beschwerdeführerin Rechtsmittel zur Verfügung gestanden, wovon sie auch Gebrauch gemacht habe.
Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)
Die Beschwerdeführerin befindet sich in der Schweiz wegen versuchten Mordes in Haft. Sie war im Juni 2017 in Untersuchungshaft genommen worden, nachdem sie mehrere Schüsse auf ihre Tochter abgegeben hatte. Seit Juni 2018, als sie sich noch in Untersuchungshaft befand, wurde die Post der Beschwerdeführerin - mit Ausnahme ihrer Korrespondenz mit ihrem Anwalt und einer Reihe von öffentlichen Einrichtungen - systematisch durch die Justizvollzugsanstalt überwacht. Ein dagegen gerichteter Antrag an die Leitung der JVA wurde negativ beschieden. Rechtsmittel blieben erfolglos.
Die Gründe:
Der Gerichthof hielt erneut fest, dass eine gewisse Überwachung der Korrespondenz von Häftlingen empfehlenswert sei und an sich nicht gegen die Konvention verstoße. Allerdings müssten angemessene und ausreichende Garantien gegen Missbrauch bestehen.
Diesbezüglich verwies der EGMR auf seine ständige Rechtsprechung, wonach es im Sinne von Art. 8 EMRK unzureichend ist, wenn innerstaatliches Recht eine automatische und allgemeine Überwachung der Korrespondenz Inhaftierter vorsieht, ohne dass zwischen den verschiedenen Kategorien von Personen, mit denen die Häftlinge korrespondieren, unterschieden wird. Bestimmte Kategorien von Korrespondenz von Gefängnisinsassen genössen grundsätzlich einen privilegierten Status, insbesondere die Kommunikation des Häftlings mit seinem Anwalt, mit Behörden, deren Aufgabe es ist, die Gewährleistung der Grundrechte zu überprüfen, oder mit einem Facharzt.
Auch eine automatische und allgemeine Überwachung der Korrespondenz Inhaftierter, ohne den Umfang und die Modalitäten der Ausübung des Ermessensspielraums der zuständigen Behörden hinreichend klar anzugeben und ohne die Regeln etwa zur Dauer und zu den Fristen für die Durchführung einer solchen Überwachung oder die Gründe, die sie rechtfertigen können, zu präzisieren, verletze Art. 8 EMRK. Ein Verstoß liege auch vor, wo innerstaatliches Recht keine Bestimmung enthält, wonach der Inhaftierte über eine Veränderung des Inhalts seiner ausgehenden Post informiert oder an Überwachungsmaßnahmen beteiligt werden muss - beispielsweise durch das Öffnen bestimmter Postsendungen in seiner Anwesenheit - oder wo es an einem Rechtsbehelf mangelt, der es dem Häftling ermöglicht, die Modalitäten und den Umfang der Überwachungsmaßnahmen anzufechten.
Vorliegend sei die Korrespondenz, die nach der Rechtsprechung des EGMR einen privilegierten Status genießt, von der Überwachung ausgenommen. Das Schweizer Strafgesetzbuch sehe vor, dass die Beziehungen von Häftlingen zur Außenwelt aus Gründen der Ordnung und Sicherheit der Justizvollzugsanstalt überwacht oder eingeschränkt werden können. Vorliegend habe die Überwachung der Korrespondenz dazu gedient, die Ordnung, die Sicherheit und den ordnungsgemäßen Betrieb der Haftanstalt, die öffentliche Sicherheit außerhalb der Haftanstalt sowie die Verhinderung weiterer Straftaten zu gewährleisten.
Da ausschließlich die ungeschützte Korrespondenz der Beschwerdeführerin betroffen sei, sei es nicht erforderlich, dass die Behörden die Notwendigkeit einer solchen Überwachung in jedem Einzelfall begründen. Es sei schwierig, für die Zwecke dieser Überwachung zwischen den verschiedenen Insassen derselben Einrichtung zu unterscheiden. Würde die fragliche Überwachung aber zu Maßnahmen zur Sperrung oder Einschränkung der Postzustellung führen würde, wären die Behörden verpflichtet, eine ausführliche Entscheidung zu treffen. Angesichts der normalen Anforderungen des Strafvollzugs könne die Überwachung nicht als unangemessen oder willkürlich angesehen werden.
Auch hätten der Beschwerdeführerin Rechtsmittel zur Verfügung gestanden, wovon sie auch Gebrauch gemacht habe.
Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK.