Regressansprüche eines Gesellschafters als einem Gesellschafterdarlehen gleichstehende Forderungen
BGH v. 10.7.2025 - IX ZR 189/24
Der Sachverhalt:
Auf Eigenantrag vom 21.11.2017 eröffnete das Insolvenzgericht am 13.4.2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (Schuldnerin) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Beklagte war Gesellschafter und in der Zeit vom 19.10.2012 bis zum 8.6.2016 auch Geschäftsführer der Schuldnerin.
Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, zahlte die Schuldnerin im Zeitraum vom 19.1.2017 bis zum 6.11.2017 von ihrem Konto in 18 Fällen in unterschiedlichen Beträgen insgesamt rd. 6.900 € an den Beklagten. Der den Zahlungen zugeordnete Buchungstext lautet "Rückzahlung" oder nennt lediglich Vor- und Nachnamen des Beklagten. Dieser behauptete hierzu, bei den drei Überweisungen vom 19.1.2017 über 550 €, vom 7.3.2017 über 430 € und vom 26.6.2017 über 360 € an ihn habe es sich um ausstehende Gehaltszahlungen (für 2015, für November 2016 und für Dezember 2016) gehandelt. Mit den übrigen Überweisungen von 15 Einzelbeträgen habe ihm die Schuldnerin von ihm für sie getätigte Auslagen erstattet.
Der Kläger nahm den Beklagten auf Erstattung dieser Zahlungen i.H.v. rd. 6.900 € sowie auf Erstattung weiterer Zahlungen der Schuldnerin i.H.v. rd. 46.700 €, insgesamt also auf Zahlung von rd. 53.600 € in Anspruch. Hinsichtlich der 6.900 € machte der Kläger Insolvenzanfechtung geltend, weil die Schuldnerin insoweit auf darlehensgleiche Gesellschafterforderungen gezahlt habe.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG insoweit auf, als dieser zur Zahlung von mehr als 48.000 € verurteilt wurde, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann nicht angenommen werden, dass die Erstattung von Auslagen durch die Schuldnerin an den Beklagten als Befriedigung von Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder von Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anfechtbar sind. Hingegen unterliegen die verspäteten Gehaltszahlungen i.H.v. 1.340 € der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
Die Zahlungen der Schuldnerin können vorliegend unter zwei Voraussetzungen auf wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen gleichstehende Forderungen erfolgt sein. Sie sind darlehensgleich, soweit der Beklagte Regressansprüche aus der Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers geltend macht. Sofern es sich bei den Zahlungen der Schuldnerin hingegen um die Befriedigung von aus Austauschgeschäften herrührenden Forderungen des Beklagten gehandelt hat, kommt eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehende Forderung nur in Betracht, wenn der Beklagte die Forderungen der Gesellschaft rechtlich oder faktisch gestundet hat. Dies gilt auch, soweit es sich um Ansprüche auf Erstattung von im Rahmen der Austauschgeschäfte entstandenen Auslagen handelt.
Den Gesellschafterdarlehen stellt § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in sachlicher Hinsicht Forderungen aus Rechtshandlungen gleich, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. Maßgeblich ist insoweit, ob eine Rechtshandlung vorliegt, mit welcher der Gesellschafter in einer einem Gelddarlehen vergleichbaren Weise der Gesellschaft temporär Liquidität verschafft. Diese Voraussetzung ist für jede Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines von ihm aus seinem Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Geldbetrags erfüllt, sofern ein solcher Rückzahlungsanspruch durchgängig seit der Überlassung des Geldes bestand und sich Gesellschafter und Gesellschaft von vorneherein einig waren, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen habe. Der Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO beruht auf der Bereitschaft des Gesellschafters, der Gesellschaft Mittel zur Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Dies richtet sich nicht nach der rechtlichen Form etwaiger Geldgeschäfte zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, sondern nach der wirtschaftlichen Funktion des Geschäfts.
Eine wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Leistung kann auch in der Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers durch den Gesellschafter liegen. Ein solcher Vorgang und der daraus resultierende Regressanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft sind nämlich bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht anders zu beurteilen, als wenn der Gesellschafter seiner Gesellschaft zunächst einen Geldbetrag darlehensweise überlassen hätte und diese daraus sodann ihren Gläubiger selbst befriedigt hätte. Es macht keinen Unterschied, ob der Gesellschafter seiner Gesellschaft temporär finanzielle Mittel auf direktem Weg überlässt oder ob er einen Gesellschaftsgläubiger in der begründeten Vorstellung befriedigt, anschließend bei der Gesellschaft Regress nehmen zu können und diese dem Verlangen später auch tatsächlich entspricht. Tilgt der Gesellschafter eine Verbindlichkeit seiner Gesellschaft und wird ihm die erbrachte Leistung später von dieser erstattet, ist in der Regel vom Zeitpunkt der Zahlung des Gesellschafters an bis zur Erfüllung des Erstattungsverlangens das Bestehen eines durchgängigen Erstattungsanspruchs im Einvernehmen mit der Gesellschaft und somit eine darlehensgleiche Leistung anzunehmen.
Daneben kann eine Forderung als darlehensgleich zu beurteilen sein, wenn der Gesellschafter einen fälligen Anspruch darlehensfremder Art aus einem Austauschgeschäft nicht gegen die Gesellschaft geltend macht. Dies setzt voraus, dass die Geldforderung des Gesellschafters der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch ("Stehenlassen") gestundet wird, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt. Gleiches kommt in Betracht, wenn dem Gesellschafter im Rahmen eines mit seiner Gesellschaft abgeschlossenen Dienstverhältnisses oder allgemein eines Austauschgeschäfts Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen i.S.d. § 670 BGB zustehen und er diese Erstattungsansprüche der Gesellschaft rechtlich oder faktisch stundet. Allein die im Rahmen dieser Tätigkeiten entstandenen Aufwendungen begründen noch keine wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen gleichstehenden Forderungen. Daran gemessen, kann hier die Anfechtbarkeit als darlehensgleiche Leistung nicht allein unter Hinweis auf eine Auslagenerstattung bejaht werden. Rechtsfehlerfrei hat das OLG hingegen die Anfechtbarkeit der Gehaltszahlungen an den Beklagten in der Gesamthöhe von 1.340 € bejaht.
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LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG insoweit auf, als dieser zur Zahlung von mehr als 48.000 € verurteilt wurde, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann nicht angenommen werden, dass die Erstattung von Auslagen durch die Schuldnerin an den Beklagten als Befriedigung von Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder von Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anfechtbar sind. Hingegen unterliegen die verspäteten Gehaltszahlungen i.H.v. 1.340 € der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
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Daneben kann eine Forderung als darlehensgleich zu beurteilen sein, wenn der Gesellschafter einen fälligen Anspruch darlehensfremder Art aus einem Austauschgeschäft nicht gegen die Gesellschaft geltend macht. Dies setzt voraus, dass die Geldforderung des Gesellschafters der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch ("Stehenlassen") gestundet wird, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt. Gleiches kommt in Betracht, wenn dem Gesellschafter im Rahmen eines mit seiner Gesellschaft abgeschlossenen Dienstverhältnisses oder allgemein eines Austauschgeschäfts Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen i.S.d. § 670 BGB zustehen und er diese Erstattungsansprüche der Gesellschaft rechtlich oder faktisch stundet. Allein die im Rahmen dieser Tätigkeiten entstandenen Aufwendungen begründen noch keine wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen gleichstehenden Forderungen. Daran gemessen, kann hier die Anfechtbarkeit als darlehensgleiche Leistung nicht allein unter Hinweis auf eine Auslagenerstattung bejaht werden. Rechtsfehlerfrei hat das OLG hingegen die Anfechtbarkeit der Gehaltszahlungen an den Beklagten in der Gesamthöhe von 1.340 € bejaht.
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