12.03.2024

Reichweite der Unterlassungsverpflichtung wegen einer Äußerung in einem Online-Interview

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles erschien es hier jedoch nicht sachgerecht, an dem Merkmal des "wirtschaftlichen Zugutekommens" festzuhalten, um die Handlungspflichten des Unterlassungsschuldners nicht über die Maße auszudehnen und hierdurch in der Folge die Meinungs- und Pressefreiheit nicht unangemessen einzuschränken.

OLG Frankfurt a.M. v. 22.2.2024 - 16 U 168/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein Verein, dessen Satzungszweck u.a. lautet, dass er sich für die Interessen von Aktionären, insbesondere von Minderheitsaktionären wie von anderen Anlegern insbesondere einsetzt. Im Jahr 2008 waren Mitglieder des damaligen Vorstands des Klägers u.a. die Herren A, B und C. Der A gab über den Kläger das jährlich erscheinendes "Schwarzbuch" heraus. Der D, der auch ehemaliger Hauptversammlungssprecher des Klägers war, war zu dieser Zeit Herausgeber des Börsenbriefs.

Der Beklagte investierte in einer frühen Phase Eigenkapital in die X-AG und hielt Aktien an dem Unternehmen. Er war bis zum 24.6.2008 Aufsichtsrat der X-AG. Im Jahr 2008 stellten Vorstandsmitglieder des Klägers gegenüber der X-AG in ihrer Hauptversammlung Fragen und erhoben in der Öffentlichkeit Vorwürfe. Hieran wirkte u.a. der Herausgeber des Börsenbriefs mit. Sodann kam es zu einem Kursverlust der X-AG. Die Staatsanwaltschaft führte u.a. gegen Vorstandsmitglieder des Klägers ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation. Das damalige Vorstandsmitglied A wurde verurteilt, allerdings nicht wegen einer Marktmanipulation bezüglich der X-AG.

Am 9.6.2021 erschien online ein Interview mit dem Beklagten unter dem Titel "N war eine arme Sau". Eine Vergütung erhielt er nicht dafür. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.6.2021 ließ der Kläger den Beklagten abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Am 15.6.2021 gab der Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich eine Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung ab. Der Kläger nahm sie noch am gleichen Tag an.

Am 22.6.2021 war das Interview weiterhin online abrufbar. Daraufhin forderte der Kläger vom Beklagten u.a. eine Vertragsstrafe i.H.v. 4.000 € und die Löschung der Behauptung aus dem Interview zu bewirken. Der Beklagte lehnte die Zahlung der Vertragsstrafe ab, weil er nicht verpflichtet sei, aufgrund der Unterlassungserklärung auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich nicht zugutekomme.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat das Urteil im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe i.H.v. 4.000 €.

Zwar war zwischen den Parteien ein Unterlassungsvertrag zustande gekommen. Der Beklagte hat jedoch nicht gegen die Verpflichtung aus der Unterlassungserklärung verstoßen. Die Verwirkung einer Vertragsstrafe setzt eine nach Zustandekommen des Unterlassungsvertrags begangene Zuwiderhandlung des Schuldners voraus, die der Gläubiger darlegen und beweisen muss. Die Auslegung eines Unterlassungsvertrags richtet sich nach den allgemeinen für die Vertragsauslegung geltenden Regeln. Maßgebend ist demnach der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), bei dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut die beiderseits bekannten Umstände wie insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, deren Zweck sowie die Interessenlage der Vertragsparteien heranzuziehen sind.

Nach der Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH  kann zu den geschuldeten Maßnahmen zur Störungsbeseitigung zwar auch die Einwirkung auf Dritte zählen, wobei es mit Blick auf die Einwirkungsmöglichkeiten des Schuldners auf den Dritten nur darauf ankommen soll, ob er rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten Dritter hat. Der VI. Zivilsenat hat in der Entscheidung "Ex-RAF-Terroristin" im konkreten Einzelfall die Pflicht des Unterlassungsschuldners auf die Einwirkung auf einen Dritten, nämlich auf eine RSS-Feed-Abonnentin, verneint. In der Literatur wird hierzu gefordert, bei Verboten, die eine Handlungspflicht beinhalten, deren Verhältnismäßigkeit im Einzelfall besonders zu prüfen, da eine solche Verpflichtung etwa beim Rückruf vollständiger Druckwerke aufgrund einzelner Äußerungen einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 Abs. 1 EMRK darstellen könne, wobei das Erfordernis des wirtschaftlichen Zugutekommens bei einem selbständigen Handeln Dritter teilweise auch auf äußerungsrechtliche Sachverhalte übertragen wird.

Anders als das LG meinte, konnte der Verstoß gegen die Verpflichtung aus dem Unterlassungsvertrag nach Ansicht des Senates vorliegend nicht schon deshalb verneint werden, weil der Beklagte mangels des Vorliegens eines "wirtschaftlichen Zugutekommens" nicht verpflichtet gewesen wäre, auf die Zeitschrift als Dritten bzgl. der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung in dem auf der Webseite veröffentlichten Interview einzuwirken. Unerheblich war, ob der Beklagte rechtlich auf das Medium einwirken konnte, da die jedenfalls gegebene tatsächliche Möglichkeit der Einwirkung auf dieses - z.B. durch die Adressierung eines entsprechenden Aufforderungsschreibens - ausreichte. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles erschien es hier jedoch nicht sachgerecht, an dem Merkmal des "wirtschaftlichen Zugutekommens" festzuhalten, um die Handlungspflichten des Unterlassungsschuldners nicht über die Maße auszudehnen und hierdurch in der Folge die Meinungs- und Pressefreiheit nicht unangemessen einzuschränken.

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