11.06.2021

Schneeballsystem: Deutliches Indiz für Benachteiligungsvorsatz

Erhält der Darlehensnehmer die Darlehensvaluta nicht vom Darlehensgeber als seinem Vertragspartner, sondern vom späteren Insolvenzschuldner, handelt es sich bei der Auszahlung der Darlehensvaluta jedenfalls dann nicht um eine unentgeltliche Leistung des späteren Insolvenzschuldners an den Darlehensnehmer, soweit der Darlehensnehmer (Zuwendungsempfänger) zur Rückzahlung des Darlehens an seinen Vertragspartner verpflichtet ist und das Darlehen zurückgezahlt wird. Nimmt der Schuldner Rechtshandlungen vor, mit denen er durch ein betrügerisches Anlagemodell eingeworbene Gelder planmäßig bewusst und gewollt an Dritte verschiebt, um sie dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen und für Hintermänner zu sichern, stellt dies ein deutliches Indiz für einen Benachteiligungsvorsatz dar.

BGH v. 29.4.2021 - IX ZR 266/19
Der Sachverhalt:
Die B. Ltd. (Schuldnerin) mit Sitz in Gibraltar vertrieb zwischen 2001 und 2008 in Deutschland Kapitalanlagen in Gestalt eines sog. Schneeballsystems. Anteilseigner der Schuldnerin war zu 1/5 H. über eine treuhänderisch gehaltene Beteiligung. Die Schuldnerin verfügte über keine Erlaubnis der BaFin. Sie warb von Anlegern mehr als 4 Mio. € ein, deren Verbleib weitgehend nicht mehr nachvollziehbar ist. Der Vertrieb der angeblichen Kapitalanlagen erfolgte u.a. durch die A. GmbH (A). Mitgesellschafter und Geschäftsführer der A war im Juni 2005 H. Im Dezember 2004 gründete die A die Beklagte. H war bis Februar 2011 Geschäftsführer der Beklagten.

Mit notariellem Vertrag vom 12.4.2005 kaufte B von der Stadt L ein noch zu vermessendes Grundstück. Am 29.4.2005 schloss die Beklagte, vertreten durch B und H als ihren Geschäftsführern, einen notariellen Darlehensvertrag mit der B E, wonach diese ein Darlehen über 350.000 € gewähren sollte. Im Anschluss daran versprach die Beklagte B ein Darlehen über 350.000 € zur Finanzierung des Grundstückskaufs. Bereits seit 2004 war die Schuldnerin als stille Gesellschafterin an der B E mit einem auf höchstens 300.000 € begrenzten Betrag beteiligt. Geschäftsführer der B E war der wirtschaftlich ebenfalls zu 1/5 an der Schuldnerin beteiligte T, dem die Schuldnerin Generalvollmacht erteilt hatte.

Die Schuldnerin veranlasste am 2.6.2005 eine Überweisung über 350.000 € von ihrem Geschäftskonto bei der V (Liechtenstein) auf das im Kaufvertrag benannte Notaranderkonto. Verwendungszweck war der Grundstückskaufvertrag. Das Darlehen wurde einschließlich Zinsen an die B E zurückgezahlt. Mit Beschluss vom 31.10.2012 lehnte das fürstliche Landgericht Liechtenstein die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der B E mangels Masse ab.

Auf einen Antrag vom 24.7.2008 eröffnete das AG - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 11.1.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Kläger kündigte vorsorglich gegenüber der Beklagten ein etwa gewährtes Darlehen und machte zudem Anfechtungsansprüche im Hinblick auf die Überweisung der Schuldnerin über 350.000 € geltend. Der Kläger hat eine Teilklage über 110.000 € erhoben.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Unentgeltlich ist im Zwei-Personen-Verhältnis eine Leistung, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Wird eine dritte Person in den Zuwendungsvorgang einbezogen, kommt es für die Beurteilung der Unentgeltlichkeit der Leistung nicht entscheidend darauf an, ob der Verfügende selbst einen Ausgleich erhalten hat. Zu fragen ist vielmehr, ob der Empfänger seinerseits eine Gegenleistung zu erbringen hat. Von diesen Grundsätzen geht das OLG zutreffend aus. Im Ausgangspunkt zutreffend wendet das OLG im Streitfall die Grundsätze über die Einbeziehung einer dritten Person in den Zuwendungsvorgang an. Jedoch nimmt es rechtsfehlerhaft an, dass die Zuwendung der Schuldnerin für die Beklagte eine unentgeltliche Leistung darstellte.

Hat der Zuwendungsempfänger die Gegenleistung an seinen Schuldner erst noch zu erbringen, kann von Unentgeltlichkeit nicht die Rede sein, wenn er diese Gegenleistung später noch erbringt. Insbesondere sind solche Drittzahlungen entgeltlich, für die der Zuwendungsempfänger nach dem Erhalt der Zahlungen noch Gegenleistungen an seinen Schuldner erbringt, welche mit der Zahlung vergütet werden sollten. Leistungen, die der Gläubiger nach dem Empfang der Drittzahlung erbringt, können daher als ausgleichendes Vermögensopfer zu werten sein. Die ausgleichende Gegenleistung muss nicht im Synallagma stehen. Die Hingabe der Darlehensvaluta ist daher im Hinblick auf die Verpflichtung zur Rückzahlung stets entgeltlich. Zahlt der Empfänger bei einem Darlehen die erhaltenen Gelder tatsächlich zurück, rechtfertigt bei einem Zwei-Personen-Verhältnis die zum Zeitpunkt der Auszahlung bestehende Insolvenzreife des Empfängers allein nicht, die Auszahlung als unentgeltliche Leistung einzuordnen.

Entsprechendes gilt für die Entgeltlichkeit der Drittzuwendung in Drei-Personen-Verhältnissen. Erhält der Darlehensnehmer die Darlehensvaluta nicht vom Darlehensgeber als seinem Vertragspartner, sondern vom späteren Insolvenzschuldner, handelt es sich bei der Auszahlung der Darlehensvaluta jedenfalls dann nicht um eine unentgeltliche Leistung des späteren Insolvenzschuldners an den Darlehensnehmer, soweit der Darlehensnehmer (Zuwendungsempfänger) zur Rückzahlung des Darlehens an seinen Vertragspartner verpflichtet ist und das Darlehen zurückgezahlt wird. Nach diesen Maßstäben fehlt es an einer unentgeltlichen Leistung der Schuldnerin. Der Beklagten als Zuwendungsempfängerin stand ein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens gegen die B E zu. Die Auszahlung des Darlehens durch die Schuldnerin ist nicht als unentgeltliche Leistung zu werten, weil die Beklagte verpflichtet war, das Darlehen an ihre Vertragspartnerin, die B E, zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das OLG hat offengelassen, ob die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO in der bis zum 4.4.2017 geltenden Fassung erfüllt sind. Dies wird das OLG nunmehr zu klären haben. Ein Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin kann unabhängig davon vorliegen kann, ob die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung drohend zahlungsunfähig gewesen ist. Die Schuldnerin betrieb mit Hilfe eines Schneeballsystems ein betrügerisches Anlagegeschäft. Die Schuldnerin legte die eingeworbenen Gelder nicht an, sondern verschob sie durch gezielte Barabhebungen und Weiterüberweisungen an Dritte. Sie hatte noch nicht einmal die Absicht, Gelder für Anleger gewinnbringend anzulegen. Diese Umstände können den Schluss rechtfertigen, dass die Schuldnerin bei der Zahlung mit dem bedingten Vorsatz handelte, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Verschiebt ein Schuldner sein Vermögen planmäßig bewusst und gewollt an Dritte, um es dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen, ist dies ein deutliches Indiz für einen Benachteiligungsvorsatz.
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