12.02.2025

Selbstöffnung vs. Persönlichkeitsrecht: Influencerin durfte in Doku über organisierte Kriminalität genannt werden

Das LG Berlin II hatte einen Fall zur Zulässigkeit der identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung über eine Influencerin und ihren im ersten Rechtszug zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Lebensgefährten im Rahmen einer Fernsehdokumentation über internationale organisierte Kriminalität zu entscheiden. Es bejahte ein öffentliches Informationsinteresse an Berührungspunkten von organisierter Kriminalität und bürgerlicher Gesellschaft. Im konkreten Fall sei auch berücksichtigen, dass es sich bei der Influencerin schon nach ihrem eigenen Selbstverständnis um eine prominente Person handelt, die an ihrem Leben zudem über ihre unterschiedlichen Social-Media-Auftritte tagtäglich ca. 170.000 Follower aktiv teilhaben lässt.

LG Berlin II v. 24.9.2024 - 27 O 229/24 eV
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist Unternehmerin, Model, Bloggerin und Influencerin, die zudem ein eigenes Schmuck- und Modelabel betreibt. Die Antragsgegnerin ist die Landesrundfunkanstalt für .... Sie ließ am ... über den TV-Sender ... die von ihr produzierte Dokumentation "..." ausstrahlen. Ebenfalls veröffentlichte sie die Dokumentation in der ...- Mediathek unter der URL ... und andernorts im Internet.

Im Rahmen der Dokumentation berichtet die Antragsgegnerin über Erscheinungsformen internationaler organisierter Kriminalität durch Geldwäsche, Insolvenzverschleppung und Steuerbetrug. Der Bericht führt aus, dass in diesen Zusammenhängen zunehmend und systematisch suchtkranke und obdachlose Menschen aus Osteuropa als sog. "Strohleute" in Deutschland ausgenutzt würden. Dabei berichtet die Antragsgegnerin auch über den - ehemaligen - Lebensgefährten der Antragstellerin, Herrn ..., dem eine Beteiligung an entsprechenden Straftaten vorgeworfen wird und der deshalb mittlerweile durch ein deutsches Strafgericht im ersten Rechtszug zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Im Verlaufe des Berichts wird ein Handy/Laptop eingeblendet, auf dem der Instagram-Kanal der Antragstellerin geöffnet ist. Daneben wird nicht nur der aus dem eigenen Vor- und Nachnamen der Antragstellerin bestehenden Namen ihres Instagram-Accounts sichtbar ("..."), sondern an einigen Stellen auch der Quellenhinweis gezeigt ("..."). Schließlich zeigt der Bericht Videoaufnahmen aus dem Instagram-Account der Antragstellerin, auf denen diese unverpixelt zu erkennen ist.

Das Video ist mit folgendem Text unterlegt: "Einer der Organisatoren dieses Betrugssystems ist X. Bis zu seiner Verhaftung lebt er ein Luxusleben. Am Rand von .... Zusammen mit seiner Freundin, in dieser Villa. Derzeit kosten dort 10 Übernachtungen knapp 50.000 €. Auf Instagram und TikTok präsentiert die Freundin ihr gemeinsames Luxusleben. ... wurde inzwischen zu 10 Jahren Haft verurteilt - das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Nach unseren Recherchen könnten hinter ihm noch weitere Personen stehen. (...) Auch ... hatte ein Konto in ..., und eine Firma in .... Seine Aufenthalte dort - wieder von seiner Freundin auf Instagram dokumentiert."

Die Antragstellerin wendet sich gegen das Video in seiner ursprünglich veröffentlichten Form. Sie macht geltend, auf nahezu keinem der Videos sei ihr Lebensgefährte ... zu sehen. Die Videos wiesen keinerlei Bezug zu den etwaigen Straftaten von ... auf. Es handele sich um Videoaufnahmen aus dem Leben der Antragstellerin, insbesondere Sommer- und Urlaubsaufnahmen. Nur eine Aufnahme zeige die Antragstellerin, wie sie ... küsse.

Gegen die Antragstellerin bestünden keinerlei Verdachtsmomente, es liefen auch keine Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen sie. Durch das Video würde zwangsläufig und von der Antragsgegnerin gewollt der Eindruck erweckt, dass das Leben der Antragsgegnerin durch den Beschuldigten ... finanziert worden sei und die Antragsgegnerin dementsprechend von Geldern, die möglicherweise aus Straftaten und gar aus Verbindungen mit der Mafia stammten, profitiert habe. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Antragstellerin verfüge selbst über beträchtliche Einnahmen aus ihrer beruflichen und geschäftlichen Tätigkeit. Die identifizierende Berichterstattung habe zudem für sie eine massive Rufschädigung nach sich gezogen. Ein besonderes öffentliches Interesse an ihrer Identität oder ihrem Namen als Lebensgefährtin des ... bestünde nicht.

Das LG hat ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Der Antragstellerin steht der begehrte Unterlassungsanspruch aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG im Hinblick auf die angegriffene identifizierende Videoberichterstattung nicht zu, da diese sie nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Die namentliche Herausstellung einer Person im Rahmen einer berechtigten Berichterstattung setzt, weil der Betroffene für die Öffentlichkeit identifizierbar wird und er dadurch betonter und nachhaltiger der Kritik ausgesetzt wird, voraus, dass auch unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt.

Hier greift die beanstandete und die Antragstellerin über ihren Account-Namen identifizierende Berichterstattung nicht unzulässig in deren Privatsphäre ein. Bei umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles gebührt dem Persönlichkeitsschutz der Antragstellerin kein Vorrang vor dem Berichtsinteresse der Antragsgegnerin. Die vorzunehmende Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin durch eine identifizierende Berichterstattung einerseits und dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe andererseits fällt vorliegend zu Gunsten der Antragsgegnerin aus.

Der Bericht betrifft weder die Intim- noch den Kernbereich der Privatsphäre der Antragstellerin, da sie ihre Beziehung zu ... einschließlich ihrer gemeinsamen und im Einzelnen luxuriösen Lebensführung zuvor über ihre zahlreichen Social-Media-Auftritte selbst öffentlich gemacht hat.

Der Antragstellerin droht auch kein besonderer Schaden, der außer Verhältnis zur Verbreitung der Wahrheit steht: Am zentralen Gegenstand der Berichterstattung, den Erscheinungsformen und Auswirkungen organisierter Kriminalität in Form der "Strohmann-Mafia" in der Bundesrepublik Deutschland, besteht ein besonders gewichtiges öffentliches Informationsinteresse. Damit einher geht ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Identität des ... als einem ihrer durch den Bericht identifizierten und bereits strafrechtlich belangten Protagonisten.

Die mit der streitgegenständlichen Berichterstattung verbundene Eingriffsintensität ist bei der Antragstellerin auch nicht besonders intensiv. Die angegriffene Berichterstattung belastet die Antragstellerin nur in geringem Maße. Insbesondere drohen weder soziale Ausgrenzung noch Stigmatisierung oder Prangerwirkung: Eine stigmatisierende Wirkung des Berichts kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass über die Antragstellerin im Zusammenhang mit strafbarem Verhalten und einem gegen ... geführten Strafverfahren berichtet wird. Zwar kann im aufgezeigten Zusammenhang mit einem Strafverfahren bereits die namentliche Nennung einer Person stigmatisierend wirken. Das ist in Bezug auf die Antragstellerin aber gerade nicht der Fall. Denn im angegriffenen Bericht wird in keiner Weise behauptet, die Antragstellerin sei in strafrechtlich relevantes Geschehen in irgendeiner Weise selbst verwickelt gewesen noch habe sie Kenntnis von den ... zur Last gelegten Straftaten gehabt oder die Beziehung zu ihm in Kenntnis der Straftaten geführt oder fortgesetzt.

In die Gesamtabwägung ist schließlich zu Gunsten der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, dass es sich bei der Antragstellerin schon nach ihrem eigenen Selbstverständnis um eine prominente Person handelt, die an ihrem Leben zudem über ihre unterschiedlichen Social-Media-Auftritte tagtäglich ca. 170.000 Follower aktiv teilhaben lässt. Dabei hat sich die Antragstellerin bis heute weder um die Geheimhaltung ihres Privatlebens im Allgemeinen noch um ihre Beziehung zu ... bemüht. Stattdessen hat sie die Öffentlichkeit bewusst gesucht, ihr Image gepflegt und ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt. Durch diese auf eigenem Tun beruhende Selbstöffnung hat die Antragstellerin nicht nur den Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern gleichzeitig die Tiefe des Eingriffs durch die identifizierende Berichterstattung der Antragsgegnerin in ganz erheblichem Maße verringert (vgl. BGH v. 2.8.2022 - VI ZR 26/21).

Mehr zum Thema:

Link zum Volltext der Entscheidung des LG

Rechtsprechung:
Zulässige identifizierende Berichterstattung im Rahmen einer Fernsehdokumentation über internationale organisierte Kriminalität
LG Berlin II vom 29.09.2024 - 27 O 229/24 EV
AfP 2025, 88

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