21.11.2025

"Spionage im Auftrag des Kremls": Eilantrag der AfD gegen "Handelsblatt" zurückgewiesen

Wegen der fundamentalen Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit sind die Medien grundsätzlich befugt, das politische Geschehen ungefiltert und vollständig abzubilden und zu bewerten. Diese Befugnis umfasst die im Grundsatz uneingeschränkte Möglichkeit, über Äußerungen von Politikern oder Inhabern politischer Ämter unter vollständiger oder auszugsweiser Wiedergabe ihres Wortlauts zu berichten, ohne dabei die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einhalten zu müssen.

LG Berlin II v. 18.11.2025 - 27 O 362/25 eV
Der Sachverhalt:
Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, der AfD Landesverband Thüringen und zwei AfD-Abgeordnete im Thüringer Landtag haben den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Handelsblatt GmbH wegen eines am 22.10.2025 online erschienen Artikels "Spionage im Auftrag des Kreml? SPD-Innenminister schlägt Alarm" beantragt. Hintergrund des Artikels war u.a. eine Stellungnahme des thüringischen Innenministers Georg Maier (SPD), die dieser gegenüber der Antragsgegnerin abgegeben hatte.

Die Antragstellerin waren der Ansicht, dass es nach den Grundsätzen der sog. Verdachtsberichterstattung für eine Berichterstattung über einen derart schwerwiegenden Verdacht an einem Mindestbestand an Beweistatsachen mangele. Die Antragsgegnerin stütze sich mit dem Thüringer Innenminister nur auf eine einzige Quelle und habe auch die Antragsteller vor der Berichterstattung nicht angehört.

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Der Artikel hat das (Unternehmens-)Persönlichkeitsrecht der Antragsteller nicht verletzt, weil die Äußerungsinteressen der Antragsgegnerin das Schutzinteresse der Antragsteller überwogen haben. Die Antragsteller konnten sich gerade nicht auf die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung berufen, denn es war grundsätzlich weder mit Art. 5 Abs. 2 GG noch mit Art. 10 Abs. 2 EMRK zu vereinbaren, die Medien bei ihrer Berichterstattung über tatsächlich gefallene Äußerungen eines Politikers auf die Einhaltung der Anforderungen der Verdachtsberichterstattung zu verpflichten.

Wegen der fundamentalen Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit sind die Medien grundsätzlich befugt, das politische Geschehen ungefiltert und vollständig abzubilden und zu bewerten (vgl. EGMR, Urt. v. 10.7.2014 - 48311/10 (Axel Springer AG/Deutschland Nr. 2). Diese Befugnis umfasst die im Grundsatz uneingeschränkte Möglichkeit, über Äußerungen von Politikern oder Inhabern politischer Ämter unter vollständiger oder auszugsweiser Wiedergabe ihres Wortlauts zu berichten, ohne dabei die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einhalten zu müssen.

Von dieser äußerungsrechtlichen Privilegierung ist jedenfalls die Berichterstattung über parlamentarische Äußerungen eines Politikers, über Äußerungen eines Politikers in der außerparlamentarischen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, über Wahlkampfäußerungen, über Verlautbarungen eines Politikers in seiner Funktion als Inhaber eines politischen Amtes sowie über Äußerungen des Inhabers eines politischen Amtes in seiner Rolle als Politiker umfasst. Die Form der Äußerung spielt hingegen für die Reichweite der äußerungsrechtlichen Privilegierung keine Rolle.

Infolgedessen waren die Äußerungen von den Antragstellern hinzunehmen. Der angegriffene Artikel berichtete im Kern über einen von dem Inhaber eines politischen Amtes gegenüber seiner politischen Konkurrenz geäußerten Verdacht strafbaren oder jedenfalls ehrabträglichen Verhaltens. Er warf dabei die Frage auf, ob gegenüber der AfD als derzeit größter Oppositionspartei sowohl im Bundestag als auch im Thüringer Landtag sowie gegenüber ihren Fraktionen und Abgeordneten der vom Innenminister des Landes Thüringen und weiteren Politikern gehegte Verdacht der "Spionage" zu Gunsten Russlands und zum Nachteil Deutschland besteht.

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LG Berlin - Pressemitteilung v. 19.11.2025