20.09.2023

Unentgeltliche Auszahlungen iSv § 134 InsO an den Gesellschafter bei Schneeballsystem

Stehen einem stillen Gesellschafter lediglich gewinnabhängige Auszahlungen zu, so sind Auszahlungen unentgeltlich im Sinne von § 134 InsO, welche die Stille Gesellschaft, die ein Geschäftsmodell in der Art eines Schneeballsystems betreibt, trotz Kenntnis von in Wirklichkeit eingefahrenen Verlusten leistet.

OLG Frankfurt a.M. v. 21.6.2023 - 4 U 158/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B mbH & Co. KG (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), über deren Vermögen im Januar 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Der Beklagte ist Miterbe von C (nachfolgend: Erblasser). Dieser hatte mit Beitrittserklärung aus 2011 im Rahmen des Angebots "A1Classic" mit der Insolvenzschuldnerin eine Stille Gesellschaft abgeschlossen über eine Einlage von 15.000,- € mit einer Laufzeit bis zum 31.3.2014. Geschäftsmodell der Insolvenzschuldnerin war die Vergabe von Darlehen an die A GmbH & Co. KG (nachfolgend: A), die ein Luxuspfandleihhaus betreiben wollte. Durch die bei dieser eingereichten Pfänder sollten die Darlehen besichert werden.

Im Vertrag über die Errichtung einer Stillen Gesellschaft war die Einrichtung eines Verrechnungskontos und eines Kapitalkontos vorgesehen. Auf dem Kapitalkonto sollte die Einlage verbucht werden, auf dem Verrechnungskonto alle sonstigen Buchungen. An einem Jahresüberschuss sollte der stille Gesellschafter entsprechend seinem Anteil teilnehmen. Entnahmen während der Dauer der Stillen Gesellschaft sollten vom Verrechnungskonto, nicht aber vom Kapitalkonto möglich sein. Mit dem Ende der Stillen Gesellschaft waren Überschüsse auf beiden Konten an den Gesellschafter auszukehren. Dieser war nicht verpflichtet, einen etwaigen Negativsaldo des Kapitalkontos auszugleichen (§ 11.1). Der festgestellte Jahresabschluss war für den stillen Gesellschafter verbindlich (§ 5.2).

Im für den Erblasser als Grundlage der Beteiligung maßgeblichen Verkaufsprospekt A1Classic war als "Ergebnisbeteiligung / Ausschüttung" auf S. 8 vermerkt: "7 % p.a. für die Dauer von 3 Jahren". Zur "Rückzahlung" hieß es dort: "Der Rückzahlungsbetrag beträgt 100 % der Einlage (...)." Auf S. 15 wurde vor einem Totalverlust gewarnt. Auch fänden Auszahlungen in Form von Gewinnbeteiligung nur insoweit statt, als dadurch kein Fehlbetrag entstehe. Es bestehe das Risiko, dass Ergebnisbeteiligungen teilweise oder insgesamt ausblieben.

Die Einlage des Erblassers in Höhe von 15.000,- € wurde am 28.5.2014 zurückgezahlt.

Der Kläger vertritt die Auffassung, in Höhe von 12.600 € sei die Rückzahlung der Einlage rechtsgrundlos erfolgt, weil insoweit die Einlage durch Verlustzuweisungen aufgebraucht gewesen sei. Die Gewinnauszahlungen seien sämtlich rechtsgrundlos gewesen, weil die Insolvenzschuldnerin jedenfalls seit 2013 keine Gewinne erwirtschaftet habe. Deshalb unterlägen die entsprechenden Zahlungen der Anfechtung gem. § 134 InsO.

Der Kläger hat behauptet, es sei ein Schneeballsystem betrieben worden. Im streitgegenständlichen Zeitraum seien entgegen den von der Insolvenzschuldnerin erstellten Jahresabschlüssen tatsächlich keine Gewinne erzielt worden. Vielmehr seien auf den Kapitalkonten vorhandene Guthaben durch die Beteiligung an den tatsächlich erwirtschafteten Jahresfehlbeträgen abgeschmolzen.

Das LG gab der Klage statt. Die Zahlungen seien als unentgeltliche Leistungen gemäß § 134 InsO anfechtbar. Die Auszahlungen hätten dem Erblasser nicht zugestanden.

Das OLG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die streitgegenständlichen Zahlungen sind nach §§ 129, 134 InsO anfechtbar. Es handelt sich um Leistungen der Schuldnerin zugunsten des Erblassers als Rechtsvorgänger des Beklagten, die infolge des Vermögensabflusses eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) bewirkt haben.

Der Kläger hat vorgetragen, es seien Forderungen in Höhe von 98 Mio. Euro angemeldet worden, und darauf aufbauend ausgeführt, die Insolvenzmasse reiche bei weitem nicht zur Befriedigung der angemeldeten Forderungen aus. Er prognostiziere eine Quote von 20 Prozent.

Etwa von Anlegern erfolgte Rückzahlungen ändern daran nichts. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass jeder Anleger, der Rückzahlungen leistet, anschließend den Rückzahlungsbetrag umgehend zur Tabelle anmeldet, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb Rückzahlungen das Delta zwischen den angemeldeten Beträgen und der verfügbaren Masse überhaupt reduzieren sollten. Somit ist der zugunsten des Insolvenzverwalters bestehende Anscheinsbeweis, dass in dem eröffneten Verfahren die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen, nicht erschüttert.

Die Auszahlungen stellen auch eine unentgeltliche Leistung im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO dar.

In einem Zwei-Personen-Verhältnis - wie vorliegend - ist eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Dementsprechend ist die Auszahlung von Gewinnanteilen, auf die ein Gesellschafter einen Anspruch hatte, als entgeltlich anzusehen, da sie die Gegenleistung für die Zurverfügungstellung des entsprechenden Kapitals darstellt. Im Umkehrschluss ist grundsätzlich eine unentgeltliche Leistung anzunehmen, wenn die maßgeblichen vertraglichen oder gesetzlichen Voraussetzungen für die Auszahlung nicht gegeben sind.

Die Voraussetzungen für die Auszahlung von Gewinnbeteiligungen lagen nicht vor. Der Erblasser hatte gegen die Insolvenzschuldnerin nur einen Anspruch auf Auszahlung gewinnabhängiger Ausschüttungen. Das LG hat zutreffend festgestellt, dass mit der Beteiligung des Erblassers als stiller Gesellschafter kein Anspruch auf gewinnunabhängige Auszahlungen entstand. Die Insolvenzschuldnerin sagte diesem gerade keinen risikounabhängigen festen Anspruch auf "Verzinsung" seiner Einlage zu. Unklarheiten bestanden insoweit nicht. An diesem Auslegungsergebnis ändert auch das nachvertragliche Verhalten der Insolvenzschuldnerin nichts; dieses führte auch nicht zu einer Vertragsänderung.

Die Zahlungen waren gemäß § 6.2 in Verbindung mit § 6.1 und § 5.2 des Vertrags über die Errichtung einer Stillen Gesellschaft ferner davon abhängig, dass die für die Auszahlung erforderlichen Gewinne durch einen ordnungsgemäß aufgestellten - insbesondere durch einen Abschlussprüfer geprüften - Jahresabschluss festgestellt wurden. Vorliegend erfolgten die angefochtenen Auszahlungen jedoch unstreitig vor der Aufstellung eines Jahresabschlusses für das betreffende Jahr und damit rechtsgrundlos.

Auch die Voraussetzungen für die Rückzahlung der Einlage in voller Höhe lagen nicht vor.

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Link zum Volltext der Entscheidung

Aufsatz:
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (§ 134 InsO)
Markus Gehrlein, WM 2023, 1725

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