09.11.2023

Untersagte Berichterstattung: Begrenzung des Instanzenzugs für Verfügungsverfahren gilt nicht für das sich anschließende Ordnungsmittelverfahren

Die Begrenzung des Instanzenzugs durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt nur für das Verfügungsverfahren selbst, nicht hingegen für selbständige und mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestaltete Verfahren, die sich an das Verfügungsverfahren anschließen, wie beispielsweise das Kostenfestsetzungsverfahren oder Ordnungsmittelverfahren gem. § 890 ZPO. Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot bestimmter Äußerungen umfasst nicht nur wortgleiche Wiederholungen, sondern greift grundsätzlich auch dann, wenn die verbotenen Äußerungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Berichterstattung sind, sofern etwaige Abweichungen den Aussagegehalt im Kern unberührt lassen.

BGH v. 26.9.2023 - VI ZB 79/21
Der Sachverhalt:
Durch Beschluss vom 23.1.2020 untersagte das LG der Schuldnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel, über eine neue Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten, insbesondere zu behaupten oder zu verbreiten

- "Kann diese Liebe gut gehen?"
- "Beide kommen aus langen Beziehungen, beide sind erfolgreich - auf den ersten Blick passt alles. Doch da gibt es ein Problem ..."
- "Hat sich da etwa klammheimlich ein neues Traumpaar der deutschen Musikszene gefunden? Schon seit Monaten sollen L. M. und M. F. zusammen sein. Ihr sehr unterschiedlicher Umgang mit Öffentlichkeit birgt allerdings reichlich Konfliktpotential ... Oberflächlich betrachtet sind die beiden perfekt füreinander."
- "Sie verstehen sich schon länger bestens, im Sommer soll dann aus Freundschaft Liebe geworden sein"
- "Aus ihrem Umfeld heißt es: 'M. gibt ihr Boden und ist ein erwachsener Mensch, das war in ihrer anderen Beziehung am Ende nicht mehr so'. Klingt eigentlich vielversprechend. Man kann für die beiden nur hoffen, dass die Gegensätze am Ende nicht die Gemeinsamkeiten übertrumpfen ..."
- "DREAM TEAM - seit dem Sommer sollen M. und L. ein Paar sein. Die Fans warten auf offizielle Infos",


wenn dies geschieht wie in der Zeitschrift "Closer" Nr. 4 vom 15.1.2020 auf den Seiten 12 und 13 unter der Überschrift "Kann diese Liebe gutgehen?".

In diesem Artikel wird unter Berufung auf Insider berichtet, dass aus der zwischen den Gläubigern schon seit längerem bestehenden Freundschaft eine Liebesbeziehung geworden sein solle. Unter Hinweis darauf, dass ihr sehr unterschiedlicher Umgang mit der Öffentlichkeit reichlich Konfliktpotential berge, wird die Frage aufgeworfen, ob die Gläubiger zueinander passen. Die Beschlussverfügung wurde der Schuldnerin am 28.1.2020 zugestellt. In von der Schuldnerin verlegten Zeitschriften wurden in der Folge am 30.1., 19.2., 26.2. und 4.3.2020 verschiedene Artikel veröffentlicht, die sich jeweils mit einem Verhalten der Gläubigerin befassen, mit dem sie sich gezielt an die Öffentlichkeit gewandt oder das sie in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Dabei ging es u.a. um das Tragen eines besonderen Ringes (zu sehen in einem von der Gläubigerin zunächst veröffentlichten und später gelöschten Video auf Instagram), zitierte Äußerungen aus einem Podcast-Interview zu einer Born-out-Erkrankung, das distanzierte Verhalten der Gläubiger während eines gemeinsamen Auftritts bei der Deutschlandpremiere eines Kinofilms sowie um den von der Gläubigerin geäußerten Kinderwunsch.

Das LG verhängte auf Antrag der Gläubiger gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld von 20.000 € wegen Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23.1.2020. Das KG wies die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen diesen Beschluss zurück. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag auf Zurückweisung des Ordnungsgeldantrags weiter. Der BGH hob die Beschlüsse von LG und KG auf und wies den Antrag der Gläubiger auf Festsetzung eines Ordnungsgelds wird zurück.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist. Diese Begrenzung gilt nur für das Verfügungsverfahren selbst, nicht hingegen für Verfahren, die sich an das Verfügungsverfahren anschließen, wie z.B. das Kostenfestsetzungsverfahren oder Verfahren über einen Anspruch nach § 945 ZPO oder über die Zulassung eines ausländischen Arrestbefehls zur Vollstreckung. Um eine derartige rechtsbeschwerdefähige Folgesache handelt es sich auch bei dem Ordnungsmittelverfahren gem. § 890 ZPO. Es ist als selbständiges Verfahren mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestaltet.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Schuldnerin durch die Veröffentlichungen vom 30.1., 19.2., 26.2. und 4.3.2020 nicht gegen das durch die Beschlussverfügung des LG vom 23.1.2020 titulierte Unterlassungsgebot verstoßen. Die beanstandeten Äußerungen über die Gläubiger werden vom Schutzumfang des Unterlassungsgebots nicht umfasst. Ob ein beanstandetes Verhalten von einem gerichtlichem Unterlassungsgebot erfasst wird, hat das für die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO zuständige Prozessgericht durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu beurteilen. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, sind bei der Auslegung wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche der Gläubigerin zustehen.

Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot bestimmter Äußerungen umfasst nicht nur wortgleiche Wiederholungen. Es greift grundsätzlich auch dann, wenn die verbotenen Äußerungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Berichterstattung sind, sofern etwaige Abweichungen den Aussagegehalt im Kern unberührt lassen. Denn das Verbot bezieht sich auf den Inhalt der zu unterlassenden Äußerung und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall. Demzufolge fallen die streitgegenständlichen Veröffentlichungen nicht unter den Verbotstenor. Durch die Beschlussverfügung des LG vom 23.1.2020 ist der Schuldnerin untersagt worden, über eine neue Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten, insbesondere im Einzelnen wiedergegebene Aussagen zu behaupten oder zu verbreiten (wie in "Closer", 15.1.2020). Hiermit ist der Schuldnerin nicht generell verboten worden, über eine Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten; ihr ist kein abstraktes Themenverbot auferlegt, sondern - wie im Senatsurteil vom 11.12.2012 (VI ZR 314/10, AfP 2013, 57) gefordert - lediglich eine erneute Berichterstattung in einem konkreten Kontext untersagt worden ("wenn dies geschieht wie").

Die Äußerungen der Schuldnerin in den Veröffentlichungen vom 30.1., 19.2., 26.2. und 4.3.2020 unterscheiden sich in Bezug auf Inhalt und Kontext aber erheblich von den verbotenen Äußerungen. Während in dem der Verbotsverfügung zugrundeliegenden Artikel in der Zeitschrift "Closer" vom 15.1.2020 unter Berufung auf Insider über das Bestehen einer Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern und darüber spekuliert wird, ob sie zusammenpassen, befassen sich die anderen Veröffentlichungen der Schuldnerin jeweils mit einem Verhalten der Gläubigerin, mit dem sie sich gezielt an die Öffentlichkeit gewandt oder das sie in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Aufgrund dieser Unterschiede in Bezug auf Inhalt und Kontext können die Äußerungen der Schuldnerin in den späteren Veröffentlichungen weder als identische noch als sinngemäße Wiederholung der verbotenen Aussagen angesehen werden.

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