Unzulässige Verfassungsbeschwerden gegen Beschlüsse des BGH zu Schiedsklauseln in Investitionsschutzverträgen
BVerfG v. 31.7.2025 - 2 BvR 1277/23 u.a.I. Zum Verfahren 2 BvR 1277/23: Im Jahr 1969 trat für die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (ICSID-Übereinkommen) in Kraft. Nach Art. 1 des ICSID-Übereinkommens wird das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID-Zentrum) errichtet, dessen Zweck es ist, nach Maßgabe dieses Übereinkommens Vergleichs- und Schiedseinrichtungen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Vertragsstaaten und Angehörigen anderer Vertragsstaaten zur Verfügung zu stellen.
Der Vertrag über die Energiecharta vom 17. Dezember 1994 (ECV) wurde von der Europäischen Gemeinschaft, deren Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Italiens) und der Europäischen Atomgemeinschaft als gemischtes völkerrechtliches Abkommen insbesondere mit seinerzeit assoziierten osteuropäischen Staaten geschlossen. Es handelt sich um einen multilateralen Vertrag, der private Investitionen im Bereich des Energiesektors in den Vertragsstaaten schützen soll.
Im Jahr 2012 wurde die Zulassung der Errichtung und des Betriebs von Windparks im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland neu geregelt. Ein Planfeststellungsverfahren löste das frühere Genehmigungsverfahren ab. Nach der neuen Rechtslage hatte der Verfahrensstand, den die Beschwerdeführerinnen nach früher geltendem Recht für durch sie entwickelte Off-shore-Windparks erreicht hatten, einschließlich der bereits erteilten Genehmigung für die Zulassung des Betriebs, keine rechtliche Bedeutung mehr. Das BVerfG erklärte mit Beschluss vom 30.6.2020 das Gesetz zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (WindSeeG) insoweit mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar, als nach Maßgabe der Entscheidungsgründe eine Ausgleichsregelung erforderlich sei. Daraufhin wurde § 10a WindSeeG erlassen, wonach den Trägern eines beendeten Vorhabens nunmehr ein Anspruch auf Erstattung näher bestimmter Kosten gewährt wird. Hiervon machten die Beschwerdeführerinnen Gebrauch.
Sie beantragten zudem beim ICSID-Zentrum die Einleitung eines Schiedsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland und machten u.a. Schadensersatz geltend. Die Bundesrepublik Deutschland stellte vor dem KG erfolglos einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des ICSID-Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO. Mit angegriffenem Beschluss stellte der BGH auf die Rechtsbeschwerde der Bundesrepublik Deutschland fest, dass das von den Beschwerdeführerinnen eingeleitete ICSID-Schiedsverfahren unzulässig sei. Seine internationale Zuständigkeit für den Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO ergebe sich aus der analogen Anwendung des § 1025 Abs. 2 ZPO. Der Antrag sei auch statthaft. Die Sperrwirkung des ICSID-Schiedsverfahrens betreffend ein Verfahren vor den staatlichen Gerichten greife hier - in der besonderen Konstellation eines Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahrens - ausnahmsweise wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts - auch gegenüber dem Völkerrecht - nicht durch.
II. Zum Verfahren 2 BvR 85/24: Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Indien, zugleich die Beschwerdeführerin, schlossen am 10.7.1995 einen Investitionsschutzvertrag. Die Republik Indien kündigte diesen bilateralen Investitionsschutzvertrag, der infolgedessen am 4.6.2017 außer Kraft trat.
Ein Schiedsspruch, der auf Antrag eines Investors aus der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens erging und die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, wurde durch Beschluss des KG teilweise für vollstreckbar erklärt. Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde wies der BGH zurück. Das KG sei zutreffend davon ausgegangen, dass keine Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung des streitgegenständlichen Schiedsspruchs vorlägen. Der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs stehe insbesondere nicht die Achmea-Rechtsprechung des EuGH entgegen. Diese Rechtsprechung sei nicht auf bilaterale Investitionsschutzabkommen von Mitgliedstaaten der EU mit Drittstaaten übertragbar. Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV sei nicht veranlasst. Insbesondere sei geklärt, dass Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzverträgen zwischen einem Mitgliedstaat der EU und einem Drittstaat dem Unionsrecht nicht widersprächen.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden als unzulässig zurückgewiesen.
Die Gründe:
I. Die Beschwerdeführerinnen im Verfahren 2 BvR 1277/23 haben insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und einen Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht substantiiert dargetan.
1. Die Ausführungen des BGH zur erweiternden Auslegung des § 1025 Abs. 2 ZPO, soweit er auf § 1032 Abs. 2 ZPO verweist, sind nachvollziehbar und folgen den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung.
2. Ein Widerspruch zu den Wertungen des Grundgesetzes durch die erweiternde Auslegung ist nicht substantiiert dargelegt.
Zwar spricht vieles dafür, dass die Auslegung des Bundesgerichtshofs in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes steht, weil sie gegen Art. 41 des ICSID-Übereinkommens verstößt. Allerdings begründet der BGH seine Auslegung mit einer Ausnahme im Anwendungsbereich des Unionsrechts. Soweit er sich auf die Achmea-Rechtsprechung des EuGH beruft, um den Konflikt mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Energiecharta und dem ICSID-Übereinkommen aufzulösen, ist er an deren Heranziehung nicht deshalb gehindert, weil diese Rechtsprechung als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren wäre. Die Verfassungsbeschwerde bleibt insofern hinter den hohen Substantiierungsanforderungen an eine Ultra-vires-Rüge zurück.
Vor dem Hintergrund des Vortrags der Beschwerdeführerinnen ist nicht ersichtlich, dass die Achmea-Rechtsprechung und insbesondere ihre Erstreckung auf den Vertrag über die Energiecharta nicht auf einer vertretbaren Auslegung und Anwendung des Unionsrechts beruht und zu einer strukturellen Verschiebung von Kompetenzen auf die Europäische Union zulasten der Mitgliedstaaten führt.
Auch wenn die Entscheidung des BGH Bedenken aufwirft, ob sich die von ihm angenommene Verpflichtung, das Schiedsverfahren für unzulässig zu erklären, aus dem Unionsrecht und der Rechtsprechung des EuGH ergibt, ist jedenfalls nicht dargetan, dass sich die Entscheidung als unvertretbar und mithin objektiv willkürlich darstellt.
Überdies haben die Beschwerdeführerinnen ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht substantiiert dargelegt.
II. Auch die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 85/24 genügt nicht den Substantiierungsanforderungen. Die Beschwerdeführerin legt insbesondere eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend substantiiert dar. Sie zeigt nicht auf, dass der BGH eine Vorlage an den EuGH in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise unterlassen hat.
1. Der BGH hat die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV weder grundsätzlich verkannt noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in der angegriffenen Entscheidung ohne Vorlagebereitschaft bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen wäre. Er hat die im Raum stehenden Rechtsfragen erkannt und ist unter Einbeziehung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Rechtsprechung zur Unionsrechtswidrigkeit von Schiedsklauseln in Investitionsschutzverträgen zwischen Mitgliedstaaten der EU nicht übertragen lässt auf den vorliegenden Fall eines auf Grundlage eines bilateralen Investitionsschutzvertrags durchgeführten Schiedsverfahrens eines Investors aus einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaat.
2. Es ist weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der BGH hierdurch seinen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hätte.
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