18.03.2014

Verfassungsbeschwerden und Organstreitverfahren gegen ESM und Fiskalpakt erfolglos

Trotz der durch die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, den Fiskalpakt sowie weiktere Zustimmungs- und Begleitgesetze eingegangenen Verpflichtungen bleibt die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages hinreichend gewahrt. Es ist jedoch haushaltsrechtlich sicherzustellen, dass etwaige Kapitalabrufe nach dem ESM-Vertrag im Rahmen der vereinbarten Obergrenzen fristgerecht und vollständig erfüllt werden können und somit eine Aussetzung von Stimmrechten Deutschlands in den ESM-Gremien zuverlässig ausgeschlossen bleibt.

BVerfG 18.3.2014, 2 BvR 1390/12 u.a.
Der Sachverhalt:
Das Organstreitverfahren und die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen deutsche und europäische Rechtsakte im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dem Abschluss des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt), gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (soweit nicht verfahrensrechtlich abgetrennt) sowie gegen Unterlassungen des Bundesgesetzgebers und der Bundesregierung im genannten Zusammenhang.

Mit Urteil vom 12.12.2012 hatte es das BVerfG unter Maßgaben abgelehnt, eine einstweilige Anordnung gegen die Ratifizierung des ESM-Vertrages sowie des Fiskalpaktes und die Ausfertigung der innerstaatlichen Zustimmungs- und Begleitgesetze zu erlassen. Den Maßgaben zufolge war sicherzustellen, dass sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM i.H.v. rd. 190 Mrd. € beschränkt bleiben und die Regelungen über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM und die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht entgegenstehen.

Die ESM-Mitglieder verständigten sich auf eine gemeinsame Auslegungserklärung, die sie am 27.9.2012 abgaben. Zugleich gab die Bundesrepublik Deutschland eine ähnlich lautende einseitige Erklärung ab.

Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren hatten vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren sind, soweit zulässig, unbegründet. Der Gesetzgeber ist jedoch mit Blick auf die Zustimmung zu Art. 4 Abs. 8 des ESM-Vertrages verpflichtet, haushaltsrechtlich durchgehend sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland Kapitalabrufen nach dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus fristgerecht und vollständig nachkommen kann.

Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützte Wahlrecht gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die politische Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt. Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots i.S.v. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers schützt. Vor diesem Hintergrund darf der Gesetzgeber sich u.a. seines Budgetrechts nicht begeben, auch nicht in einem System intergouvernementalen Regierens. Für die Einhaltung des Demokratiegebots kommt es entscheidend darauf an, dass der Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten.

Das Zustimmungsgesetz zur Änderung des Art. 136 AEUV verletzt die Beschwerdeführer und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG. Insbes. führt Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht zum Verlust der Haushaltsautonomie des Bundestages, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes lediglich, einen Stabilitätsmechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren und bestätigt insofern die fortdauernde Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge.

Auch das Zustimmungsgesetz zur Einrichtung des ESM trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung. Die Bestimmungen des ESM-Vertrages sind mit der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages vereinbar. Aus der absoluten Höhe der hiermit eingegangenen Zahlungspflichten von derzeit rd. 190 Mrd. € lässt sich keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages ableiten. Die diesbzgl. Einschätzung des Gesetzgebers ist jedenfalls nicht evident fehlerhaft. Soweit nach dem Vertragswortlaut eine der Höhe nach unbegrenzte Zahlungspflicht zumindest denkbar erscheint, wird die Gefahr einer solchen Auslegung jedenfalls durch die gemeinsame Erklärung der ESM-Mitglieder vom 27.9.2012 sowie die einseitige Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom selben Tage in völkerrechtlich verbindlicher Weise ausgeschlossen.

Für Entscheidungen des ESM, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages betreffen, ist jedenfalls derzeit gesichert, dass sie nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in den Organen des ESM ergehen können, der Legitimationszusammenhang zwischen dem Parlament und dem ESM also nicht unterbrochen wird. Um eine Aussetzung der Stimmrechte zu vermeiden, hat der Bundestag nicht nur den anfänglich einzuzahlenden Kapitalanteil im Haushalt bereitzustellen, sondern im gebotenen Umfang durchgehend sicherzustellen, dass etwaige weitere Kapitalanteile jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können. Der Bundestag hat durch seine Verfahrensbevollmächtigten erklärt, das Liquiditätsmanagement der Finanzagentur GmbH sei hinreichend umsichtig und leistungsfähig, um fristgerechte Einzahlungen zu gewährleisten.

Linkhinweis:

  • Der Volltext ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 23 vom 18.3.2014
Zurück