15.03.2018

Verletzung der Pressefreiheit durch ungerechtfertigte Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung

Wird auf dem Titelblatt einer Zeitung eine inhaltlich offene Frage aufgeworfen, so kann nicht allein aufgrund des Eindrucks, dass für die Frage irgendein Anlass bestehen müsse, von einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung ausgegangen werden. Fragen, die auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten sind, können keinen Gegendarstellungsanspruch auslösen.

BVerfG 7.2.2018, 1 BvR 442/15
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin einer Wochenzeitschrift, auf deren Titelseite sie 2012 die auf einen Fernsehmoderator bezogene Frage publizierte: "Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?" Der zugehörige Artikel stellte dar, dass ein ehemaliger Klassenkamerad des Moderators im Jahr 1982 einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwischen beiden bereits seit längerem kein Kontakt mehr bestanden, was der Beschwerdeführerin bekannt war. Sie wurde letztinstanzlich durch das Pfälzische OLG Zweibrücken zum Abdruck einer Gegendarstellung des Moderators verurteilt.

Auf eine erste Verfassungsbeschwerde hin hob das BVerfG die Entscheidungen auf und verwies die Sache an das LG zurück, da die Fachgerichte sich nicht in einer den Anforderungen des GG genügenden Weise mit der Einordnung des Fragesatzes auf der Titelseite auseinandergesetzt hatten. Da die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich die Gegendarstellung abgedruckt hatte, erklärte der Verfügungskläger das Ausgangsverfahren für erledigt. Das OLG erkannte letztinstanzlich auf Feststellung der Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens und erlegte der Beschwerdeführerin die Kosten auf, weil die Beschwerdeführerin zu Recht zur Gegendarstellung verpflichtet worden sei. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer.

Das BVerfG gab der erneuten Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin statt und verwies die Sache an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Beschwerdeführerin beeinträchtigt diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukommt, ist eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen.

Gegendarstellungsfähig sind nach § 11 LMG RP nur Tatsachen, die die Presse zuvor behauptet hat. Wenn demgegenüber eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung voranging, ist die Pressefreiheit verletzt. Ebenso liegt ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, obwohl es sich bei der ursprünglichen Veröffentlichung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Hiernach konnte der ermittelte Sinngehalt der Titelseitenüberschrift keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Es handelte sich um eine Frage, der ein hinreichender tatsächlicher Gehalt fehlte.

Derjenige, der von einer Tatsachenbehauptung der Presse betroffen ist, kann dem Bericht mit einer eigenen Darstellung des tatsächlichen Geschehens entgegentreten. Der Betroffene soll so die Möglichkeit bekommen, die Frage der Wahrheit vorläufig in die Schwebe zu bringen. Die Frage, welche Darstellung letztlich die Wahrheit auf ihrer Seite hat und wie weit ein Betroffener erzwingen kann, dass der Äußernde von seiner Äußerung inhaltlich abzurücken oder sie zukünftig zu unterlassen hat, ist dann erforderlichenfalls in anderen Verfahren, etwa im Rahmen einer Unterlassungs- oder Widerrufsklage, zu klären. Diese Struktur des Gegendarstellungsrechts wird verlassen, wenn das OLG in eine offene Aufmacherfrage die verdeckte Tatsachenbehauptung interpretiert, dass für das Aufwerfen der Frage hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden.

Zwar ist es unbedenklich, dass ein Gegendarstellungsverlangen in Anknüpfung an verdeckte Tatsachenbehauptungen gewährt werden kann. So kann etwa, wenn sich dem verständigen Empfänger aus dem Gesamtzusammenhang einer Presseberichterstattung der Eindruck bestimmter Behauptungen unabweisbar aufdrängt, hiergegen auch eine Eindrucksgegendarstellung zulässig sein. Voraussetzung ist freilich, dass sich der Eindruck auf bestimmte Tatsachen bezieht. In der Regel sind allerdings Fragen auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten. Sie sind nicht gegendarstellungsfähig, denn Tatsachen werden nicht behauptet, sondern allenfalls gesucht. Allein der Eindruck, dass für das Aufwerfen einer inhaltlich offenen Aufmacherfrage irgendein Anlass bestehen müsse, genügt danach zur Annahme einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung nicht.

Solche Aufmacherfragen können das Problem aufwerfen, ob oder wieweit die betroffenen Personen zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden dürfen, nicht aber das Problem der Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Aussagen. Allerdings kann ein Schutzbedürfnis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gegenüber Aufmacherfragen bestehen. Sofern diese - wie hier - keine bestimmten Tatsachenbehauptungen enthalten, ist dem Schutzbedürfnis der Betroffenen durch andere presserechtliche Institute Rechnung zu tragen. Der unberechtigten Erörterung ehrverletzender Fragen oder privater Angelegenheiten, auch in der Einkleidung von Aufmacherfragen, kann insbesondere mit der Unterlassungsklage entgegengetreten werden. Soweit Äußerungen in Frage stehen, die allein zur Steigerung des Umsatzes bewusst falsch oder bewusst ohne jede Berechtigung auf Kosten Dritter getroffen werden, kommt auch die Anerkennung einer Entschädigung in Betracht, die künftig zu einem wirksamen Schutz führt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 13 vom 14.3.2018
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