31.07.2015

Versammlungsfreiheit auf den nicht dem Sicherheitsbereich eines Flughafens zugehörenden Teil mit diversen Gewerbeansiedlungen

Ein der Öffentlichkeit allgemein geöffnetes und zugängliches Straßen- und Wegenetz auf dem Gelände eines in Privatrechtsform betriebenen Unternehmens der öffentlichen Hand (hier: Flughafen Berlin-Schönefeld) ist auch dann vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG erfasst, wenn es nicht einer zum Verweilen und Flanieren einladenden Einkaufsstraße oder Fußgängerzone, sondern eher einem Gewerbegebiet gleichgestellt werden kann.

BGH 26.6.2015, V R 227/14
Der Sachverhalt:
Die Beklagte, deren Gesellschafter die Länder Berlin und Brandenburg sowie die Bundesrepublik Deutschland sind, ist Betreiberin des Flughafens Berlin-Schönefeld und Eigentümerin des Flughafengeländes. Letzteres ist in einen Sicherheitsbereich, zu dem der eigentliche Flughafen einschließlich der Flugfelder gehört, und in einen Betriebsbereich unterteilt. Der für jedermann frei zugängliche Betriebsbereich ist durch einen Zaun eingefriedet. Der Zugang erfolgt über zwei Außentore, an deren Einfahrt darauf hingewiesen wird, dass es sich um Privatgelände handelt. Einrichtungen für eine Zugangskontrolle sind vorhanden, jedoch führt die Beklagte eine Kontrolle nur ausnahmsweise in Einzelfällen durch.

Auf dem Betriebsbereich ist eine Unterkunft für Asylsuchende, die im Rahmen des sog. "Flughafenasylverfahrens" genutzt wird und von Sommer bis November 2013 auch als Erstunterkunft für Asylsuchende diente. Daneben befinden sich auf dem Betriebsbereich die Geschäftsführung der Beklagten, verschiedene im Zusammenhang mit dem Flughafenbetrieb stehende Behörden und privatwirtschaftliche Unternehmen, ein Cargo-Center, ein Konferenzzentrum mit Betriebsrestaurant sowie die Praxis eines Facharztes für Allgemein- und Flugmedizin. Ferner wird auf dem Gelände die "Bürgersprechstunde Schallschutz" durchgeführt.

Der Kläger möchte als Mitglied der "Ordensleute gegen Ausgrenzung" vor der Asylbewerberunterkunft auf dem Parkplatz vor dem Cargo-Center an verschiedenen Terminen Versammlungen von maximal zwei Stunden Dauer mit bis zu 50 Personen und anschließender Demonstration vom Kundgebungsort auf direktem Weg zum Ausgang des Betriebsgeländes abhalten und verlangt von der Beklagten die Duldung.

AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des AG auf und änderte das Urteil des LG dahingehen ab, dass die Beklagte verurteilt wird, am 3.10.2015 für eine Zeit von nicht länger als zwei Stunden auf ihrem Betriebsgelände eine Versammlung des Klägers in Form einer Kundgebung vor dem Gebäude G005 auf dem Parkplatz gegenüber dem Cargo-Center mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 50 Personen sowie einer anschließenden Demonstration von dem Kundgebungsort auf direktem Weg zum Ausgang des Betriebsgeländes zu dulden, soweit ihr der genaue Versammlungszeitpunkt 48 Stunden im Voraus mitgeteilt worden ist.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus Art. 8 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Duldung der für den 3.10.2015 geplanten Versammlung auf dem Betriebsbereich des Flughafens zu.

Nicht frei von Rechtsfehlern ist insbesondere die Ansicht des LG, der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erstrecke sich nicht auf den hier in Rede stehenden Teil des Betriebsgeländes des Flughafens. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Dies gewährleistet den Grundrechtsträgern auch das Recht, selbst zu bestimmen, wo eine Versammlung stattfinden soll. Die Versammlungsfreiheit verschafft allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.

Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft den öffentlichen Straßenraum als Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Hiervon ausgehend stellt das Gelände, auf dem der Kläger die Versammlungen durchführen will, einen Ort dar, an dem - vergleichbar dem öffentlichen Straßenraum - ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Der Umstand, dass das Gelände durch einen Zaun eingefriedet ist und Einrichtungen für eine Zugangskontrolle vorhanden sind, steht dem nicht entgegen.

Entscheidend ist insoweit, dass der Zugang zu dem Betriebsgelände nicht kontrolliert wird, dieses vielmehr grundsätzlich von jedermann ungehindert betreten werden kann. Ausgeschlossen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs wäre das Gelände dann, wenn der Zugang nur für einzelne begrenzte Zwecke gestattet ist. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Der Zutritt zu dem Betriebsgelände mit seinen vielfältigen gewerblichen und behördlichen Ansiedelungen erfolgt zu unterschiedlichsten Zwecken, angefangen bei dem Mitarbeiter- und Kundenverkehr und der Belieferung der Unternehmen über den Besuch der Sprechstunde des Facharztes bis hin zur Wahrnehmung der für jedermann zugänglichen Bürgersprechstunde Schallschutz.

Der hier in Rede stehende Teil des Betriebsgeländes stellt auch einen Ort dar, an dem ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Straßen- und Wegeflächen des Betriebsgeländes nicht einer - zum Verweilen und Flanieren einladenden - Einkaufsstraße oder Fußgängerzone, sondern eher einem Gewerbegebiet gleichgestellt werden können. Maßgeblich ist allein, dass das Straßennetz des Betriebsgeländes - wie der öffentliche Straßenraum - allgemein und ohne Einschränkung dem Publikum geöffnet ist und es dadurch die Bedingungen bietet, um Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut "auf die Straße zu tragen".

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