17.06.2013

Verschlüsselung und Entschlüsselung sind unterschiedliche Vorgänge

Auch wenn aus technischer Sicht der Anwendung eines in der Patentanmeldung offenbarten Verfahrens (hier: Verschlüsselungsverfahrens) zeitlich nachgeordnet ein weiteres Verfahren (hier: Entschlüsselungsverfahren) folgen muss, um insgesamt ein sinnvolles Ergebnis zu erreichen, kann in der Regel nicht gefolgert werden, dass das weitere Verfahren auch ohne Erwähnung als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Dies gilt auch dann, wenn dem Fachmann mit der Beschreibung des ersten Verfahrens alle Informationen an die Hand gegeben werden, die er benötigt, um auch das weitere Verfahren auszuführen.

BGH 9.4.2013, X ZR 130/11
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin eines mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents, das im November 1994 angemeldet wurde und auf eine europäische Stammanmeldung zurückgeht. Das Streitpatent nimmt eine japanische Priorität aus November 1993 in Anspruch. Es betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Aufzeichnung von Informationssignalen. Die Stammanmeldung offenbart ein Verfahren zur Aufnahme von Informationssignalen auf ein Aufzeichnungsmedium, das aus einer Vielzahl von kreisförmigen Spuren gebildet wird, insbesondere ein Verfahren zur Aufnahme von mit Verschlüsselungssignalen verschlüsselten Informationssignalen.

Ein Verfahren zur Wiedergabe und zur Entschlüsselung der aufgenommenen Informationssignale, die vor der Wiedergabe zu erfolgen hätte, ist weder der zitierten Einleitung der Beschreibung, noch der Beschreibung der Erfindung und der Ausführungsbeispiele, noch den Patentansprüchen der Stammanmeldung zu entnehmen. Weder ist eine konkrete Ausgestaltung eines derartigen Verfahrens beschrieben, noch ist es in abstrakter Form erwähnt. Infolgedessen hatte die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Stammanmeldung hinaus.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Das Patentgericht hatte zutreffend angenommen, dass den Ursprungsunterlagen ein Verfahren oder eine Vorrichtung, mit der erfindungsgemäß verschlüsselte Signale zum Zwecke der Wiedergabe der Information entschlüsselt werden können, nicht unmittelbar und eindeutig als Bestandteil der zum Patent angemeldeten Erfindung zu entnehmen waren.

Auch bei der gebotenen Berücksichtigung des Verständnisses des Fachmanns, eines mit der Aufzeichnung von Informationssignalen auf Datenträger betrauten Diplomphysikers oder Diplomingenieurs der Fachrichtung Elektrotechnik mit Hochschulabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der digitalen Signalverarbeitung, der die Stammanmeldung zur Kenntnis nimmt und ihren Gesamtinhalt mit Hilfe seines Fachwissens erfasst, konnte das Wiedergabe- und Entschlüsselungsverfahren nicht als zur Erfindung gehörend "mitgelesen" werden.

Zwar sprach die Stammanmeldung die Wiedergabe ausdrücklich an und die erfindungsgemäßen Maßnahmen sollten gerade der fehlerfreien Auslegung und Wiedergabe der Information dienen. Es mochte schließlich auch zutreffen, dass, wie im Parteigutachten ausgeführt, dem Fachmann bekannt ist, dass zur Rekonstruktion der Informationsfolge nach einer Verschlüsselung mittels einer Exklusiv-Oder-Verknüpfung eine Entschlüsselung mittels derselben Methode gegenüberstehen muss. Dies änderte jedoch nichts daran, dass auch nach dem Verständnis des Fachmanns Verschlüsselung und Entschlüsselung unterschiedliche Vorgänge sind und unterschiedliche Funktionen haben.

Bei einem engen technischen Zusammenhang, wie er hier zwischen der erfindungsgemäßen Verschlüsselung und der ihr folgenden Entschlüsselung bestand, kann zwar auch ein kurzer Hinweis in der Beschreibung ausreichen, um dem fachmännischen Leser der Anmeldung deutlich zu machen, dass auch der nicht im Einzelnen beschriebene Bereich zu der angemeldeten Erfindung gehören soll. Im vorliegenden Fall bot die Beschreibung dafür allerdings keinerlei Anhalt.

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