08.12.2025

Verstoß gegen Rundfunkfreiheit durch Wohnungsdurchsuchung bei Redakteur

Unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG reicht ein auf vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen gestützter Tatverdacht für eine auf § 102 StPO gegründete Durchsuchung bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO genannten Personen nicht aus. Der Anfangsverdacht muss vielmehr auf konkreten Tatsachen beruhen.

BVerfG v. 3.11.2025 - 1 BvR 259/24
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist freier Journalist und Redakteur des Rundfunksenders Radio Dreyeckland. Am 30.7.2022 veröffentlichte er einen Artikel, in dem zwei Textstellen mit einem Hyperlink versehen waren. Einer davon führte auf die Archivseite des Portals "linksunten.indymedia". Der Verein "linksunten.indymedia" war im August 2017 vom Bundesministerium des Innern auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG und § 3 Vereinsgesetz verboten und dessen Internetpräsenzen aufgelöst worden. Seit April 2020 wurde unter der infrage stehenden URL jedoch ein Archiv der ursprünglichen Internetseite eingestellt.

Aufgrund des Artikels wurde gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Polizei durchsuchte daraufhin im Januar 2023 die Privatwohnung des Beschwerdeführers und beschlagnahmte u.a. einen Laptop, zwei Mobiltelefone und mehrere Datenträger. Das OLG Stuttgart bestätigte den Durchsuchungsbeschluss des AG Karlsruhe. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg.

Die Gründe:
Der Durchsuchungsbeschluss des AG Karlsruhe sowie die Beschwerdeentscheidung des OLG Stuttgart verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Es fehlt bereits an dem erforderlichen Anfangsverdacht für die Durchsuchung, so dass der Eingriff in die Rundfunkfreiheit nicht gerechtfertigt ist.

Auch eine Durchsuchung von Privaträumen eines Redakteurs ist eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Räumlichkeiten ein funktionales Äquivalent zu den Räumen eines Rundfunkunternehmens darstellen. Da der Beschwerdeführer seine Wohnung vorliegend (auch) zu journalistischen Zwecken als Redakteur nutzte und dementsprechend dort u.a. den für seine redaktionelle Arbeit verwendeten Laptop sowie mehrere Datenträger mit Redaktionsmaterial aufbewahrte, war die Durchsuchung der Wohnung mit einer Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung verbunden. Die Ermittlungsmaßnahme diente überdies auch der Erlangung von redaktionellem Material, aus dem Erkenntnisse über die Entstehung des Artikels gewonnen werden sollten.

Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG reicht ein auf vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen gestützter Tatverdacht für eine auf § 102 StPO gegründete Durchsuchung bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO genannten Personen nicht aus. Der Anfangsverdacht muss vielmehr auf konkreten Tatsachen beruhen. Die Entscheidungen lassen jedoch nicht hinlänglich erkennen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung mehr als nur vage Anhaltspunkte dafür bestanden haben, dass die Vereinigung "linksunten.indymedia" auch im Zeitpunkt der vorgeworfenen Tathandlung am 30.7.2022 weiterhin existierte. Die bloße Existenz einer seit mehreren Jahren nicht mehr aktualisierten Archivseite stellt für sich genommen keine konkrete Tatsache für die Annahme dar.

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