13.10.2014

Verurteilung wegen Patentverletzung: Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung bei Nichtigkeit des Klagepatents

Ist der Verletzungsbeklagte durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil, gegen das Einspruch oder Berufung eingelegt worden ist, wegen Patentverletzung verurteilt, ist es geboten, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gem. § 719 Abs. 1 und § 707 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren durch das BPatG für nichtig erklärt worden ist. Gleiches gilt im Revisionsverfahren und im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

BGH 16.9.2014, X ZR 61/13
Der Sachverhalt:
Das LG verurteilte die Beklagte wegen Verletzung des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 304 891 (Klagepatents) durch eine Kurznachrichtenfunktion von Mobiltelefonen zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Vernichtung und Rückruf und stellte die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz fest. Das OLG wies die Berufung zurück und ließ die Revision nicht zu. Dagegen erhob die Beklagte Beschwerde mit dem Ziel der Zulassung der Revision, über die der Senat noch nicht entschieden hat.

Unterdessen erklärte das BPatG auf die während des landgerichtlichen Verfahrens erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten mit Urteil vom 7.5.2014 (6 Ni 12/14) das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig. Vor Zustellung dieses Urteils beantragte die Beklagte, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Berufungsurteil einstweilen gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Diesen Antrag wies der Senat mit Beschluss vom 8.7.2014 (X ZR 61/13, juris nicht zu ersetzender Nachteil) zurück. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge der Beklagten.

Der BGH stellte die Zwangsvollstreckung aus den Urteilen des LG und des OLG gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 4 Mio. € einstweilen ein.

Die Gründe:
Die zulässige Anhörungsrüge ist zwar unbegründet. Sie ist jedoch zugleich als Gegenvorstellung anzusehen und führt im Hinblick auf die sich aus den nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen des Urteils des BPatG ergebende veränderte Sachlage zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung.

Die Zwangsvollstreckung aus einem wegen Patentverletzung verurteilenden Erkenntnis ist nach § 719 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 707 Abs. 1 ZPO vom LG oder vom Berufungsgericht grundsätzlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des BPatG für nichtig erklärt wird. Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht auch dann, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls setzt es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO aus, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Klage auf Nichtigerklärung des Patents entschieden ist. Etwas anderes ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass der Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird.

Ist der Verletzungsbeklagte bereits durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil wegen Patentverletzung verurteilt, reicht jedoch die Aussetzung allein nicht aus, um einer wahrscheinlichen Nichtigerklärung des Klagepatents Rechnung zu tragen. Vielmehr erschüttert die Erwartung des Verletzungsgerichts, das Klagepatent werde für nichtig erklärt werden, zugleich die Grundlage eines bereits ergangenen, auf Patentverletzung erkennenden Urteils oder Versäumnisurteils in einem solchen Maße, dass es grundsätzlich geboten ist, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Dies ist regelmäßig angezeigt, wenn das Klagepatent durch das erstinstanzlich zur Beurteilung seiner Rechtsbeständigkeit berufene BPatG bereits für nicht erklärt worden ist.

Hat das BPatG wie hier das Klagepatent für nichtig erklärt, ist die Zwangsvollstreckung auch dann in entsprechender Anwendung der §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Verletzungsverfahren vom Berufungsgericht bereits entschieden und aufgrund einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision oder einer zugelassenen Revision beim BGH anhängig ist. Die Einstellungsmöglichkeit nach den §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO tritt insoweit neben die von der Beklagten in erster Linie erstrebte und im Senatsbeschluss vom 8.7.2014 erörterte Einstellung nach § 719 Abs. 2 ZPO, deren Voraussetzungen, wie in diesem Beschluss näher ausgeführt wurde, nicht erfüllt sind.

Danach war auch im Streitfall die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil und dem Urteil des LG anzuordnen. Der dem angefochtenen Berufungsurteil zugrunde liegenden Einschätzung, die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, ist mit dem Urteil des BPatG die Grundlage entzogen. Die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe dieses Urteils enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses offensichtlich unrichtig ist. Vor diesem Hintergrund war die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil in entsprechender Anwendung von § 719 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.

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