14.01.2014

Vorläufiger Rechtsschutz: Stiftung Warentest unterliegt Ritter Sport im Streit um Schokoladen-Aroma

Die Stiftung Warentest kann sich bei den im Interesse der Allgemeinheit durchgeführten Warentests zwar auf eine weitgehende Meinungsäußerungsfreiheit berufen; diese Freiheit findet aber ihre Grenze in den ebenfalls geschützten Interessen der Anbieter, nicht in unbilliger Weise in ihrer Stellung am Markt beeinträchtigt zu werden. Von einem fairen Warentest kann nicht mehr gesprochen werden, wenn diesem in der zentralen Frage der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen (hier: Europäische Aroma-Verordnung) ein nicht vertretbares, zu enges Verständnis zugrunde liegt.

LG München I 13.1.2014, 9 O 25477/13
Der Sachverhalt:
Die beklagte Stiftung Warentest veröffentlicht im November 2013 auf ihrer Homepage und in ihrem Heft 12/2013 das Ergebnis einer Untersuchung verschiedener Nussschokoladen. Dabei erteilte sie der Sorte "Voll-Nuss" der klagenden Ritter Sport GmbH & Co. KG die Note "mangelhaft" und bewertete sie u.a. wie folgt: "Das Zutatenverzeichnis ist irreführend: Das Aroma ist nicht wie deklariert 'natürlich', da der nachgewiesene Aromastoff Piperonal chemisch hergestellt wird." Die Klägerin und die dem Rechtsstreit beigetretene Aromenlieferantin wenden sich gegen die Bewertung und machen geltend, die Feststellung der Beklagten, die getestete Schokolade der Klägerin enthalte den chemisch hergestellten Aromastoff Piperonal, sei falsch.

Der Stoff Piperonal könne in einer Vielzahl natürlicher botanischer Quellen (z.B. Pfeffer, Vanille) nachgewiesen werden. Für die Schokolade aus dem Hause der Klägerin werde der Aromastoff Piperonal aus pflanzlichen Ausgangsstoffen durch zugelassene Verfahren nach der Europäischen Aromenverordnung (VO (EG) Nr. 1334/2008) gewonnen. Die Beklagte könne sich in Bezug auf die streitgegenständliche Berichterstattung auch nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, nachdem sie nicht nachweisen könne, dass sie die erforderliche journalistische Sorgfalt angewendet habe.

Die Beklagte hält dem entgegen, unstreitig enthalte die Schokolade 0,3 mg Piperonal/Heliotropin pro kg. Das von der Beklagten beauftragte unabhängige Prüfinstitut und die Beklagte hätten übereinstimmend festgestellt, dass Piperonal industriell durch eine chemische Oxidation hergestellt werde. Ein industrielles Herstellungsverfahren, das der Europäischen Aromen-Verordnung entspreche, sei jedoch weder der Beklagten noch dem beauftragten Prüfinstitut bekannt, so dass man auf einen Verstoß gegen die Aromen-Verordnung geschlossen habe.

Das LG gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt und untersagte es der Beklagten, in Bezug auf die Voll-Nuss-Schokolade der Klägerin die streitgegenständlichen Behauptungen zu verbreiten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Beklagte hat bereits angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.

Die Gründe:
Die Klägerin wird durch die Testergebnis-Veröffentlichungen in ihren Rechten verletzt.

Grundsätzlich kann sich die Beklagte bei den im Interesse der Allgemeinheit durchgeführten Warentests zwar auf eine weitgehende Meinungsäußerungsfreiheit berufen. Diese Freiheit findet aber ihre Grenze in den ebenfalls geschützten Interessen der Klägerin, nicht in unbilliger Weise in ihrer Stellung am Markt beeinträchtigt zu werden. Diese Grenze ist vorliegend überschritten. Die dem Testergebnis zugrunde liegende Beurteilung beruht auf einer unzutreffenden und nicht mehr vertretbaren Auslegung der Europäischen Aroma-Verordnung durch die Beklagte. Auch im Übrigen steht die Testberichterstattung in der streitgegenständlichen Form außer Verhältnis zu den Aufgaben und Zielen einer sachlichen Verbraucheraufklärung.

Zwar ist das Bemühen der Beklagten um die Wahrung strenger Anforderungen an die Feststellung der "Natürlichkeit" eines Aromas nicht zu verkennen. Die Beklagte kommt damit im Grundsatz ihrem von der Meinungsfreiheit gedeckten Auftrag nach. Auch muss es der Beklagten frei stehen, höhere Standards als die geltenden anzumahnen, jedenfalls aber die geltenden Regelungen kritisch zu hinterfragen. Allerdings hat die Beklagte in ihrer Testberichterstattung die Gründe für ihre Erwägungen nicht offengelegt. Der Verbraucher kann insoweit nicht nachvollziehen, warum die Beklagte zu ihrer Bewertung gelangt ist. Jedenfalls nimmt die Berichterstattung eine Unschärfe in Kauf, die nicht erforderlich ist, um das Ziel der Verbraucheraufklärung zu erreichen.

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nie eine Gefährdung der Verbraucher bestanden hat. Vielmehr geht es allein um die Vereinbarkeit der Angabe "natürliches Aroma" mit der von der Beklagten im Ergebnis unzutreffend vorgenommenen Auslegung der Europäischen Aromen-Verordnung. Die schlicht verbraucherpolitische Forderung kann eine so wenig transparente Berichterstattung nicht rechtfertigen, zumal der Anschein einer tatsächlichen Feststellung ("chemisch hergestellt") geweckt wird.

Von einem fairen Warentest kann letztlich nicht gesprochen werden, wenn diesem in der zentralen Frage der Auslegung der Bestimmungen der Aromen-Verordnung ein nicht vertretbares, zu enges Verständnis zugrunde liegt. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Beklagte ohne Offenlegung der zugrundeliegenden Wertung aus einer scheinbaren Tatsache nicht nur abgeleitet hat, dass es sich um kein natürliches Aroma handele, sondern sogar eine angebliche, zur mangelnden Verkehrsfähigkeit der Schokolade führende Irreführung der Verbraucher behauptet hat.

LG München I PM Nr. 1 vom 13.1.2014
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