18.11.2021

Wettbewerbliche Eigenart eines Regalsystems nicht aufgrund der Marktentwicklung entfallen

Die wettbewerbliche Eigenart entfällt nicht, solange das Original eines Ladenbau-Regalsystems noch als Bezugsgröße für kompatible Nachahmungen gilt und der Verkehr nach wie vor zwischen dem Originalsystem und den Nachahmungen unterscheidet.

OLG Köln, Urt. v. 4.6.2021 - 6 U 152/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin vertreibt ein vor mehr als 40 Jahren in Deutschland eingeführtes Regalsystem. Die Beklagte stellt ein mit dem klägerischen System kompatibles und optisch nahezu identisches Regalsystem her und liefert dieses nach Deutschland. Die Klägerin hielt das Regalsystem der Beklagten für eine unzulässige Nachahmung. Die Übernahme des Systems begründe eine Verwechslungsgefahr, die Beklagte nutze den guten Ruf des klägerischen Produktes aus und stelle qualitativ minderwertige Regalsysteme her. Die Klägerin begehrte Unterlassung, Auskunft sowie die Feststellung von Schadensersatz.

Das LG hat die Klage erstinstanzlich abgewiesen, auf die Berufung der Klägerin hat das OLG mit Urteil vom 22.6.2011 der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH mit Urteil vom 24.1.2013 (Az. I ZR 136/11) die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Klage hatte Erfolg.

Die Gründe:
Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu, weil die Beklagte eine nach § 3 UWG unzulässige Handlung vornimmt. Außerdem bestehen auch die Annexansprüche auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung aus § 242 BGB, § 9 UWG, § 256 ZPO.

Der Vertrieb des kompatiblen und optisch nahezu identischen Regalsystems durch die Beklagte erfüllt den Tatbestand einer unlauteren Nachahmung, jedenfalls in Form einer unangemessenen Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Regalsystems (§ 4 Nr. 9 lit. b Alt. 2 UWG a.F. bzw. § 4 Nr. 3 lit. b Alt. 2 UWG n.F.). Es kann dahinstehen, ob darüber hinaus auch eine vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 lit. a UWG a.F. bzw. § 4 Nr. 3 lit. a UWG n.F.) und/oder eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung (§ 4 Nr. 9 lit. b Alt. 1 UWG a.F. bzw. § 4 Nr. 3 lit. b Alt. 1 UWG n.F.) vorliegen.

Der Vertrieb einer Nachahmung (§ 4 Nr. 9 UWG a.F. bzw. § 4 Nr. 3 UWG n.F.) ist wettbewerbswidrig, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zur Begründung der Unlauterkeit der Nachahmung zu stellen. Die Produkte der Klägerin und der Beklagten sind nahezu identisch. Das von der Klägerin angebotene Regalsystem verfügte bei Klageerhebung über eine durch hohe Verkehrsbekanntheit gesteigerte wettbewerbliche Eigenart (über 30 Jahre erfolgreiche Vermarktung, mind. 30 Prozent Marktanteil, aktive Verteidigung gegen Nachahmungen und Kompatibilitätsinteresse).

Ein Produkt besitzt hingegen keine wettbewerbliche Eigenart mehr, wenn seine prägenden Gestaltungsmerkmale aufgrund der Marktverhältnisse vom Verkehr nicht mehr einem bestimmten Hersteller, einem mit diesem vertraglich verbundenen Unternehmen oder einer bestimmten Ware zugeordnet werden. Auch bei einem großen Angebot von Nachahmungen geht die wettbewerbliche Eigenart nicht verloren, solange der Verkehr noch zwischen Original und Kopie unterscheidet und die Kopie ohne Weiteres oder nach näherer Prüfung als solche erkennbar ist. In einem solchen Fall liegt allerdings keine vermeidbare Herkunftstäuschung vor, die Unlauterkeit der Nachahmung muss sich dann aus anderen Umständen ergeben. Die wettbewerbliche Eigenart des klägerischen Regalsystems ist vorliegend allerdings nicht aufgrund der Marktentwicklung nach Erlass der BGH-Entscheidung im Januar 2013 entfallen. Es ist nicht feststellbar, dass das Regalsystem durch eine Vielzahl unbeanstandet gebliebener Nachahmungen inzwischen Allgemeingut geworden ist, dass der Verkehr nicht mehr zwischen dem Original und den kompatiblen Nachahmungen unterscheidet oder dass die Klägerin nicht mehr gegen Nachahmer vorgeht.

Durch das Angebot der Produktnachahmung beeinträchtigt die Beklagte die Wertschätzung des Original-Regalsystems auch in unangemessener Weise. Eine unangemessene Beeinträchtigung liegt vor, wenn ein nahezu identisches Produkt nicht (jedenfalls im Wesentlichen) denselben Qualitätsmaßstäben genügt, die der Originalhersteller durch seine Ware gesetzt hat. Vorliegend bleibt das von der Beklagte kompatibel vertriebene Regalsystem in einzelnen Teilen qualitativ nicht lediglich geringfügig hinter dem klägerischen Regalsystem zurück, bei bestimmten Mischungen von Regalteilten entstehen außerdem Qualitätsbeeinträchtigungen, eine Kompatibilität ist mithin nicht gegeben.

Zurück