Wirecard-Insolvenzverwalter hat Anspruch auf Auskunft über Inhalt von Handakten gegen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
BGH v. 11.12.2025 - III ZR 438/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in den Insolvenzverfahren über die Vermögen der Wirecard AG i.L. und der Wirecard Technologies GmbH i.L. Er verlangt Auskunft über den Inhalt von und Einsicht in Handakten der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus deren Tätigkeit als Abschlussprüferin sowie aufgrund einer forensischen Sonderuntersuchung. Zudem streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte die Vernichtung der Handakten unterlassen und bestimmte Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum Abschlussstichtag 31.12.2016 beantworten muss.
Die Beklagte war seit 2009 Abschlussprüferin für die Jahres- und Konzernabschlüsse der Wirecard AG und von 2014 bis 2019 auch Abschlussprüferin der Wirecard Technologies GmbH. Für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 erteilte sie den Jahres- und Konzernabschlüssen der Wirecard AG und den Jahresabschlüssen der Wirecard Technologies GmbH uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Die Wirecard AG beauftragte die Beklagte im September 2016 zudem, eine forensische Sonderuntersuchung unter dem Namen "Projekt Ring" durchzuführen. Diese hatte die Aufklärung von Vorwürfen im Zusammenhang mit einer von der Wirecard-Gruppe durchgeführten Unternehmensakquisition dreier indischer Gesellschaften zu angeblich oder tatsächlich überhöhten Preisen zum Gegenstand. Die Sonderuntersuchung wurde auf Betreiben des Vorstands der Wirecard AG im Jahr 2018 abgebrochen.
Am 16.3.2017 teilte die Beklagte der Wirecard AG mit, dass auf der Basis der vorliegenden Informationen in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss bis hin zur Einschränkung des Bestätigungsvermerks ergeben könnten. Am 29.3.2017 drohte die Beklagte abermals mit einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks, erteilte aber am 5.4.2017 dem Konzernabschluss einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Für das Geschäftsjahr 2019 versagte die Beklagte dem Jahres- und Konzernabschluss der Wirecard AG und dem Jahresabschluss der Wirecard Technologies GmbH den Bestätigungsvermerk. Im Anschluss hieran scheiterten Verhandlungen über eine Kreditfazilität, so dass die Finanzierung zur Fortführung der Geschäftstätigkeit nicht mehr gewährleistet war. Am 25.6.2020 beantragte die Wirecard AG wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, am 1.7.2020 stellte auch die Wirecard Technologies GmbH einen Insolvenzantrag. Der Kläger wurde jeweils zunächst zum vorläufigen und dann zum endgültigen Insolvenzverwalter über das Vermögen beider Gesellschaften bestellt.
Der Kläger beantragte im Wesentlichen, die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, welche Unterlagen sich in den Handakten befinden, die die Beklagte als Abschlussprüferin für die Wirecard AG sowie der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2014 bis 2019 angelegt hatte, die Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern, die nach Maßgabe der erteilten Auskunft verfügbaren Unterlagen herauszugeben, ihm Einsicht in die vollständigen Handakten zu gewähren und unter Androhung von Ordnungsmitteln die Vernichtung dieser Akten zu unterlassen. Zudem beantragte der Kläger, die Beklagte zur Beantwortung bestimmter Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum Abschlussstichtag 31.12.2016 zu verurteilen, sowie die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, welche Unterlagen sich in der Handakte befinden, die die Beklagte im Rahmen der forensischen Sonderuntersuchung "Projekt Ring" angelegt hat, die Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern und die nach Maßgabe der erteilten Auskunft verfügbaren Unterlagen herauszugeben, ihm Einsicht in die vollständige Handakte zu gewähren und unter Androhung von Ordnungsmitteln es zu unterlassen, die Handakte zu vernichten.
Das LG gab der Klage mit Teilurteil überwiegend statt und verurteilte die Beklagte in der ersten Stufe zur Erteilung der verlangten Auskünfte und zur Gewährung von Einsicht in die Handakten. Das OLG fügte dem Tenor Einschränkungen an und wies die Klage im Übrigen "in der Auskunftsstufe" ab sowie die weitergehende Berufung zurück. Gegen das Urteil legten beide Parteien Revision ein, soweit sie jeweils beschwert sind.
Die Gründe:
Die Klage ist hinsichtlich der Auskunft über den Inhalt der Handakten betreffend die Prüfungen der Abschlüsse der Wirecard AG sowie der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2016 bis 2019, wegen der Einsicht in die Handakten betreffend die Prüfungen für diese Geschäftsjahre, der Fragen zur Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG für das Geschäftsjahr 2016 sowie bezüglich der entsprechenden Ansprüche betreffend die forensische Sonderuntersuchung "Projekt Ring" begründet.
Die hierauf gerichteten Forderungen finden ihre Grundlage in § 675 Abs. 1, § 666 BGB i.V.m. § 80 Abs. 1 InsO. Die gegen die Anwendbarkeit von § 666 BGB erhobenen Rügen der Beklagten bleiben ohne Erfolg. Insbesondere enthalten das Wirtschaftsprüfer-, Handels-, Gesellschafts- und Unionsrecht keine vorrangigen Regelungen, die den Rückgriff auf diese Vorschrift ausschließen.
Nicht zu billigen waren die vom OLG ausgesprochenen Einschränkungen der Ansprüche dergestalt, dass "interne Arbeitspapiere (enge Auslegung), Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke des Beraters, Sammlungen vertraulicher Hintergrundinformationen" von der Verurteilung ausgenommen sein sollten. Zwar können derartige Dokumente von der Auskunfts- und Einsichtsgewährungspflicht des Beauftragten ausgenommen sein. Jedoch hat die Beklagte in den Vorinstanzen ihrer insoweit bestehenden Darlegungspflicht nicht genügt, obgleich sie Anlass hatte, hierzu vorzutragen.
Unbegründet hingegen ist die Klage wegen der Auskunft über den Inhalt der und der Einsicht in die Handakten betreffend die Prüfungen der Abschlüsse der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2014 und 2015. Die Ansprüche des Klägers sind insoweit verjährt. Ebenfalls unbegründet ist die auf Unterlassung der Vernichtung der Handakten betreffend die Prüfungen der Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre 2014 bis 2019 und die Sonderuntersuchung "Projekt Ring" gerichtete Klage. Insoweit fehlt die notwendige Begehungsgefahr.
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§ 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts
Kayser in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Rechtsprechung
Einsichtsrecht für Insolvenzverwalter in Handakten der für Wirecard tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
OLG Stuttgart vom 12.12.2023 - 12 U 216/22
Wolfgang Schur, ZIP 2024, 623
ZIP0065386
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BGH PM Nr. 228 vom 11.12.2025
Der Kläger ist Verwalter in den Insolvenzverfahren über die Vermögen der Wirecard AG i.L. und der Wirecard Technologies GmbH i.L. Er verlangt Auskunft über den Inhalt von und Einsicht in Handakten der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus deren Tätigkeit als Abschlussprüferin sowie aufgrund einer forensischen Sonderuntersuchung. Zudem streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte die Vernichtung der Handakten unterlassen und bestimmte Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum Abschlussstichtag 31.12.2016 beantworten muss.
Die Beklagte war seit 2009 Abschlussprüferin für die Jahres- und Konzernabschlüsse der Wirecard AG und von 2014 bis 2019 auch Abschlussprüferin der Wirecard Technologies GmbH. Für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 erteilte sie den Jahres- und Konzernabschlüssen der Wirecard AG und den Jahresabschlüssen der Wirecard Technologies GmbH uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Die Wirecard AG beauftragte die Beklagte im September 2016 zudem, eine forensische Sonderuntersuchung unter dem Namen "Projekt Ring" durchzuführen. Diese hatte die Aufklärung von Vorwürfen im Zusammenhang mit einer von der Wirecard-Gruppe durchgeführten Unternehmensakquisition dreier indischer Gesellschaften zu angeblich oder tatsächlich überhöhten Preisen zum Gegenstand. Die Sonderuntersuchung wurde auf Betreiben des Vorstands der Wirecard AG im Jahr 2018 abgebrochen.
Am 16.3.2017 teilte die Beklagte der Wirecard AG mit, dass auf der Basis der vorliegenden Informationen in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss bis hin zur Einschränkung des Bestätigungsvermerks ergeben könnten. Am 29.3.2017 drohte die Beklagte abermals mit einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks, erteilte aber am 5.4.2017 dem Konzernabschluss einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Für das Geschäftsjahr 2019 versagte die Beklagte dem Jahres- und Konzernabschluss der Wirecard AG und dem Jahresabschluss der Wirecard Technologies GmbH den Bestätigungsvermerk. Im Anschluss hieran scheiterten Verhandlungen über eine Kreditfazilität, so dass die Finanzierung zur Fortführung der Geschäftstätigkeit nicht mehr gewährleistet war. Am 25.6.2020 beantragte die Wirecard AG wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, am 1.7.2020 stellte auch die Wirecard Technologies GmbH einen Insolvenzantrag. Der Kläger wurde jeweils zunächst zum vorläufigen und dann zum endgültigen Insolvenzverwalter über das Vermögen beider Gesellschaften bestellt.
Der Kläger beantragte im Wesentlichen, die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, welche Unterlagen sich in den Handakten befinden, die die Beklagte als Abschlussprüferin für die Wirecard AG sowie der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2014 bis 2019 angelegt hatte, die Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern, die nach Maßgabe der erteilten Auskunft verfügbaren Unterlagen herauszugeben, ihm Einsicht in die vollständigen Handakten zu gewähren und unter Androhung von Ordnungsmitteln die Vernichtung dieser Akten zu unterlassen. Zudem beantragte der Kläger, die Beklagte zur Beantwortung bestimmter Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum Abschlussstichtag 31.12.2016 zu verurteilen, sowie die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, welche Unterlagen sich in der Handakte befinden, die die Beklagte im Rahmen der forensischen Sonderuntersuchung "Projekt Ring" angelegt hat, die Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern und die nach Maßgabe der erteilten Auskunft verfügbaren Unterlagen herauszugeben, ihm Einsicht in die vollständige Handakte zu gewähren und unter Androhung von Ordnungsmitteln es zu unterlassen, die Handakte zu vernichten.
Das LG gab der Klage mit Teilurteil überwiegend statt und verurteilte die Beklagte in der ersten Stufe zur Erteilung der verlangten Auskünfte und zur Gewährung von Einsicht in die Handakten. Das OLG fügte dem Tenor Einschränkungen an und wies die Klage im Übrigen "in der Auskunftsstufe" ab sowie die weitergehende Berufung zurück. Gegen das Urteil legten beide Parteien Revision ein, soweit sie jeweils beschwert sind.
Die Gründe:
Die Klage ist hinsichtlich der Auskunft über den Inhalt der Handakten betreffend die Prüfungen der Abschlüsse der Wirecard AG sowie der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2016 bis 2019, wegen der Einsicht in die Handakten betreffend die Prüfungen für diese Geschäftsjahre, der Fragen zur Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG für das Geschäftsjahr 2016 sowie bezüglich der entsprechenden Ansprüche betreffend die forensische Sonderuntersuchung "Projekt Ring" begründet.
Die hierauf gerichteten Forderungen finden ihre Grundlage in § 675 Abs. 1, § 666 BGB i.V.m. § 80 Abs. 1 InsO. Die gegen die Anwendbarkeit von § 666 BGB erhobenen Rügen der Beklagten bleiben ohne Erfolg. Insbesondere enthalten das Wirtschaftsprüfer-, Handels-, Gesellschafts- und Unionsrecht keine vorrangigen Regelungen, die den Rückgriff auf diese Vorschrift ausschließen.
Nicht zu billigen waren die vom OLG ausgesprochenen Einschränkungen der Ansprüche dergestalt, dass "interne Arbeitspapiere (enge Auslegung), Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke des Beraters, Sammlungen vertraulicher Hintergrundinformationen" von der Verurteilung ausgenommen sein sollten. Zwar können derartige Dokumente von der Auskunfts- und Einsichtsgewährungspflicht des Beauftragten ausgenommen sein. Jedoch hat die Beklagte in den Vorinstanzen ihrer insoweit bestehenden Darlegungspflicht nicht genügt, obgleich sie Anlass hatte, hierzu vorzutragen.
Unbegründet hingegen ist die Klage wegen der Auskunft über den Inhalt der und der Einsicht in die Handakten betreffend die Prüfungen der Abschlüsse der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH für die Geschäftsjahre 2014 und 2015. Die Ansprüche des Klägers sind insoweit verjährt. Ebenfalls unbegründet ist die auf Unterlassung der Vernichtung der Handakten betreffend die Prüfungen der Jahres- und Konzernabschlüsse für die Geschäftsjahre 2014 bis 2019 und die Sonderuntersuchung "Projekt Ring" gerichtete Klage. Insoweit fehlt die notwendige Begehungsgefahr.
Kommentierung | InsO
§ 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts
Kayser in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Rechtsprechung
Einsichtsrecht für Insolvenzverwalter in Handakten der für Wirecard tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
OLG Stuttgart vom 12.12.2023 - 12 U 216/22
Wolfgang Schur, ZIP 2024, 623
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Beratermodul Insolvenzrecht
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