24.11.2021

Wirecard-Skandal: Ablehnung einer Arrestanordnung mangels Schlüssigkeit

Jedenfalls beim Kauf von Aktien spricht grundsätzlich ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz mit überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten. Bei Investments mit rein spekulativem Charakter kann die entsprechende Vermutung jedoch eingeschränkt oder aufgehoben sein. Deshalb wäre in solchen Fällen neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der streitgegenständlichen Geschäfte wohl auch im Arrestverfahren eine konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung der Kausalität erforderlich.

OLG München v. 16.11.2021, 8 W 1541/21
Der Sachverhalt:
Den Feststellungen des LG zufolge ist Herr Dr. B. alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Antragsgegnerin. Außerdem war er von Januar 2002 bis Juni 2020 Vorstandsvorsitzender der W-AG. Der Antragssteller war größter Einzelaktionär der W-AG mit Anteilen im Wert von über 1,0 Mrd. €. Am 29.9.2021 hatte er wegen einer angeblichen Schadensersatzforderung i.H.v. rund 166.549 € die Anordnung des dinglichen Arrestes in das gesamte Vermögen der Antragsgegnerin gefordert. Zur Begründung des Anspruches hieß es, der Antragsteller habe im Zeitraum vom 15.5.20 bis 22.6.20 rund 166.549 € in die Aktie der Wirecard investiert; dabei seien Käufe in diesem Zeitraum abzüglich Verkäufe bereits berücksichtigt. Zur Glaubhaftmachung wurde auf Orderbelege in einem Anlagenkonvolut verwiesen.

Das LG hat den Arrestantrag mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, u.a. weil der behauptete Schaden nicht schlüssig dargelegt worden sei; der Antragsteller habe auch keine Aktien erworben, sondern Put-Optionen. Der Antragssteller war der Ansicht, es spiele keine Rolle, in was für ein Produkt er investiert habe, auch die erworbenen Wertpapiere hingen unmittelbar mit dem Aktienkurs der Wirecard zusammen. Das OLG hat die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der Antragsteller hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass ihm ein Arrestanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2 ZPO). Insbesondere fehlt es an schlüssigem Vortrag, aus welchen An- und Verkaufsgeschäften sich der geltend gemachte Schaden ergeben soll.

Zu den Schlüssigkeitsvoraussetzungen für die Höhe des Anspruchs bei einer Saldoklage über zahlreiche Kauf- und Verkaufsvorgänge gehört eine tatsächlich und rechnerisch nachvollziehbare Darstellung, aus der sich die einzelnen Käufe und -verkäufe sowie der Saldo - auch hinsichtlich der gehaltenen Wertpapiere - ergeben. Denn soweit der Antragsteller diese Wertpapiere noch halten sollte, käme wohl allenfalls eine Zug-um-Zug-Anordnung in Betracht.

Jedenfalls beim Kauf von Aktien spricht grundsätzlich ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz mit überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten (vgl. dazu Urteil des Senats vom 11.11.2021, Gz. 8 U 5670/21). Bei Investments mit rein spekulativem Charakter kann die entsprechende Vermutung jedoch eingeschränkt oder aufgehoben sein. Deshalb wäre in solchen Fällen neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der streitgegenständlichen Geschäfte wohl auch im Arrestverfahren eine konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung der Kausalität erforderlich. Dem genügen die apodiktischen Angaben des Antragstellers in der Antragsschrift hier offensichtlich nicht.

Wenn in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat mit denselben Antragstellervertretern bereits Bedenken gegen die Art der Schadensdarstellung erhoben wurden, ist ein erneuter Hinweis gem. § 139 ZPO nicht mehr erforderlich. Denn die entsprechende Kenntnis seiner Prozessbevollmächtigten als Wissensvertreter muss sich der hiesige Antragsteller gem. § 166 BGB zurechnen lassen.

Linkhinweis:

Weitere Beiträge zum Wirecard-Skandal finden Sie bei Otto Schmidt online.
Bayern.Recht
Zurück