04.12.2013

YouTube muss identifizierende Berichterstattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung nicht unterbinden

Das öffentliche Informationsinteresse kann eine identifizierende Berichterstattung über einen Verkehrsunfall mit fahrlässiger Tötung durch auf YouTube hochgeladene Videos rechtfertigen. Dem Betroffenen steht dann kein Löschungsanspruch gegen den Betreiber der Internetplattform YouTube zu.

OLG Hamm 23.9.2013, 3 U 71/13
Der Sachverhalt:
Im November 2008 verursachte der mit diplomatischer Immunität in Russland als Lehrer arbeitende Kläger in Moskau einen Verkehrsunfall, bei dem zwei russische Studenten getötet wurden. Aufgrund des Diplomatenstatus des Klägers wurde die Tat in Russland nicht verfolgt. Der Kläger konnte ohne Sanktion russischer Behörden nach Deutschland zurückkehren. In Deutschland wurde der Kläger für diese Tat im Jahre 2009 zu einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung, einer Geldbuße von 5.000 € und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.

Die Tat und ihre juristische Aufarbeitung waren wiederholt Gegenstand russischer Presseberichte. Unbekannte Nutzer thematisierten sie in Videos und luden diese auf die von der Beklagten betriebene Internetplattform YouTube hoch. Die Videos zeigen Berichte in russischer Spare mit deutschen Untertiteln. Dabei enthalten sie u.a. ein Foto, nennen den damaligen Namen des Klägers und eine frühere Adresse. Die vom Kläger verlangte Löschung aller Videos hat die Beklagte abgelehnt.

Das LG wies die Klage ab und verneinte einen Löschungsanspruch des Klägers. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Durch die Berichterstattung unter namentlicher Benennung und bildlicher Darstellung wird der Kläger zwar in seiner Beziehung zur Umwelt (Sozialsphäre) betroffen, in der er als unverantwortlicher Verkehrsteilnehmer negativ dargestellt wird. Diese Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts ist aber nicht widerrechtlich. Dies folgt aus einer Güter- und Interessenabwägung zwischen den Rechten und Interessen der beteiligten Parteien.

Bei einer identifizierenden Berichterstattung über Straftaten sind das Anonymitätsinteresse des Täters und sein Recht auf Resozialisierung berührt. Für den Kläger spricht, dass das Geschehen nach dem Ablauf der Bewährungszeit aus seiner strafrechtlichen Verurteilung über zwei Jahre abgeschlossen ist; andererseits hat er die Berichterstattung durch sein eigenes Verhalten hervorgerufen. Neben der strafrechtlichen Sanktion muss er hinnehmen, dass sich die Öffentlichkeit mit der Tat auseinandersetzt. Insoweit ist zugunsten der Beklagten das öffentliche Informationsinteresse zu beachten, das bei einer aktuellen Berichterstattung grundsätzlich überwiegt.

Vorliegend wurden die beanstandeten Videos spätestens Anfang 2010 hochgeladen, als der Fall noch aktuell war. Die Tat, bei der immerhin zwei Menschen zu Tode gekommen sind, ist ein Ereignis der Zeitgeschichte, bei dem der Täter im Rahmen einer aktuellen Berichterstattung namentlich benannt werden kann. Gegen die Rechtmäßigkeit der Berichterstattung spricht auch nicht, dass der Kläger behauptet, die Videos gäben ein unwahres Tatgeschehen wieder, weil suggeriert werde, er sei betrunken gefahren. Zwar muss eine Berichterstattung mit unwahren Tatsachenbehauptungen nicht hingenommen werden. Im vorliegenden Fall muss der Kläger die streitige Behauptung aber als wahr gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht bewiesen ist.

Die hochgeladenen Videos stammen von beliebigen Dritten und werden nicht überprüft. Im Unterschied zu Presseberichten gibt es bei den von Laien erstellten Videos kein erhöhtes Vertrauen in ihre inhaltliche Richtigkeit. Daraus folgt das sog. Laienprinzip, auf das sich auch die Beklagte stützen kann. Befasst sich ein Laie in einem Video mit einer die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheit, kann er sich hinsichtlich der mit dem Video verbreiteten Tatsachenbehauptungen auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Er muss nicht beweisen, dass die Tatsachen wahr, sondern nur darlegen, dass sie sorgfältig recherchiert sind. Diesen Anforderungen wurde im vorliegenden Fall genügt, weil die den Videos zugrunde liegende russische Presseberichterstattung von einer Trunkenheitsfahrt ausgeht und der Kläger dieser Berichterstattung auch nicht widersprochen hat.

Die Berichterstattung ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie noch im Jahre 2012 bei YouTube zu sehen war. Mit zeitlicher Distanz zur Straftat nimmt zwar das Interesse des Täters zu, mit seiner Tat nicht mehr konfrontiert zu werden. Allerdings besteht auch ein Interesse der Öffentlichkeit, geschichtliche Ereignisse von besonderer Bedeutung recherchieren zu können. Soweit die Berichterstattung bei ihrer Veröffentlichung rechtmäßig war, dürfen die Berichte auch in Online-Archiven weiter zum Abruf bereitgehalten werden, wenn das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls überwiegt. Letzteres trifft vorliegend nicht zu. Die Berichterstattung ist ausdrücklich als Altmeldung erkennbar. Der Resozialisierung des Klägers steht sie nicht entgegen, weil nur ältere Fotografien verwandt worden sind und der Kläger bereits vor Klageerhebung seinen Namen geändert hat.

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OLG Hamm PM vom 29.11.2013
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