19.01.2021

Zivilprozess um Honorar eines Tragwerkplaners

Das Mindestpreisgebot gem. § 7 Abs. 6 Satz 1 HOAI 2009 ist nach dem EuGH-Urteil vom 4.7.2019 (C-377/17) weiterhin anzuwenden. Die Dienstleistungsrichtlinie ist innerhalb eines privaten Rechtsverhältnisses nicht unmittelbar zulasten des Architekten oder Ingenieurs anwendbar. Der Tragwerkplaner hat keine eigenen Kostenermittlungen zu erstellen. Zur Berechnung seines Honorars muss ihm der Auftraggeber die Kostenberechnung des Objektplaners vorlegen. Geschieht dies nicht, kann der Tragwerkplaner selbst eine Kostenberechnung erstellen, die seiner Honorarberechnung zugrunde zu legen ist, soweit der Auftraggeber sie nicht konkret bestreitet.

KG Berlin v. 12.5.2020, 21 U 125/19
Der Sachverhalt:
Der klagende Diplom-Bauingenieur nimmt den Beklagten auf Zahlung von Honorar für die Tragwerksplanung zur Errichtung eines Anbaus an einen Imbissstand in Anspruch. Der Kläger erstellte im Februar 2013 eine statische Berechnung für das Bauvorhaben, überschrieben mit "Planungsphase 4 - Genehmigungsplanung". In der Vormerkung zu der Berechnung ist ferner aufgeführt: "Die Statische Berechnung umfasst das Leistungsbild der Phase 4 Genehmigungsplanung gem. HOAI und stellt keine Ausführungsplanung dar." Der Kläger ergänzte die Planung im Mai 2013. Unter Zugrundelegung der Mindestsätze der HOAI 2013 und der Honorarzone III verlangte er mit Rechnung von Juli 2013 ein Honorar von rd. 30.000 € für Leistungen der Leistungsphasen 1 bis 6 vom Beklagten. Dieser teilte dem Kläger daraufhin mit, er werde mangels Beauftragung keine Zahlungen leisten. Anfang 2014 nahm der Beklagte den Anbau in Betrieb.

Der Kläger behauptet, er sei am 28.1.2013 anlässlich einer Besprechung in seinem Büro mit Leistungen der Tragwerksplanung nach den Leistungsphasen 1 bis 6 beauftragt worden. Ferner sei die Abrechnung nach der HOAI 2013 auf der Grundlage einer Kostenschätzung mit einem Ansatz von 500 €/m³ und Anwendung von Honorarzone III vereinbart worden. Der Kläger behauptet im weiteren Verlauf des Rechtsstreits, die anrechenbaren Kosten hätten rd. 230.000 € netto betragen und reichte eine dies ergebende Kostenberechnung als Anlage ein. Er habe - unstreitig - die genauen Angaben über Bodenarbeiten, Bauwerksabdichtungen, tragende Außenwände, Außenstützen, Deckenkonstruktionen, Dachkonstruktionen, Dachbelege, Dachverkleidungen, Baustelleneinrichtungen für die Rohbauarbeiten nebst erforderlichen Mengen an Material erhalten und anhand dieser Angaben eine Nachberechnung erstellt. Der Kläger behauptet ferner, der Zeuge R habe als Prüfingenieur auf der Grundlage seiner statischen Berechnungen Prüfberichte zum Standsicherheitsnachweis erstellt. Der Beklagte bestreitet dies.

Das LG gab der auf Zahlung von rd. 30.000 € gerichteten Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von rd. 13.600 € als Mindesthonorar nach § 50 HOAI 2009 auf der Grundlage von anrechenbaren Kosten von rd. 230.000 €, weil von einem konkludent abgeschlossenen Vertrag über die Erbringung der Leistungsphasen 1 bis 4 der Tragwerksplanung durch Verwendung der Genehmigungsplanung des Klägers zur Erlangung der Baugenehmigung auszugehen sei, während dieser die bezüglich der Honorarvereinbarung behaupteten Umstände nicht unter Beweis habe stellen können. Im Übrigen wies das LG die Klage mit der Begründung ab, für die Leistungsphasen 5 und 6 fehle es an einer Auftragserteilung.

Die Berufung des Klägers hatte vor dem KG keinen Erfolg, die des Beklagten nur teilweise.

Die Gründe:
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Ein Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung für Leistungen der Ausführungsplanung i.S.d. Leistungsphase 5 gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 HOAI 2009 steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Berufung des Beklagten hat nur zum Teil Erfolg. Denn dem Kläger steht gem. § 631 Abs. 1 BGB, §§ 7 Abs. 6 Satz 1, 50, 49 HOAI 2009 ein Anspruch auf Vergütung von Leistungen der Tragwerksplanung zu, allerdings lediglich i.H.v. rd. 8.400 €.

Der Vergütungsanspruch des Klägers folgt dem Grunde nach aus § 631 Abs. 1 BGB. Zwischen den Parteien ist durch schlüssiges Verhalten ein Werkvertrag zustande gekommen. Der Vergütungsanspruch besteht jedoch gem. §§ 7 Abs. 6 Satz 1, 50 Abs. 1, 2, 49 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 HOAI 2009 lediglich i.H.v. rd. 8.400 €. Die Vorschriften der HOAI 2009, insbesondere das Mindestpreisgebot in § 7 Abs. 6 Satz 1 HOAI 2009, sind im hier vorliegenden Fall fehlender schriftlicher Honorarvereinbarung trotz der Entscheidung des EuGH vom 4.7.2019 (C-377/17), wonach die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, indem sie verbindliche Honorare für Architekten und Ingenieure beibehalten hat, anwendbar (Fortführung Senatsbeschluss vom 19.8.2019 - 21 U 20/19). Die Dienstleistungsrichtlinie ist innerhalb eines privaten Rechtsverhältnisses nicht unmittelbar zulasten des Architekten oder Ingenieurs anwendbar. Art. 49 AEUV ist auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt nicht anwendbar.

Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 HOAI 2009 richtet sich das Honorar für das Leistungsbild der Tragwerksplanung (Leistungsbild 4) nach den anrechenbaren Kosten des Objekts auf der Grundlage der Kostenberechnung. Die Kostenberechnung ist in § 2 Ziffer 14 HOAI 2009 definiert als Ermittlung der Kosten auf der Grundlage der Entwurfsplanung. Maßgeblich ist die Kostenberechnung, die vom Objektplaner Gebäude zu erstellen ist. Denn sämtliche Kostenermittlungen sind Leistungen des Objekt-, nicht des Tragwerkplaners. Letzterer hat keine eigenen Kostenermittlungen zu erstellen, sondern lediglich bei der Kostenberechnung des Architekten mitzuwirken. Die Kostenermittlung ist also Bauherrenleistung, so dass der Auftraggeber gegenüber dem Tragwerkplaner vorlagepflichtig ist und diesem einen Anspruch auf Auskunft, Einsichtnahme und Herausgabe zusteht.

Der Tragwerkplaner muss den Anspruch jedoch nicht im Wege der Klage durchsetzen, sondern kann auch eine eigene Kostenberechnung aufstellen. Erst wenn der Auftraggeber die Richtigkeit dieser Berechnung substantiiert bestritten, also unter Vorlage der vorenthaltenen Unterlagen wie etwa der Kostenberechnung eines anderen Auftragnehmers konkret Stellung genommen hat, obliegt es dem Auftragnehmer seinen Sachvortrag zu den Berechnungsgrundlagen ggf. zu ergänzen. Auch eine Kostenschätzung kann der Honorarberechnung zugrunde gelegt werden.

Nach diesen Maßgaben können entsprechend der vom Kläger durchgeführten und als Anlage K 10 eingereichten Kostenberechnung rd. 230.000 € als anrechenbare Kosten berücksichtigt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 HOAI 2009). Da der Beklagte dem Kläger eine vom Architekten erstellte Kostenberechnung nicht vorgelegt hat, konnte dieser sie selbst vornehmen. Sie ist gem. § 4 Abs. 1 HOAI 2009 nach der DIN 276-1 :2008-12 gefertigt, die anderslautende Überschrift "Kostenschätzung" unschädlich. Der Beklagte ist dieser Kostenberechnung nicht in ausreichender Weise entgegengetreten.
Rechtsprechungsdatenbank Berlin und Brandenburg
Zurück