Zu den Voraussetzungen eines Ausschlusses des Versicherungsschutzes nach Ziffer 6 ULLA
BGH v. 19.11.2025 - IV ZR 66/25
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E. GmbH (Schuldnerin); er nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Leistungen aus einer D&O - Versicherung in Anspruch. Die Schuldnerin hielt bei der Beklagten eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Versicherte Person war ihr alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter (Geschäftsführer). In den zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) - Ausgabe Januar 2012 - heißt es u.a.:
"1. Gegenstand der Versicherung
1.1 Versicherte Tätigkeit
Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer in ihrer Eigenschaft gemäß Ziffer 1.2 bei der Versicherungsnehmerin, einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.
6. Ausschlüsse
Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch eine versicherte Person."
Mit Beschluss vom 28.3.2018 eröffnete das zuständige AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 4.7.2019 teilte der Kläger der Beklagten die Inanspruchnahme des Geschäftsführers wegen Ansprüchen gem. (dem bis zum 31.12.2020 geltenden) § 64 Satz 1 GmbHG (§ 64 GmbHG a.F.) mit und forderte sie zur Regulierung des Schadens auf. Nachfolgend erhob der Kläger gegen den Geschäftsführer eine Klage wegen Ansprüchen nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. aufgrund von Zahlungen im Zeitraum vom 1.7.2017 bis zum 26.1.2018 i.H.v. rd. 280.000 €. Der Geschäftsführer wurde mit inzwischen rechtskräftigem Versäumnisurteil vom 9.4.2020 antragsgemäß verurteilt.
Der Kläger informierte die Beklagte mit Schreiben vom 21.4.2020 über den Erlass des Versäumnisurteils unter Beifügung der Klageschrift und des am 21.4.2020 an den Geschäftsführer zugestellten Versäumnisurteils. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.7.2020 ließ der Kläger wegen der Ansprüche aus dem Urteil und dem dazu ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss über rd. 11.000 € bei der Beklagten als Drittschuldnerin einen Anspruch auf Freistellung von den Ansprüchen wegen Geschäftsführerhaftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG a.F. pfänden. Der Kläger erhob Zahlungsklage und behauptete, dass der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin Zahlungen für diese veranlasst habe.
Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung durfte das OLG nicht annehmen, dass der Versicherungsschutz nach Ziff. 6 ULLA ausgeschlossen sei. Der Ausschluss des Versicherungsschutzes nach Ziffer 6 ULLA setzt voraus, dass gerade die Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen, wegen der die versicherte Person für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen wird, wissentlich erfolgte. Das ergibt die Auslegung der Klausel.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Liegt - wie hier - eine Versicherung zugunsten Dritter vor, so kommt es auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an. Bei einer - wie hier in Ziff. 6 ULLA vereinbarten - Risikoausschlussklausel geht das Interesse des Versicherungsnehmers und Versicherten zudem in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer oder Versicherte braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert.
Nach dem Wortlaut und erkennbaren Sinnzusammenhang versteht ein durchschnittlicher Versicherter Ziff. 6 ULLA so, dass die vom Versicherungsschutz ausgenommenen Haftpflichtansprüche durch eine wissentliche Pflichtverletzung an die Definition des Versicherungsfalls in Ziff. 1.1 ULLA anknüpfen. Die Haftpflichtansprüche durch wissentliche Pflichtverletzung beziehen sich auf die dort grundsätzlich vom Versicherungsschutz erfasste Pflichtverletzung, wegen der die versicherte Person aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Die Ausschlussklausel dient für den Versicherten erkennbar dem Zweck, aus den Pflichtverletzungen, die einen Versicherungsfall auslösen könnten, den Teilbereich der wissentlichen Pflichtverletzungen auszunehmen. Die wissentliche Pflichtverletzung muss daher diejenige sein, wegen welcher der Versicherte in dem konkreten Fall für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Dessen Kenntnis muss sich - gewissermaßen spiegelbildlich - auf die Pflicht beziehen, deren Verletzung die Haftung auslöst.
Die Ausschlussklausel kann entgegen der Auffassung des OLG nicht in einer erweiternden Auslegung auf die wissentliche Verletzung anderer Pflichten erstreckt werden, die demselben Zweck wie die der Inanspruchnahme zugrunde liegende Pflicht dienen oder regelmäßig neben dieser verletzt werden. Dies widerspräche dem Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln. Ein außerhalb des (potentiellen) Versicherungsfalls liegendes Verhalten des Versicherten kann den Versicherungsschutz nicht ausschließen. Der Risikoausschluss würde damit unverhältnismäßig ausgedehnt und hätte keine eindeutig bestimmte Begrenzung mehr, durch die nur bestimmte Verhaltensweisen bei der Verwirklichung des maßgeblichen Haftungstatbestands vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Nach diesem Maßstab hat das OLG keine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers festgestellt, die gemäß Ziff. 6 ULLA zu einem Ausschluss vom Versicherungsschutz führt. Zu Unrecht hat das OLG als wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers, die zu einem Ausschluss des Versicherungsschutzes führen soll, eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO und einer vorgelagerten Pflicht zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft zugrunde gelegt.
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VersR 2025, 681
VERSR0079005
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E. GmbH (Schuldnerin); er nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Leistungen aus einer D&O - Versicherung in Anspruch. Die Schuldnerin hielt bei der Beklagten eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Versicherte Person war ihr alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter (Geschäftsführer). In den zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) - Ausgabe Januar 2012 - heißt es u.a.:
"1. Gegenstand der Versicherung
1.1 Versicherte Tätigkeit
Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer in ihrer Eigenschaft gemäß Ziffer 1.2 bei der Versicherungsnehmerin, einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.
6. Ausschlüsse
Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch eine versicherte Person."
Mit Beschluss vom 28.3.2018 eröffnete das zuständige AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 4.7.2019 teilte der Kläger der Beklagten die Inanspruchnahme des Geschäftsführers wegen Ansprüchen gem. (dem bis zum 31.12.2020 geltenden) § 64 Satz 1 GmbHG (§ 64 GmbHG a.F.) mit und forderte sie zur Regulierung des Schadens auf. Nachfolgend erhob der Kläger gegen den Geschäftsführer eine Klage wegen Ansprüchen nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. aufgrund von Zahlungen im Zeitraum vom 1.7.2017 bis zum 26.1.2018 i.H.v. rd. 280.000 €. Der Geschäftsführer wurde mit inzwischen rechtskräftigem Versäumnisurteil vom 9.4.2020 antragsgemäß verurteilt.
Der Kläger informierte die Beklagte mit Schreiben vom 21.4.2020 über den Erlass des Versäumnisurteils unter Beifügung der Klageschrift und des am 21.4.2020 an den Geschäftsführer zugestellten Versäumnisurteils. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.7.2020 ließ der Kläger wegen der Ansprüche aus dem Urteil und dem dazu ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss über rd. 11.000 € bei der Beklagten als Drittschuldnerin einen Anspruch auf Freistellung von den Ansprüchen wegen Geschäftsführerhaftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG a.F. pfänden. Der Kläger erhob Zahlungsklage und behauptete, dass der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin Zahlungen für diese veranlasst habe.
Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung durfte das OLG nicht annehmen, dass der Versicherungsschutz nach Ziff. 6 ULLA ausgeschlossen sei. Der Ausschluss des Versicherungsschutzes nach Ziffer 6 ULLA setzt voraus, dass gerade die Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen, wegen der die versicherte Person für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen wird, wissentlich erfolgte. Das ergibt die Auslegung der Klausel.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Liegt - wie hier - eine Versicherung zugunsten Dritter vor, so kommt es auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an. Bei einer - wie hier in Ziff. 6 ULLA vereinbarten - Risikoausschlussklausel geht das Interesse des Versicherungsnehmers und Versicherten zudem in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer oder Versicherte braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert.
Nach dem Wortlaut und erkennbaren Sinnzusammenhang versteht ein durchschnittlicher Versicherter Ziff. 6 ULLA so, dass die vom Versicherungsschutz ausgenommenen Haftpflichtansprüche durch eine wissentliche Pflichtverletzung an die Definition des Versicherungsfalls in Ziff. 1.1 ULLA anknüpfen. Die Haftpflichtansprüche durch wissentliche Pflichtverletzung beziehen sich auf die dort grundsätzlich vom Versicherungsschutz erfasste Pflichtverletzung, wegen der die versicherte Person aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Die Ausschlussklausel dient für den Versicherten erkennbar dem Zweck, aus den Pflichtverletzungen, die einen Versicherungsfall auslösen könnten, den Teilbereich der wissentlichen Pflichtverletzungen auszunehmen. Die wissentliche Pflichtverletzung muss daher diejenige sein, wegen welcher der Versicherte in dem konkreten Fall für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Dessen Kenntnis muss sich - gewissermaßen spiegelbildlich - auf die Pflicht beziehen, deren Verletzung die Haftung auslöst.
Die Ausschlussklausel kann entgegen der Auffassung des OLG nicht in einer erweiternden Auslegung auf die wissentliche Verletzung anderer Pflichten erstreckt werden, die demselben Zweck wie die der Inanspruchnahme zugrunde liegende Pflicht dienen oder regelmäßig neben dieser verletzt werden. Dies widerspräche dem Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln. Ein außerhalb des (potentiellen) Versicherungsfalls liegendes Verhalten des Versicherten kann den Versicherungsschutz nicht ausschließen. Der Risikoausschluss würde damit unverhältnismäßig ausgedehnt und hätte keine eindeutig bestimmte Begrenzung mehr, durch die nur bestimmte Verhaltensweisen bei der Verwirklichung des maßgeblichen Haftungstatbestands vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Nach diesem Maßstab hat das OLG keine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers festgestellt, die gemäß Ziff. 6 ULLA zu einem Ausschluss vom Versicherungsschutz führt. Zu Unrecht hat das OLG als wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers, die zu einem Ausschluss des Versicherungsschutzes führen soll, eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO und einer vorgelagerten Pflicht zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft zugrunde gelegt.
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