17.07.2014

Zu den Voraussetzungen für eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht

Der BGH hat vorliegend zu den Voraussetzungen für eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht Stellung genommen. Ob ein Geschäftsherrn-/Verrichtungsgehilfenverhältnis besteht, beurteilt sich nach den tatsächlichen Umständen.

BGH 3.6.2014, VI ZR 394/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach türkischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs von Anteilen an der Beklagten geltend. Der Kläger erwarb im November 1999 im Inland Aktien der Beklagten, die ihren Sitz in der Türkei hat, für einen Betrag von 28.350 DM. In Anwesenheit des Zeugen S übergab der Kläger den Kaufpreis an D und erhielt dafür die Aktien und eine Einzahlungsquittung.

Gegen Rückgabe dieser Quittung übergab D an den Kläger im April 2000 eine Beteiligungsübersicht, nach der er 360 Anteilsscheine der Beklagten besitzt. Mit anwaltlichem Schreiben von Mai 2010 kündigte der Kläger die Beteiligung. Sein Begehren auf Rückzahlung des Anlagebetrages blieb erfolglos.

Der Kläger behauptet, D sei unter Vorlage einer Visitenkarte im Namen der Beklagten als deren Mitarbeiter aufgetreten. Im Beisein des Zeugen S habe D ihn darüber getäuscht, dass es sich um eine sichere Geldanlage mit einer Rückzahlungsgarantie der Beklagten auf Anforderung innerhalb von drei Monaten handele. Der Kläger verlangt, so gestellt zu werden, als hätte er die Kapitalanlage nicht getätigt.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Revision rügt mit Recht, dass das OLG keine eigenen Feststellungen zu den Voraussetzungen für die Verrichtungsgehilfenschaft des M getroffen hat, weil es irrigerweise gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eine Bindung an die Feststellungen des LG zum Auftreten des D angenommen hat (§ 286 ZPO).

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Vorliegend weist die Revision zutreffend darauf hin, dass die auf den Inhalt der Aussage des Zeugen S gestützten Feststellungen des LG, D sei als Mitarbeiter der Beklagten aufgetreten, von den im Protokoll über die Beweisaufnahme niedergelegten Wortlaut der Aussagen nicht gedeckt sind.

Der Zeuge S ist vor dem LG nicht dazu befragt worden, ob sich der Verkäufer der Aktien als Mitarbeiter der Beklagten ausgewiesen hatte. Die Feststellung des LG, dass der Zeuge D ausdrücklich für die Beklagte aufgetreten sei und sich als deren Mitarbeiter, u.a. unter Vorlage einer Visitenkarte, ausgewiesen habe, lässt sich weder mit den Angaben des Klägers selbst noch mit den Angaben des Zeugen S im Termin im Dezember 2012 in Einklang bringen. Der Widerspruch zwischen dem im Protokoll niedergelegten Inhalt der Beweisaufnahme und der Beweiswürdigung des LG musste danach Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen begründen, die das OLG hätte ausräumen müssen.

Feststellungen zum Auftreten des D gegenüber dem Kläger sind nicht schon deshalb entbehrlich, weil die Beklagte erstinstanzlich unstreitig gestellt hätte, dass D ihr weisungsgebundener Mitarbeiter gewesen ist. Die Beklagte hat in der Erwiderung auf die Klage bestritten, dass der Vermittler ihr Mitarbeiter gewesen ist. Im Schriftsatz von März 2011 hat die Beklagte betont, dass der Vermittler selbständig tätig und kein Mitarbeiter der Beklagten gewesen sei. Er habe Handlungsvollmacht besessen, Aktien zu veräußern, Gelder entgegenzunehmen und die Interessenten grob zu informieren. In der Berufungsbegründung hat die Beklagte erneut geltend gemacht, dass der Verkäufer der Aktien nicht für sie gehandelt habe. Stets hat die Beklagte bestritten, dass der Verkäufer von ihr abhängig war.

Das Berufungsurteil war danach aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen, damit die gebotenen Feststellungen nachgeholt werden können. Die rechtliche Prüfung, ob und inwieweit eine Haftung der Beklagten überhaupt in Betracht kommt, ist nur auf der Grundlage von Feststellungen der näheren Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbes. unter Berücksichtigung des Inhalts eines ggf. bei dem Erwerb der Aktien mit dem Kläger geführten Gespräches, möglich.

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