13.04.2015

Zum Auskunftsanspruch eines Luftfahrtunternehmens hinsichtlich der Sonderkonditionen eines Mitbewerbers für die Nutzung eines Flughafens

Ein Luftfahrtunternehmen kann zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches gegen eine Flughafenbetreiberin von dieser Auskunft verlangen, welche (günstigeren) Sonderkonditionen einem anderen Luftfahrtunternehmen für die Nutzung des Flughafens eingeräumt worden sind. Unter bestimmten Voraussetzungen ist dabei ein nationales Gericht an die vorläufige Qualifizierung der Sonderkonditionen als Beihilfe durch die EU-Kommission gebunden.

Schleswig-Holsteinisches OLG 8.4.2015, 6 U 54/06
Der Sachverhalt:
Das klagende Luftfahrtunternehmen verlangt von der beklagten Stadt Lübeck u.a. Auskunft darüber, welche Sonderkonditionen für die Nutzung des Flughafens Lübeck einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumt wurden. Die Klägerin meint, dass es sich insoweit um rechtswidrige staatliche Beihilfen handele.

Das LG gab der auf Auskunft gerichteten Klage statt. Das OLG wies die Klage in einer ersten Entscheidung (Urteil vom 20.5.2008) ab. Die Entscheidung stützte sich darauf, dass die von der Beklagten möglicherweise durch die Einräumung von Sonderkonditionen verletzte Bestimmung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV nicht dem Schutz der Klägerin diene. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück; entgegen der Auffassung des OLG komme Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durchaus Schutzwirkung zu Gunsten der Klägerin zu.

Zwischenzeitlich hat das OLG eine Stellungnahme der EU-Kommission eingeholt. Diese hat unter Verweis auf die erfolgte Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens mitgeteilt, dass die seinerzeit mit einem Mitbewerber getroffene Vereinbarung "prima facie" eine Beihilfe darstelle und deshalb "eine selbständige beihilferechtliche Würdigung" des Senats entbehrlich sei. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats hat der EuGH mit Beschluss vom 4.4.2014 unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung ausgeführt: Die Wirksamkeit des Art. 108 AEUV würde vereitelt, wenn die nationalen Gerichte die Ansicht vertreten dürften, dass eine Maßnahme mit Beihilfeelementen, derentwegen die Kommission ein förmliches Prüfverfahren eröffnet habe, gleichwohl keine Beihilfe darstellen müsse.

Daraufhin gab das OLG der Klage statt. Im Hinblick auf die Frage der Reichweite der Bindungswirkung der Entscheidungen des EuGH wurde die Revision zum BGH zugelassen. Über die in erster Instanz anhängig gebliebenen weiteren Anträge der Klägerin gerichtet u.a. auf Rückforderung von Beihilfen sowie Unterlassung wird noch durch das LG zu entscheiden sein.

Die Gründe:
Die Klägerin kann von der Beklagten zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches Auskunft über einem anderen Luftverkehrsunternehmen eingeräumte Sonderkonditionen verlangen.

Gem. Art. 108 Abs. 3 S.3 AEUV dürfen Mitgliedstaaten Beihilfemaßnahmen nicht durchführen, wenn nicht die Kommission zuvor abschließend deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat. Nach dem bindendem Beschluss des EuGH vom 4.4.2014 hat der Senat wegen der Eröffnungsentscheidung der Kommission vom 10.7.2007 bis zur ausstehenden endgültigen Entscheidung der Kommission davon auszugehen, dass es sich bei den einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumten Sonderkonditionen um staatliche Beihilfen handelt.

Dem steht der nur vorläufige Charakter der Kommissionsentscheidung bei zutreffender Auslegung des Beschlusses des EuGH nicht entgegen. Gegenteilige Auffassungen, die eine eigenständige Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe durch nationale Gerichte allgemein oder in bestimmten Fällen eröffnet sehen, teilt der Senat unter Hinweis auf die besondere Konstellation des Einzelfalles nicht. Eine Bindungswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil der EuGH mit der eingeforderten Bindung nationaler Gerichte an Eröffnungsentscheidungen der Kommission seine Kompetenzen überschritten hätte.

Abgesehen davon, dass die Feststellung der Unanwendbarkeit eines vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsatzes wegen kompetenzwidrigen Handels der Unionsgewalt allein dem BVerfG obliegt, sind Anhaltspunkte für eine nach den strengen Grundsätzen des BVerfG erforderliche offensichtliche, erhebliche Kompetenzüberschreitung nicht gegeben. Der Senat hat demnach ohne weitere Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe davon auszugehen, dass die Beklagte mit der Gewährung der Sonderkonditionen die Vorschrift des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verletzte.

Schleswig-Holsteinisches OLG PM Nr. 4 vom 13.4.2015
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