08.03.2013

Zum Berufungsbegründung bei mehreren selbständig tragenden Erwägungen im erstinstanzlichen Urteil

Geht aus dem erstinstanzlichen Urteil nicht hinreichend deutlich hervor, dass das Erstgericht seine Klageabweisung auch auf eine weitere selbständig tragende rechtliche Erwägung gestützt hat, so muss die Berufungsbegründung diese auch nicht gesondert angreifen.

BGH 30.1.2013, III ZB 49/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung im Zusammenhang mit der Zeichnung von Beteiligungen als atypisch stiller Gesellschafter an der C. IV AG & Co. KG (C-Fonds) auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger eine fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht nachgewiesen habe. Soweit es um den Vorwurf gehe, der Beklagte habe nicht darüber aufgeklärt, dass mehr als 15 Prozent des aufzubringenden Kapitals für Provisionen gezahlt worden sei, habe der Kläger den nötigen Beweis hierfür nicht führen können. Bei dem diesbezüglichen Vorbringen des Klägers handele es sich um eine bloße Behauptung "ins Blaue hinein", so dass sich das von ihm angebotene Zeugnis des Vorstands der C-AG als unzulässiger Ausforschungsbeweis darstelle, dem nicht nachzukommen gewesen sei.

Auch der Beklagte habe den Vortrag des Klägers nicht bestätigt. Soweit der Beklagte gemeint habe, auch andere Beteiligte hätten durch die Zeichnung Provisionen in ihm unbekannter Höhe verdient, bedeute dies nicht, dass die Gesamtprovisionshöhe über 15 Prozent gelegen habe, auf die er den Kläger hätte hinweisen müssen. Denn es sei lebensfremd, dass dem Beklagten als letztem Glied der Vertriebskette die erhaltenen Provisionen in vollem Umfang bekannt gewesen seien. Insofern habe lediglich der F als Vermittlerin die Pflicht obgelegen, sicherzustellen, dass ihre Vertriebsmitarbeiter die Interessenten auf die korrekte Provisionshöhe hinwiesen, sofern diese tatsächlich über 15 Prozent gelegen hätte. Dem einzelnen Vermittler könne eine solche Pflichtverletzung jedoch nicht angelastet werden.

Das OLG verwarf die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers, die sich in ihrer Begründung ausschließlich mit der unterbliebenen Aufklärung über Provisionen von mehr als 15 Prozent befasst hat, als unzulässig. Die Berufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. Die Berufungsbegründung gehe nur auf die unterlassene Beweiserhebung zur Provisionshöhe ein, nicht aber auf die weitere Argumentation des LG, dem einzelnen Vermittler, dem die Gesamthöhe der Vertriebsprovision nicht bekannt sei, könne nicht vorgeworfen werden, dass er den Kunden darauf nicht hingewiesen habe; eine Pflichtverletzung falle insoweit lediglich der F zur Last. Mit letztgenannter Begründung habe das LG eine Pflichtverletzung des Beklagten auch für den Fall verneint, dass die Gesamtprovision 15 Prozent überstiegen haben sollte. Mit dieser selbständig tragenden Begründung setze sich die Berufungsbegründung des Klägers indes nicht auseinander.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat die in § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Denn in derartigen Fällen trägt jede der gleichwertigen Begründungen des Erstgerichts seine Entscheidung. Selbst wenn die gegen einen Grund vorgebrachten Angriffe durchgreifen, ändert sich nichts daran, dass die Klage aus dem anderen Grund weiterhin abweisungsreif ist. Hiernach hat die Berufungsbegründung des Klägers den Erfordernissen nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO genügt.

In seiner Berufungsbegründung hat der Kläger ausgeführt, dass die Annahme des LG, er habe den Beweis, dass vorliegend Provisionen von mehr als 15 Prozent gezahlt worden seien, nicht führen können, rechtsfehlerhaft sei. Er hat hierzu vorgebracht, das LG sei zu Unrecht von einem Vorbringen "ins Blaue hinein" und einem "Ausforschungsbeweis" ausgegangen. Es handele sich um ein Internum der Vertriebsseite, zu dem er, der Kläger, nur Vermutungen anstellen könne. Der Beklagte habe bei seiner persönlichen Anhörung vor dem LG selbst zugestanden, dass Provisionen i.H.v. insgesamt 15,9 Prozent geflossen seien. Damit hat der Kläger die Begründung des Landgerichtsurteils, er habe den Beweis dafür nicht geführt, dass tatsächlich Provisionen von mehr als 15 Prozent gezahlt worden seien, in zureichender Weise angegriffen.

Entgegen der Ansicht des OLG musste die Berufungsbegründung sich darüber hinaus nicht auch zu der Frage äußern, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, darüber aufzuklären, dass die Provisionen tatsächlich über die Grenze von 15 Prozent hinausgingen. Denn das erstinstanzliche Urteil enthält keine Ausführungen, die mit hinreichender Deutlichkeit erkennen ließen, dass das Erstgericht eine solche Pflichtverletzung mangels Kenntnis oder Kennenmüssens des Beklagten überhaupt - also gerade auch im Falle einer Überschreitung der 15-Prozent-Grenze - verneinte. Im Vordergrund stand die Erwägung des LG, der Kläger habe nicht ausreichend vorgetragen, dass tatsächlich mehr als 15 Prozent des Kapitals für Provisionen aufgebracht worden seien.

Die Ausführungen zu einer diesbezüglichen Kenntnis des Beklagten knüpften ohne erkennbare Zäsur an diesen Erwägungen an, insbes. an den Satz, dass auch der Beklagte den klägerischen Vortrag nicht bestätigt habe. Damit entstand, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, insgesamt der Eindruck, es gehe im Grunde allein um den fehlenden Nachweis der Überschreitung der 15-Prozent-Grenze, nicht aber (auch) darum, dass der Beklagte (mangels Kenntnis oder Kennenmüssens) ohnehin nicht zu einer diesbezüglichen Aufklärung verpflichtet gewesen wäre. Geht aus dem erstinstanzlichen Urteil - wie hier - indes nicht hinreichend deutlich hervor, dass das Erstgericht seine Klageabweisung (in dem betreffenden Punkt) auch auf eine weitere selbständig tragende rechtliche Erwägung gestützt hat, so muss die Berufungsbegründung diese auch nicht gesondert angreifen.

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