13.08.2013

Zum Datenschutz im privaten Versicherungsrecht

Eine versicherungsvertragliche Obliegenheit zur Schweigepflichtentbindung muss hinreichend eng ausgelegt werden, um dem Versicherten die Möglichkeit zur informationellen Selbstbestimmung zu bieten. Wird die Schweigepflichtentbindung zunächst auf solche Vorinformationen beschränkt, die ausreichen, um festzustellen, welche Informationen tatsächlich für die Prüfung des Leistungsfalls relevant sind, könnte so dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen werden.

BVerfG 17.7.2013, 1 BvR 3167/08
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin hatte mit dem beklagten Versicherungsunternehmen einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Nach deren Tarifbedingungen sollte der Versicherte bei der Beantragung von Versicherungsleistungen u.a. behandelnde Ärzte, Krankenhäuser und sonstige Krankenanstalten sowie Pflegepersonen, andere Personenversicherer und Behörden ermächtigen, dem Versicherungsunternehmen auf Verlangen Auskunft zu geben.

Die Beschwerdeführerin beantragte gegenüber der Beklagten unter Verweis auf Berufsunfähigkeit aufgrund von Depressionen Versicherungsleistungen. Sie lehnte es jedoch ab, die auf dem Antragsformular der Beklagten abgedruckte Schweigepflichtentbindungserklärung, die zur Einholung sachdienlicher Auskünfte bei einem weiten Kreis von Stellen ermächtigt hätte, abzugeben und bot stattdessen an, Einzelermächtigungen für jedes Auskunftsersuchen zu erteilen. Daraufhin übersandte die Beklagte vorformulierte Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung ihrer Krankenkasse, zweier Ärztinnen und ihrer Rentenversicherung. Die Beschwerdeführerin lehnte die Unterzeichnung ab und bat um weitere Konkretisierung der gewünschten Auskünfte. Dem kam die Beklagte nicht nach.

Die Klage der Beschwerdeführerin auf Zahlung der monatlichen Rente wiesen die Zivilgerichte ab. Sie waren der Ansicht, der Beschwerdeführerin sei es zumutbar gewesen, die Einzelermächtigungen vor der Unterzeichnung selbst weiter einzuschränken oder die in den Einzelermächtigungen genannten Unterlagen selbst zu beschaffen und der Beklagten vorzulegen. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin war vor dem BVerfG erfolgreich.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen des LG und OLG verletzten die Beschwerdeführerin in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung.

Eine versicherungsvertragliche Obliegenheit zur Schweigepflichtentbindung muss hinreichend eng ausgelegt werden, um dem Versicherten die Möglichkeit zur informationellen Selbstbestimmung zu bieten. Zwar hat der Gesetzgeber inzwischen in § 213 VVG eine Regelung zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Versicherungsnehmer getroffen; diese Vorschrift fand jedoch auf den zu entscheidenden Altfall noch keine Anwendung. Soweit keine gesetzlichen Regelungen über die informationelle Selbstbestimmung greifen, kann es zur Gewährleistung eines schonenden Ausgleichs der verschiedenen Grundrechtspositionen geboten sein, z.B. durch eine verfahrensrechtliche Lösung im Dialog zwischen Versichertem und Versicherer die zur Abwicklung des Versicherungsfalls erforderlichen Daten zu ermitteln. Die Anforderungen an diesen Dialog festzulegen und ihn auszugestalten, zählt zu den Aufgaben der Zivilgerichte.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wurden die angegriffenen Entscheidungen allerdings nicht gerecht. Sie trugen den Belangen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend Rechnung. Durch die vorformulierten Einzelermächtigungen würde schließlich der Beklagten ermöglicht, auch über das für die Abwicklung des Versicherungsfalls erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang Informationen über die Beschwerdeführerin einzuholen. Die benannten Gegenstände der "umfassenden" Auskünfte - etwa "Gesundheitsverhältnisse, Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungsdaten" - waren so allgemein gehalten, dass sie kaum zu einer Begrenzung des Auskunftsumfangs führten. Erfasst wurden nahezu alle bei den benannten Auskunftsstellen über die Beschwerdeführerin vorliegenden Informationen, darunter auch viele für die Abwicklung des Versicherungsfalls bedeutungslose Informationen.

Der Beschwerdeführerin war es auch nicht zuzumuten die vorformulierten Einzelermächtigungen selbst zu modifizieren oder die erforderlichen Unterlagen eigenständig vorzulegen. Denn damit würde ihr auferlegt, die Interessen des Versicherungsunternehmens zu erforschen, und für den Fall, dass die vorgelegten Unterlagen oder die modifizierten Ermächtigungen für unzureichend erachtet würden, mit dem Risiko eines Leistungsverlusts belastet.

Die angegriffenen Entscheidungen ließen beim Ausgleich der Grundrechtspositionen zudem unberücksichtigt, dass es das beklagte Versicherungsunternehmen nicht unverhältnismäßig belasten muss, wenn von ihm eine weitere Einschränkung der geforderten Einzelermächtigungen verlangt wird. Zwar kann der Umfang der Einzelermächtigungen dabei nicht vornherein schon auf die für die Prüfung des Leistungsanspruchs relevanten Informationen begrenzt werden. Wird die Schweigepflichtentbindung aber zunächst auf solche Vorinformationen beschränkt, die ausreichen, um festzustellen, welche Informationen tatsächlich für die Prüfung des Leistungsfalls relevant sind, könnte so der Umfang der überschießenden Informationen begrenzt und damit dem Recht der Beschwerdeführerin auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen werden. Die Verfahrenseffizienz würde durch eine solche grobe Konkretisierung der Auskunftsgegenstände nur geringfügig beeinträchtigt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 53 vom 13.8.2013
Zurück