08.09.2015

Zum Patentnichtigkeitsverfahren bei fehlender Erstbewertung des Standes der Technik

Hat in einem Patentnichtigkeitsverfahren die erste Instanz eine Erstbewertung des Standes der Technik (hier: Bitratenreduktion) unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit noch nicht vorgenommen, ist die Sache im Fall der Aufhebung des patentgerichtlichen Urteils durch den BGH regelmäßig zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den BGH überprüft wird.

BGH 7.7.2015, X ZR 64/13
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des im 1987 angemeldeten, mit Wirkung für Deutschland erteilten und vor Klageerhebung durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents zur Bitratenreduktion für die Codierung von Bild- oder Videodaten. Nach dem im Streitpatent referierten Stand der Technik werden Videosignale so codiert, dass Videobilder mit möglichst geringer Bitrate in ausreichender Qualität übertragen werden können. Es nimmt Prioritäten vom 13.9.1986, 8.11.1986 und 23.5.1987 in Anspruch und umfasst 17 Patentansprüche.

Die Klägerinnen, die sich Ansprüchen aus dem Streitpatent ausgesetzt sahen, machten geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei darüber hinaus nicht patentfähig. Das BPatG hat das Streitpatent daraufhin für nichtig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen.

Gründe:
Das Patentgericht hatte angenommen, das Streitpatent gehe in der erteilten und allen weiteren verteidigten Fassungen über den Inhalt der Anmeldung hinaus. Dies hielt der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

Der Patentanspruch 1 ging mit der Fassung der Merkmalsgruppe 3.1 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus. Die Auslegung ergab, dass auch von einem anderen Signalwert, dem keine Teilfolge des Signalwerts (A) voranging bzw. nachfolgt, stets einzeln ein Huffman-Codewort zu bilden war. Dies entsprach auch der erfindungsgemäßen Lehre, wie sie schon in der Patentanmeldung beschrieben worden war.

Patentanspruch 1 ging auch nicht mit der Merkmalsgruppe 3.2 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Der in der Anmeldung formulierte Patentanspruch offenbarte mit seinem kennzeichnenden Teil dem Fachmann eindeutig und unmittelbar, dass nicht nur eine Kombination des anderen Signalwerts mit vorangehenden Teilfolgen, sondern auch eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) für die Bildung der Huffman-Codeworte als Ereignis zugrunde gelegt werden kann.

Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hatte, war die Sache gem. § 119 Abs. 2 und 3 PatG unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen. Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den BGH überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den BGH gem. § 119 Abs. 5 PatG ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist (vgl. BGH-Urt. v. 17.7.2012, Az.: X ZR 117/11). Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, war nichts ersichtlich und wurde von den Parteien auch nicht geltend gemacht.

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