24.01.2013

Zum rechtsmissbräuchlichen Stellen mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge

Die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein. Hat der Gläubiger den Schuldner bereits auf die Möglichkeit der Streitbeilegung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hingewiesen, ist eine zweite Abmahnung wegen desselben oder eines kerngleichen Wettbewerbsverstoßes nicht i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG berechtigt.

BGH 19.7.2012, I ZR 199/10
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Wettbewerber beim Online-Vertrieb von Erotikartikeln. Mit Abmahnschreiben vom 2.7.2008 beanstandete die Klägerin einen Kunden-Newsletter der Beklagten vom 23.6.2008 wegen eines fehlenden Hinweises auf Versandkosten und einer irreführenden Werbeaussage. Nachdem die Beklagte auf die Abmahnung nicht reagiert hatte, erwirkte die Klägerin wegen beider Verstöße am 14.7.2008 eine einstweilige Verfügung des LG Berlin, die bei ihren Verfahrensbevollmächtigten am 18.7.2008 einging und der Beklagten am 28.7.2008 im Parteibetrieb zugestellt wurde.

Mit Abmahnschreiben vom 24.7.2008 beanstandete die Klägerin, dass im Newsletter der Beklagten vom 21.7.2008 wiederum keine Versandkosten angegeben waren. Im August 2008 gab die Beklagte hinsichtlich der mit der ersten Abmahnung beanstandeten Irreführung eine Abschlusserklärung ab, lehnte dies für die fehlende Angabe der Versandkosten aber ausdrücklich ab.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Unterlassung im Hinblick auf den fehlenden Hinweis auf Versandkosten unter Bezug auf den Newsletter vom 23.6.2008 (Antrag 1 a) sowie im Hinblick auf den Newsletter vom 21.7.2008 (Antrag 1 b). Außerdem begehrt die Klägerin die Erstattung von Abmahnkosten, und zwar i.H.v. 912 € für die erste Abmahnung (Antrag 2) und i.H.v. 860 € für die zweite Abmahnung (Antrag zu 3), jeweils zzgl. Zinsen.

Das LG gab der Klage unter Abweisung i.Ü. teilweise statt und verurteilte die Beklagte wegen der zuerst beanstandeten Werbung (Antrag zu 1 a) und der insoweit entstandenen Abmahnkosten (Antrag zu 2). Das KG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und gab der Klage - soweit die Klägerin ihre Ansprüche nach Verzicht auf den Unterlassungsanspruch zu 1b noch weiterverfolgt hat - ganz überwiegend statt.

Die Gründe:
Das KG durfte die Klageanträge zu 1 a), 2) und 3) nicht als rechtsmissbräuchlich abweisen.

Zu Unrecht hat das KG den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Abmahnkosten für die erste Abmahnung (Antrag 2) abgewiesen. Diese Abmahnung war berechtigt, so dass die Klägerin Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen kann (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG). Zwar bezieht sich die Bestimmung des § 8 Abs. 4 UWG auch auf die vorgerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im Wege der Abmahnung. Das vom KG als missbräuchlich angesehene Verhalten der Klägerin bei der zweiten Abmahnung vom 24.7.2008 sowie bei der Klageerhebung konnte aber von vornherein keinen Einfluss auf die erste Abmahnung haben, die zu diesem Zeitpunkt bereits in der Vergangenheit lag.

Der Klägerin steht auch der Unterlassungsanspruch gemäß dem Klageantrag zu 1 a) zu. Entgegen der Ansicht des KG ist die Klage nicht i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich erhoben worden, weil die Klägerin zwei nahezu identische Unterlassungsanträge gestellt und für sie jeweils einen Wert von 20.000 € angegeben hat. Ein solches Verhalten kann allerdings den Grundsätzen der Prozessökonomie widersprechen, weil das Verbot eines Unterlassungstitels über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen umfasst, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Die Stellung mehrerer nahezu identischer Unterlassungsanträge, die sich auf kerngleiche Verletzungshandlungen beziehen, und ohne inhaltliche Erweiterung des begehrten Verbotsumfangs zu einer Vervielfachung des Streitwerts führen, kann daher ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein, weil dem Kläger im Einzelfall ein schonenderes Vorgehen durch Zusammenfassung seines Begehrens in einem Antrag möglich und zumutbar ist.

Im Streitfall kann der Klägerin indes ein solcher Missbrauchsvorwurf nicht gemacht werden. Die Stellung beider Unterlassungsanträge stellte für sie unter den gegebenen Umständen den prozessual sichersten Weg dar, um ihr Rechtsschutzbegehren umfassend durchzusetzen. Bei der Werbung ohne Versandkostenangabe in den beiden Newslettern handelte es sich nicht um kerngleiche Verletzungsformen. Das KG hat insbes. übersehen, dass die beiden Werbe-Newsletter in einem entscheidenden Punkt unterschiedlich gestaltet waren. Im Newsletter vom 23.6.2008 fanden sich als letzte Aussagen, wenn auch in erheblicher räumlicher Entfernung und ohne Bezug zu der "Aktion Männerdessous" für 1,97 €, die Sätze: "Pro Bestellung immer drei gratis Produkte (jeder Artikel jeweils 1x). Ansonsten fallen nur einmal Versandkosten laut unseren AGB an." Demgegenüber fehlte im zweiten Newsletter vom 21.7.2008 jeder Hinweis auf Versandkosten.

Der Klägerin steht auch für die zweite Abmahnung vom 24.7.2008 ein Anspruch auf Kostenerstattung gem. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG zu. Die zweite Abmahnung war auch erforderlich. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte auf die erste Abmahnung vom 2.7.2008 bis dahin nicht reagiert hatte. Hat der Gläubiger den Schuldner bereits auf die Möglichkeit der Streitbeilegung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hingewiesen, kann eine zweite Abmahnung wegen desselben Wettbewerbsverstoßes diese Aufgabe zwar nicht mehr erfüllen; und nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 S. 2 UWG muss dasselbe gelten, wenn die Abmahnung nicht wegen desselben, sondern wegen eines kerngleichen Wettbewerbsverstoßes ausgesprochen wurde. Die im zweiten Newsletter gänzlich fehlende Versandkostenangabe stellte sich aber gegenüber dem vom beanstandeten Warenangebot räumlich getrennten Hinweis auf "Versandkosten laut unseren AGB" am Ende des ersten Newsletters deutlicher als Wettbewerbsverstoß dar.

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