30.10.2025

Zum Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags zur Finanzierung eines Autokaufs

Im Licht des Effektivitätsgrundsatzes ist Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der sich bei einem widerrufenen Kreditvertrag, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Berechnungsmethode Faktoren einschließt, die mit der Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher nichts zu tun haben.

EuGH v. 30.10.2025 - C-143/23
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen klagenden Verbrauchern und den jeweiligen Beklagten, der Mercedes-Benz Bank bzw. der Volkswagen Bank, über die Gültigkeit des von den Klägerin erklärten Widerrufs der Kreditverträge. Diese hatten sie mit den Beklagten zum Zweck des Kaufs eines Kraftfahrzeugs geschlossen.

Das mit der Sache befasste LG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Es bat diesem Zusammenhang um Auslegung der Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge, und zwar konkret zu den Voraussetzungen und den Folgen der Ausübung des Widerrufsrechts bei einem mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrag.

Die Gründe:
Art. 10 Abs. 2 Buchst. l und Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie sind dahin auszulegen, dass die in diesem Art. 14 Abs. 1 vorgesehene Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen nicht in Form eines konkreten Prozentsatzes angegeben wird, und zwar so lange nicht, bis diese Information dem Verbraucher ordnungsgemäß mitgeteilt wird. Indes verwehrt es Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie dem Kreditgeber, wirksam den Einwand geltend zu machen, dass der Verbraucher aufgrund seines Verhaltens zwischen dem Abschluss des Vertrags und der Ausübung des Widerrufsrechts oder sogar nach dessen Ausübung das in diesem Art. 14 Abs. 1 vorgesehene Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe, wenn die von Art. 10 Abs. 2 Buchst. l der Richtlinie geforderte Angabe des zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltenden Verzugszinssatzes in Form eines konkreten Prozentsatzes nicht in dem Kreditvertrag enthalten war und auch später nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde.

Im Licht des Effektivitätsgrundsatzes ist Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der sich bei einem widerrufenen Kreditvertrag, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, die Höhe des vom Verbraucher bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs an den Kreditgeber zu leistenden Wertersatzes für den Wertverlust des Fahrzeugs so berechnet, dass vom Händlerverkaufspreis zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Verbraucher der Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Fahrzeugrückgabe abgezogen wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Berechnungsmethode Faktoren einschließt, die mit der Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher nichts zu tun haben.

Nach den Angaben des LG belastet die in Rede stehende Berechnungsmethode den Verbraucher nicht nur mit dem Wertersatz für den Wertverlust infolge der Nutzung der Ware, sondern auch mit den Kosten des Weiterverkaufs, einem Gewinnaufschlag und der Umsatzsteuer. Es handele sich nämlich um Belastungen, die der Ausübung des Widerrufsrechts immanent seien und unabhängig von einer Nutzung des Fahrzeugs durch den Verbraucher entstünden. Dies laufe darauf hinaus, dem Verbraucher eine Ersatzpflicht für die bloße Ausübung des Widerrufsrechts aufzuerlegen. Daraus folge, dass der Betrag des Wertersatzes hoch ausfallen könne, und zwar auch dann, wenn das Fahrzeug vor der Ausübung des Widerrufsrechts nie angemeldet und benutzt worden sei. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass die Wirksamkeit und die Effektivität des Widerrufsrechts beeinträchtigt würden, wenn die Höhe eines vom Verbraucher dem Kreditgeber bei Rückgabe der Ware geschuldeten Wertersatzes außer Verhältnis zum Kaufpreis dieser Ware stünde.

Ob der Wertersatz, der dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts abverlangt werden kann, verhältnismäßig ist, ist nach einer eingehenden Prüfung zu beurteilen, wie der betreffende Gegenstand tatsächlich genutzt wurde und in welchem Zustand sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Rückgabe befand, insbesondere im Hinblick auf eine etwaige sich aus dieser Nutzung ergebende mechanische Abnutzung oder ästhetische Veränderung. Die bloße Tatsache, dass der so berechnete Wertersatz im Vergleich zu dem vom Verbraucher bezahlten Kaufpreis hoch ausfallen kann, kann als solche nicht für die Feststellung dienen, dass dieser Wertersatz unverhältnismäßig ist und dass die Methode zur Berechnung dieses Wertersatzes die Ausübung des Widerrufsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert - jedenfalls sofern die Höhe dieses Wertersatzes objektiv den tatsächlichen Wertverlust des Fahrzeugs, der sich aus seiner Nutzung durch den Verbraucher und aus seinem Zustand zum Zeitpunkt seiner Rückgabe ergibt, widerspiegelt.

Vorbehaltlich der Prüfungen, die das LG vorzunehmen hat, ist davon auszugehen, dass eine Berechnungsmethode, die nur auf den Preisunterschied zwischen Kauf- und Wiederverkaufspreis des Fahrzeugs gestützt ist und einseitig vom Fahrzeughändler bestimmte Faktoren, die nichts mit der Nutzung des Fahrzeugs zu tun haben, wie z.B. Gewinnspannen und Kosten für den Weiterverkauf, sowie die Umsatzsteuer einschließt, nicht ermöglicht, den sich aus der Nutzung durch den Verbraucher ergebenden Wertverlust zu bewerten. Wie das LG ausführt, treten diese Faktoren außerdem selbst dann auf, wenn das Fahrzeug vor der Ausübung des Widerrufsrechts nie angemeldet und benutzt worden ist. Diese Methode scheint somit dem Verbraucher eine Belastung aufzuerlegen, die sich ausschließlich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergibt. Infolgedessen kann eine Methode zur Berechnung des Wertersatzes für den Wertverlust einer Ware wie die hier in Rede stehende zu Wertersatz in einer Höhe führen, die außer Verhältnis zum Kaufpreis dieser Ware steht, und die Ausübung des Widerrufsrechts praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Schließlich ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass sie keine vollständige Harmonisierung der Vorschriften über die Folgen vornimmt, die sich daraus ergeben, dass der Verbraucher sein Recht auf Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbundenen Kreditvertrags ausübt. Und 14 Abs. 1 der Richtlinie steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der der Verbraucher nach dem Widerruf eines Verbraucherkreditvertrags, der mit einem Fahrzeugkaufvertrag verbunden ist, für den Zeitraum zwischen der Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer des finanzierten Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kreditgeber oder den Verkäufer den im Kreditvertrag vereinbarten Sollzins zu zahlen hat.

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Rechtsprechung
Zum Feststellungsantrag des Darlehensnehmers, aufgrund des Widerrufs seiner Vertragserklärung nicht mehr zur Zahlung verpflichtet zu sein (Bestätigung von BGH, Beschl. v. 19.9.2023, XI ZR 58/23, WM 2023, 1955)
BGH vom 29.04.2025 - XI ZR 140/23
WM 2025, 976

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