08.07.2011

Zum Zeitpunkt der Entstehung eines Pfandrechts hinsichtlich einer dem Schuldner eröffneten Kreditlinie

Pfändet der Gläubiger in eine dem Schuldner eröffnete Kreditlinie, so entsteht ein Pfandrecht erst mit dem Abruf der Kreditmittel durch den Überweisungsauftrag des Schuldners. Es handelt sich dabei insoweit um eine anfechtbare Rechtshandlung des Schuldners.

BGH 9.6.2011, IX ZR 179/08
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag von August 2003 im Dezember 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-GmbH (Schuldnerin). Das Finanzamt des beklagten Landes erließ im Oktober 2002 wegen Steuerrückständen von rd. 10.000 € eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung, durch die alle Ansprüche der Schuldnerin gegen die S aus dem dort eingerichteten Konto der Schuldnerin unter Anordnung der Einziehung gepfändet wurden.

Die Verfügung bezog sich auch auf alle der Schuldnerin gegenwärtig und künftig gegen die S zustehenden Ansprüche auf Auszahlung, Gutschrift und Überweisung an sich und an Dritte, auch aus Kreditmitteln aus bereits abgeschlossenen und künftigen Kreditverträgen. Auf Veranlassung der Schuldnerin überwies die S im Oktober 2002 von dem Konto die Rückstände an das Finanzamt.

Mit einer weiteren Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamts von Januar 2003 wegen einer Steuerschuld der Schuldnerin i.H.v. rd. 13.000 € pfändete das beklagte Land erneut in gleicher Weise dieses Konto. Auf Veranlassung der Schuldnerin überwies die S daraufhin von diesem Konto an das Finanzamt im Februar 2003 in drei Raten die gesamte Summe. Alle Zahlungen erfolgten aus dem der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredit, der auch nach den einzelnen Zahlungen nicht überschritten war. Der Kläger verlangt nun aus Insolvenzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO Rückzahlung der an das Finanzamt überwiesenen Beträge von insgesamt rd. 23.000 €.

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das von dem beklagten Land jeweils erlangte Pfändungspfandrecht beruhte jeweils auf einer Rechtshandlung der Schuldnerin.

Zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass die von der Schuldnerin veranlassten Überweisungen anfechtbare Rechtshandlungen i.S.d. § 133 Abs. 1 S. 1 InsO sind. Zu Unrecht hat es jedoch die gem. § 129 Abs. 1 InsO stets erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung mit der Begründung verneint, der Beklagte habe ein unanfechtbares Pfändungspfandrecht erworben, weil es insoweit an einer willensgesteuerten Rechtshandlung der Schuldnerin gefehlt habe, denn diese habe an der Pfändungsmaßnahme nicht mitgewirkt.

Die Pfändung der Ansprüche der Schuldnerin aus der offenen Kreditlinie war wirksam. Ein Pfandrecht an Forderungen aus dem Kreditverhältnis wurde dadurch jedoch vor einem Abruf der Einzelbeträge durch die Schuldnerin nicht begründet. Denn bei einem Dispositionskredit besteht vor dem Abruf durch den Darlehensnehmer noch kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank, den ein Pfandgläubiger ohne Mitwirkung des Kreditinhabers einziehen könnte. Der Kontokorrentkredit stellt es vielmehr ins Belieben des Kontoinhabers, ob er die Kreditlinie in Anspruch nimmt. Deshalb wird ein Anspruch auf Auszahlung erst durch den Abruf des Kunden begründet.

Das Pfandrecht des Beklagten ist damit jeweils erst mit dem Abruf der Kreditmittel durch die Überweisungsaufträge und damit durch eine Rechtshandlung der Schuldnerin entstanden. Hat der Schuldner nur die Wahl, die geforderte Leistung sofort zu erbringen oder die Vollstreckung durch die bereits anwendbare Vollziehungsperson zu dulden, ist ein selbstbestimmtes Handeln zwar ausgeschlossen. Vorliegend kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass der Abruf der Kreditmittel durch Veranlassung der Überweisungen durch die Schuldnerin jeweils eine Rechtshandlung darstellt. Die Schuldnerin hätte diese Überweisungen ohne weiteres unterlassen können.

Soweit das OLG meint, der Abruf für sich genommen sei nicht anfechtbar, weil die einseitige Zahlungsanweisung des Schuldners die Gläubiger noch nicht benachteilige, solange sie frei widerruflich sei, geht dies fehl. Es ist nicht auf die Zeit vor Ausführung der Überweisung abzustellen, sondern gerade auf den Erfolg des Abrufs der Schuldnerin, die Überweisung durch die S, durch welche die Gläubigerbenachteiligung eintrat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat eine Zahlung mit Mitteln eines zuvor eingeräumten und vom Schuldner abgerufenen Dispositionskredits auch gläubigerbenachteiligende Wirkung.

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