10.09.2015

Zur Anwendung der 0,1 % Regel für besonders besorgniserregende Stoffe in komplexen Erzeugnissen

Die Bestandteile eines komplexen Erzeugnisses müssen der Europäischen Chemikalienagentur mitgeteilt werden, wenn sie einen besonders besorgniserregenden Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 % enthalten. Allein der Umstand, dass es für die Importeure schwierig sein kann, von ihren in Drittländern ansässigen Lieferanten die verlangten Informationen zu erhalten, kann an ihrer Unterrichtungspflicht nichts ändern.

EuGH 10.9.2015, C-106/14
Der Sachverhalt:
Die REACH-Verordnung sieht vor, dass der Produzent oder der Importeur eines Stoffes, der insbesondere aufgrund seiner krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fortpflanzungsgefährdenden Eigenschaften für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt "besonders besorgniserregend" und in einem Erzeugnis in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massenprozent enthalten ist, dies grundsätzlich der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) mitzuteilen hat. Außerdem ist jeder Lieferant verpflichtet, den Abnehmer des Erzeugnisses oder den Verbraucher auf dessen Ersuchen darüber zu informieren.

Die Anwendung der Verordnung auf in Erzeugnissen enthaltene besonders besorgniserregende Stoffe wurde im Jahr 2011 in einem an die Mitgliedstaaten gerichteten Vermerk der Kommission und in von der ECHA veröffentlichten Leitlinien erläutert. Diese Dokumente sehen für in Produkten enthaltene Erzeugnisse im Wesentlichen vor, dass die in der Verordnung vorgeschriebenen Unterrichtungs- und Informationspflichten nur dann gelten, wenn die Konzentration eines besonders besorgniserregenden Stoffes über 0,1 % des gesamten Produkts hinausgeht. Diese Auffassung wurde allerdings von fünf Mitgliedstaaten und Norwegen abgelehnt.

Da die französischen Behörden nicht davon überzeugt waren, dass die Instruktionen ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherstellen, veröffentlichten sie eine Mitteilung über die Art und Weise, wie sie die fraglichen Vorschriften der Verordnung anzuwenden beabsichtigten. Sie stellten klar, dass ihrer Ansicht nach unter den Begriff des Erzeugnisses jeder Gegenstand fällt, der der Definition des Erzeugnisbegriffs i.S.d. Verordnung entspricht.

Die Kläger waren der Ansicht, dass die Mitteilung nicht im Einklang mit der Verordnung in ihrer Auslegung in dem Vermerk der Kommission und in den von der ECHA veröffentlichten Leitlinien stehe. Infolgedessen hat der Conseil d"État das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob bei einem Produkt, das sich aus mehreren Erzeugnissen zusammensetzt, der Schwellenwert für die Konzentration eines besonders besorgniserregenden Stoffes in Bezug auf das gesamte Produkt ermittelt werden muss. Der EuGH hat diese Frage nicht mit einem klaren ja oder nein beantwortet.

Die Gründe:
Die Verordnung definiert den Begriff "Erzeugnis" als einen "Gegenstand, der bei der Herstellung eine spezifische Form, Oberfläche oder Gestalt erhält, die in größerem Maße als die chemische Zusammensetzung seine Funktion bestimmt". Sie enthält jedoch keine Vorschrift, die speziell den Fall eines komplexen Produkts regelt, das mehrere Erzeugnisse enthält. Folglich ist keine Unterscheidung zu treffen zwischen der Situation der Erzeugnisse, die als Bestandteile eines komplexen Produkts beigefügt sind, und der Situation der Erzeugnisse, die isoliert vorliegen. Infolgedessen fällt jedes Erzeugnis, das Bestandteil eines zusammengesetzten Produkts ist, unter die fragliche Unterrichtungs- und Informationspflicht, wenn es einen besonders besorgniserregenden Stoff in einer Konzentration von über 0,1 Massenprozent enthält.

Die dem Produzenten obliegende Unterrichtungspflicht gilt nur für die von ihm selbst produzierten oder zusammengesetzten Erzeugnisse. Sie gilt daher nicht für ein Erzeugnis, das er zwar als Vorleistung verwendet hat, das aber von einem Dritten produziert wurde. Auch dieser Dritte unterliegt jedoch hinsichtlich des von ihm produzierten oder zusammengesetzten Erzeugnisses der Unterrichtungspflicht. Infolgedessen ist der Importeur eines Erzeugnisses, dessen Zusammensetzung einen oder mehrere Gegenstände enthält, die der Definition des Begriffs "Erzeugnis" entsprechen, auch als Importeur dieses oder dieser Erzeugnisse anzusehen. Allein der Umstand, dass es für die Importeure schwierig sein kann, von ihren in Drittländern ansässigen Lieferanten die verlangten Informationen zu erhalten, kann an ihrer Unterrichtungspflicht nichts ändern.

Die Unterrichtungspflicht gegenüber den Abnehmern und den Verbrauchern des Erzeugnisses ist nicht auf die Produzenten und die Importeure beschränkt, sondern gilt für jede zur Lieferkette gehörende Person, sofern sie ein Erzeugnis Dritten bereitstellt. Diese Person hat daher in ihrer Eigenschaft als Lieferant eines Produkts, bei dem ein oder mehrere Erzeugnisse, aus denen es sich zusammensetzt, einen besonders besorgniserregenden Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 Prozent enthalten, seiner Informationspflicht nachzukommen und dem Abnehmer oder dem Verbraucher des Erzeugnisses mindestens den Namen des fraglichen Stoffes anzugeben.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM v. 10.9.2015
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