29.11.2011

Zur Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH

Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist zu berücksichtigen, dass die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen eine vernünftige Regelung bezweckt haben. Es ist insoweit im Zweifel davon auszugehen, dass sie eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben.

BGH 27.9.2011, II ZR 279/09
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 1994 zuletzt mit einem Kapitalanteil von 28 Prozent (14.000 DM) Gesellschafter und seit 1997 Geschäftsführer der beklagten GmbH. In zwei Gesellschafterversammlungen im Jahr 2007 wurde beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen, den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit ihm zu kündigen und seinen Geschäftsanteil unter Berufung auf § 11 des aus dem Jahr 1982 stammenden Gesellschaftsvertrags der Beklagten (GV) einzuziehen.

In § 11 GV ist die Einziehung eines Geschäftsanteils ohne Zustimmung des Gesellschafters u.a. dann vorgesehen, wenn dieser aus der Geschäftsführung oder aus der auf einer gesonderten Vereinbarung beruhenden Mitarbeit in der Gesellschaft ausscheidet. Die Parteien streiten vorliegend um die Höhe der Abfindung des Klägers. Dieser hat eine Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV i.H.v. 7.158 € erhalten. Er verlangt Zahlung einer weiteren Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV i.H.v. 298.602 € in vier Jahresraten. § 12 GV enthält zur Abfindung des ausgeschiedenen Gesellschafters folgende Regelung:

  • "(1) Ein nach § 11 der Satzung ausscheidender Gesellschafter wird für seine Ansprüche in Geld abgefunden. Die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters besteht in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlagen zu berechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft i.S.v. § 266 Abs. 3 lit. A HGB i. V. m. § 272 HGB, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Maßgebend ist das nominelle Eigenkapital am letzten Bilanzstichtag vor dem Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters.
  • (2) In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Abs. 1 S. 2 gesetzlich nicht zulässig ist, bemisst sich die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters nach dem gemeinen Wert seines Anteils, der sich unter Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens nach den Bestimmungen der Abschnitte 76 f Vermögenssteuerrichtlinien zum letzten vor dem Ausscheiden liegenden Bilanzstichtag errechnet."

Das LG gab der Klage statt und stellte die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Verfahren dem Grunde nach fest. Das OLG wies die Klage ab. Auf die hiergegen gechtete Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG durfte nicht offen bleiben, ob die nach § 12 Abs. 1 GV bemessene Abfindung in einem groben Missverhältnis zum Verkehrswert des Anteils des Klägers im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Beklagten steht. Denn der Gesellschaftsvertrag der Beklagten ist dahin auszulegen, dass in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs. 2 GV zur Anwendung kommen soll.

Der zweite Absatz des § 12 GV ist als Auffangtatbestand konzipiert. Er erfasst aber nicht nur wie das OLG wohl meint den Fall, dass sich die Bemessung der Abfindung nach Abs. 1 von Anfang an als unzulässig erweist. Abs. 2 soll vielmehr eine Berechnungsmöglichkeit für alle Fälle bieten, in denen sich die nach Abs. 1 berechnete Abfindung im Einzelfall als gesetzlich unzulässig erweist und zwar unabhängig davon, ob die Abfindung zum Nominalwert von Anfang an sittenwidrig zu gering ist oder ob sie aufgrund der Geschäftsentwicklung der Beklagten mit der Zeit in gesetzwidriger Weise unangemessen wird.

Die aufeinander bezogenen Bestimmungen der Abs. 1 und 2 des § 12 GV stellen ersichtlich eine einheitliche Regelung der Abfindung dar, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich ist, so dass schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG nicht in Betracht kommt. Dadurch, dass das OLG den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 GV nur dann eröffnet sieht, wenn sich die Regelung in Abs. 1 isoliert betrachtet und von Anfang an in jedem Fall als gesetzlich unzulässig erweist, haftet es in unzulässiger Weise zu sehr am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks "Anwendbarkeit der Bestimmung des Abs. 1 S. 2" und verkennt die Verknüpfung der beiden Absätze zu einer einheitlichen Regelung.

Der Auslegung des OLG steht weiter entgegen, dass sie zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ausscheidender Gesellschafter führt. Der ausscheidende Gesellschafter wird bei Anwendung des vom OLG zugrunde gelegten Verständnisses der Abfindungsregelung entweder mit einem sittenwidrig zu geringen, einem nach allgemeinen Bedingungen angemessenen oder einem nach dem Stuttgarter Verfahren berechneten Betrag abgefunden, je nachdem, wie sich zum Zeitpunkt seines Ausscheidens die Geschäftsentwicklung des Unternehmens der Beklagten darstellt. Im Zweifel haben die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen aber etwas Vernünftiges gewollt, nämlich eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung.

Die Regelung baut eben nicht auf der Nichtigkeit wegen gesetzlicher Unzulässigkeit von § 12 Abs. 1 GV auf, sondern auf der Unanwendbarkeit der grundsätzlich vereinbarten, aber im konkreten Fall gesetzlich nicht zulässigen Berechnungsmethode. Immer dann, wenn sich die nach § 12 Abs. 1 GV berechnete Abfindung zum Nominalwert im Zeitpunkt der Abfindung als unzulässig erweist, hat der Gesellschafter Anspruch auf eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem Stuttgarter Verfahren. Bei einem solchen Verständnis kann flexibel auf Schwankungen im Wert des Geschäftsanteils reagiert werden und es wird der Gleichbehandlung aller Gesellschafter Rechnung getragen, die unabhängig vom Zeitpunkt ihres Ausscheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden werden.

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