13.12.2022

Zur Auslegung einer im Fusionskontrollverfahren abgegebenen Verpflichtungszusage

Die im Fusionskontrollverfahren zur Verhinderung einer unangemessenen Blockade eines Netzausbaus durch Wettbewerber gegebene Verpflichtungszusage, einen Netzausbau nur dann vorzunehmen, wenn sich das fragliche Gebiet für einen bestimmten Zeitraum auf einer sog. Shortlist befand, ist nicht ohne weiteres dahin auszulegen, dass dieser Netzausbau unterbleiben muss, wenn ein durch diese Zusage zu schützender Wettbewerber einen eigenen Ausbau dieses Gebietes plant.

OLG Celle v. 1.12.2022 - 13 U 49/22 (Kart)
Der Sachverhalt:
Die Verfügungsklägerin ist ein kommunales Unternehmen, das u.a. den Ausbau des Glasfasernetzes auf dem Gebiet seiner Alleingesellschafterin betreibt. Die Verfügungsbeklagte ist ein Gemeinschaftsunternehmen, das ebenfalls den Ausbau des Glasfasernetzes zum Gegenstand hat. Mit ihren Anträgen begehrte die Verfügungsklägerin, der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, das Gebiet W. Ost mit Glasfaseranschlüssen auszubauen sowie diesen Ausbau und Bestellmöglichkeiten für die entsprechenden Anschlüsse in diesem Gebiet anzukündigen oder zu bewerben.

Das Bundeskartellamt hat die Zusammenarbeit der T. GmbH und der E. AG in dem Gemeinschaftsunternehmen der Verfügungsbeklagten mit Beschluss vom 30.12.2019 freigegeben. Zuvor hatte es mit Beschluss vom 4.12.2019 bestimmte Verpflichtungszusagen dieser Beteiligten für bindend erklärt. Diese enthielten unter A. 4. Zusagen zur "Verhinderung einer unangemessenen Blockade des Ausbaus durch Wettbewerber". Die Beteiligten des Gemeinschaftsunternehmens hatten sich dort insbesondere verpflichtet, den Ausbau des Glasfasernetzes nur in bestimmten Gebieten zu betreiben, u.a. in Gebieten, die sich mehr als 9 Monate auf einer sog. Shortlist befanden.

Die Verfügungsbeklagte setzte das hier maßgebliche Ausbaugebiet am 3.9.2021 auf diese Shortlist. Im Frühjahr 2022 beschloss die Verfügungsklägerin den eigenen Ausbau des Netzes in einem wesentlichen Teil dieses Ausbaugebietes und vermarktete diesen. Ab dem 3.6.2022 kündigte die Verfügungsbeklagte ihrerseits den Ausbau des Gebietes an. Sie kündigte in diesem Zusammenhang einen Baustart im September 2022 und ein Bauende im März 2023 an, wobei diese Termine im weiteren Verlauf teilweise korrigiert wurden.

Das LG hat die Verfügungsanträge sowohl mangels Verfügungsansprüchen als auch mangels Verfügungsgrund zurückgewiesen. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und den Anträgen teilweise stattgegeben.

Die Gründe:
Der Verfügungsklägerin steht kein Anspruch zu, der Verfügungsbeklagten den Ausbau des streitgegenständlichen Gebietes mit Glasfaseranschlüssen zu untersagen. Ein solcher Unterlassungsanspruch folgte weder aus § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB noch aus § 33 Abs. 1 GWB. Die Verfügungsbeklagte war auch nach Nr. 4.1.4 ihrer Verpflichtungszusage nicht verpflichtet, von dem Ausbauvorhaben deshalb Abstand zu nehmen, weil die Verfügungsklägerin als Wettbewerberin der Verfügungsbeklagten in dem streitgegenständlichen Gebiet ebenfalls einen Glasfaserausbau plante.

Nr. 4.1.4. der Verpflichtungszusage regelte eine Privilegierung der Verfügungsbeklagten "für den Fall", dass ein Ausbaugebiet wegen eines sog. Wettbewerberausbaus von der sog. Shortlist gestrichen wird. Hieraus ließ sich bereits dem Wortlaut nach nicht schlussfolgern, dass ein Ausbauvorhaben in jedem Fall eines sog. Wettbewerberausbaus von der Liste zu streichen sei. Allenfalls ließe sich für die Rechtsauffassung der Verfügungsklägerin anführen, dass Nr. 4.1.4 Satz 7 bestimmt, dass die jeweils nächsten Gebiete von der Nachrückerliste auf die Shortlist nachrücken, sofern in dem vorrangigen Nachrückergebiet ebenfalls ein Wettbewerberausbau vorliegt, ohne dass es nach dieser Formulierung einer Entscheidung der Verfügungsbeklagten bedürfe, in dem vorrangigen Nachrückergebiet aufgrund des Wettbewerberausbaus keinen Ausbau vorzunehmen. Hierin lag aber erkennbar nur eine vereinfachte Darstellung, der erkennbar zugrunde liegt, dass ein Wettbewerberausbau nicht automatisch bzw. rechtlich zwingend zu einer "Streichung" von der Shortlist führte.

Schließlich folgte ein Anspruch, der Verfügungsbeklagten den Ausbau des streitgegenständlichen Gebietes mit Glasfaseranschlüssen zu untersagen, auch nicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Abgesehen von der durch die Darstellung eines kurzen zeitlichen Rahmens charakterisierten konkreten Bewerbung des Ausbaus wäre weder der geplante Ausbau noch dessen grundsätzliche Bewerbung missbräuchlich. Diese verstießen als solche nicht gegen die Verpflichtungszusage, sodass offenbleiben konnte, inwieweit ein denkbarer Verstoß eine Missbräuchlichkeit indizierte. Auch im Übrigen hat das LG zutreffend erkannt, dass die "Vernichtung" eines sog. First-Mover-Advantages durch die als solche nicht zu beanstandende wirtschaftliche Tätigkeit eines Wettbewerbers keine unbillige Behinderung darstellte.

Der Verfügungsklägerin steht aber entgegen der Auffassung des LG ein Anspruch zu, der Verfügungsbeklagten die Ankündigung und Bewerbung eines Ausbaus des streitgegenständlichen Gebietes mit der zeitlichen Bezugnahme auf einen Baustart im September (bzw. Oktober) 2022 und ein Bauende im März bzw. im Frühjahr oder im Mai 2023 zu untersagen. Diese Ankündigungen bzw. Bewerbungen stellten geschäftliche Handlungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar und waren irreführend, so dass der Verfügungsklägerin ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG zusteht. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten vermittelt der Aufbau dem durchschnittlich informierten Adressaten nicht den Eindruck, dass es sich bei diesen genannten Daten um unverbindliche Annahmen handele, die von der weiteren Planung abhingen. Ein entsprechender ausdrücklicher Vorbehalt erfolgte nicht.

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