29.02.2024

Zur Festsetzung des Streitwerts eines Patentnichtigkeitsverfahrens

Die während der möglichen Restlaufzeit eines Formulierungspatents zu erwartenden Umsätze der Patentinhaberin mit einem bestimmten Arzneimittel bilden keine geeignete Grundlage für die Festsetzung des Streitwerts eines Patentnichtigkeitsverfahrens, wenn dieses Arzneimittel von der Lehre des Streitpatents keinen Gebrauch macht. Der Streitwert eines Verletzungsrechtsstreits bildet grundsätzlich auch dann einen maßgeblichen Anhaltspunkt für den Wert des mit einer Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents, wenn die Anträge im Verletzungsverfahren zurückgenommen worden sind.

BGH v. 23.1.2024 - X ZR 161/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 3 143 990 (Streitpatents), das am 30.3.2012 unter Inanspruchnahme US-amerikanischer Prioritäten vom 1.4. und 11.10.2011 angemeldet wurde und eine für die orale Verabreichung geeignete feste Formulierung mit 0,5 Milligramm Fingolimod, einem Füllstoff und einem Cyclodextrin enthaltenden Stabilisator betrifft.

Die Beklagte wandte sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Vertrieb eines von der Lehre des Streitpatents Gebrauch machenden Medikaments durch die Klägerin. Im Verfügungsverfahren wurde der Streitwert zunächst auf 3,6 Mio. € und nach Rücknahme eines Teils der Anträge auf 2,4 Mio. € festgesetzt. Im Berufungsverfahren vor dem OLG nahm die hiesige Beklagte ihre Anträge in vollem Umfang zurück.

Das BPatG erklärte das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig und setzte den erstinstanzlichen Streitwert auf 30 Mio. € fest. Die Beklagte legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Sie beantragt vorab, den Streitwert für beide Instanzen auf 3,6 Mio. € festzusetzen. Die Klägerin hält eine Festsetzung auf 4,5 Mio. € für angemessen. Der BGH setzte den Streitwert für beide Instanzen des Berufungsverfahrens auf 4,5 Mio. € fest.

Die Gründe:
Zu Recht machen beide Parteien geltend, dass die Festsetzung des erstinstanzlichen Streitwerts durch das BPatG auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.

Der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche gemeine Wert des mit der Nichtigkeitsklage angefochtenen Patents ist in Ermangelung anderer Anhaltspunkte anhand der (vorläufigen) Streitwertfestsetzung aus anhängigen Verletzungsverfahren zzgl. eines Zuschlags von 25 % zu bemessen. Eine abweichende Festsetzung ist möglich und geboten, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ein abweichender Wert ergibt. Entgegen der Auffassung des BPatG bilden die während der möglichen Restlaufzeit des Patents zu erwartenden Umsätze der Beklagten mit dem Medikament Gilenya im Streitfall jedoch keine geeignete Grundlage für eine abweichende Festsetzung.

Nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien macht Gilenya - anders als die von der Klägerin angebotene Ausführungsform - von der Lehre des Streitpatents keinen Gebrauch, weil es nicht den Stabilisator Cyclodextrin enthält. Vor diesem Hintergrund besteht keine gesicherte Grundlage für die Annahme, dass die Umsätze mit Gilenya durch die Nichtigerklärung des Streitpatents in einem für den Streitwert des vorliegenden Verfahrens erheblichen Umfang beeinflusst werden. Der Wert des Streitpatents wird vielmehr im Wesentlichen durch die Möglichkeit bestimmt, den Vertrieb von Ausführungsformen, die von der Lehre des Streitpatents Gebrauch machen, zu unterbinden. Dieser Wert spiegelt sich im Streitwert des Verletzungsverfahrens wider. Anhaltspunkte, die Anlass geben könnten, von dem üblichen Zuschlag von 25 % abzuweichen, sind demgegenüber nicht ersichtlich.

Eine Festsetzung auf 4,5 Mio. € erscheint hier angemessen. Dieser Betrag korreliert mit dem im Verletzungsverfahren ursprünglich festgesetzten Streitwert von 3,6 Mio. €. Dass der Streitwert des Verletzungsverfahrens später auf 2,4 Mio. € reduziert wurde, ist - ebenso wie die später erfolgte vollständige Rücknahme des Verfügungsantrags - demgegenüber nicht zu berücksichtigen. Durch die Rücknahme der Anträge ist die hiesige Beklagte nicht gehindert, ihre gegen die angegriffene Ausführungsform gerichteten Ansprüche erneut geltend zu machen. Der aus dieser Möglichkeit resultierende Wert ist mangels besonderer Anhaltspunkte anhand des ursprünglich festgesetzten Streitwerts zzgl. des üblichen Zuschlags zu bemessen.

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