30.01.2012

Zur Pflicht einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 59 Abs. 1 GWB

Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Trinkwasser auf der Grundlage eines Anschluss- und Benutzungszwangs und einer Gebührensatzung liefert, ist i.S.d. § 59 Abs. 1 GWB Unternehmen. Nach dieser Vorschrift ist sie zur Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verpflichtet.

BGH 18.10.2011, KVR 9/11
Der Sachverhalt:
Das Bundeskartellamt führt gegen die Berliner Wasserbetriebe A.ö.R. ein Verfahren wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise. Um Informationen über Entgelte, Kosten und Erlöse in möglichen Vergleichsgebieten zu erlangen, erließ das Amt Auskunftsbeschlüsse gem. § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB gegen 45 Trinkwasserversorgungsunternehmen.

Einer dieser Zweckverbände erhebt für die Versorgung mit Trinkwasser Gebühren auf der Grundlage einer kommunalen Gebührensatzung. Nach der von ihm erlassenen Satzung über die Wasserversorgung sind die Eigentümer der in seinem Gebiet liegenden Grundstücke grundsätzlich verpflichtet, diese an die öffentliche Wasserversorgungsanlage anzuschließen und ihren gesamten Wasserbedarf ausschließlich aus dieser Anlage zu decken (Anschluss- und Benutzungszwang). Der Zweckverband legte gegen den Auskunftsbeschluss Beschwerde ein.

Das OLG ordnete auf Antrag des Zweckverbandes gem. § 65 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 Nr. 2 GWB die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Auskunftsbeschlusses, weil der Zweckverband nicht als Unternehmen i.S.d. § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB anzusehen sei. Die Versorgungstätigkeit des Zweckverbandes sei als hoheitlich zu qualifizieren und damit dem Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entzogen.

Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hob der BGH den Beschluss des OLG auf und lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ab.

Die Gründe:
Der Ansicht des OLG, der Zweckverband sei wegen der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Benutzungsverhältnisse zu den Wasserabnehmern kein Unternehmen i.S.d. § 59 Abs. 1 GWB und deshalb nach dieser Vorschrift nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet, ist nicht zu folgen.

Die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses eines Wasserversorgers zu seinen Abnehmern steht jedenfalls seiner Einordnung als Unternehmen i.S.d. § 59 Abs. 1 GWB nicht entgegen. Der im Kartellrecht geltende funktionale Unternehmensbegriff ist "relativ". So hat der Senat entschieden, dass eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die hoheitlich tätig ist, im Sinne einer "Doppelqualifikation" als Unternehmen anzusehen ist, wenn und soweit sie daneben in einer Wettbewerbsbeziehung zu anderen Unternehmen steht.

Danach ist ein Wasserversorger, auch wenn er in Bezug zu seinen Abnehmern in den Formen des öffentlichen Rechts tätig ist, Unternehmen i.S.d. § 59 Abs. 1 GWB. Mit dieser Norm soll sichergestellt werden, dass sich die Kartellbehörden ausreichende Informationen beschaffen können, um ihre gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Dazu kommt es im vorliegenden Zusammenhang darauf an, dass die Behörden Aufschluss über die Erlöse und Kosten von Wasserversorgern erhalten, die mit demjenigen Unternehmen, dessen Preisgestaltung untersucht werden soll - hier die Berliner Wasserbetriebe A.ö.R. -, gleichartig sind i.S.d. § 103 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 GWB in der Fassung der 5. GWB-Novelle 1990.

Dagegen geht es nicht darum, die Angemessenheit der Wasserpreise des in den Formen des öffentlichen Rechts tätigen Wasserversorgers zu überprüfen. Eine Auskunft kann deshalb unabhängig davon erteilt werden, ob der jeweilige Wasserversorger sein Leistungsverhältnis öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet hat. Seine öffentlich-rechtliche Tätigkeit wird dadurch nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil steht er insoweit auf einer Stufe mit allen anderen Wasserversorgern, die ebenfalls zu Auskünften nach § 59 Abs. 1 GWB verpflichtet sind.
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