Zur Teilbarkeit beiderseitig geschuldeter teilweise mangelhafter Leistungen
BGH v. 17.7.2025 - IX ZR 70/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.3.2022 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Er verlangt von der Beklagten restlichen Werklohn.
Der Schuldner war als selbständiger Dachdecker- und Zimmerermeister tätig. Mit Nachunternehmervertrag vom 31.7.2019 wurde er von der Beklagten mit den Gewerken Dachdecker- und Klempnerarbeiten an einem Bauvorhaben in Wilhelmshaven beauftragt. Die Vertragsparteien vereinbarten eine Abrechnung nach Einheitspreisen und die Geltung der VOB/B. Der Schuldner führte die Arbeiten in der Zeit vom 30.10.2019 bis zum 15.3.2021 aus und stellte Abschlagsrechnungen, welche die Beklagte im Wesentlichen bezahlte. Unter dem 15.3.2021 legte der Schuldner Schlussrechnung, die unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen eine offene Restforderung i.H.v. rd. 90.000 € auswies. Die Beklagte rügte Mängel und ausstehende Restleistungen. Der Schuldner nahm weitere Arbeiten an dem Bauvorhaben vor. Die Beklagte zahlte in mehreren Teilbeträgen insgesamt weitere 20.000 € und rügte weiterhin Mängel.
Im vorliegenden Rechtsstreit nahm zunächst noch der Schuldner die Beklagte auf Zahlung der ausstehenden Restforderung i.H.v. rd. 70.000 € in Anspruch. Der Rechtsstreit wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbrochen. Der Kläger nahm den Rechtsstreit auf. Die vom LG durchgeführte Beweisaufnahme ergab Mängel der Werkleistung des Schuldners; daraufhin lehnte der Kläger die (weitere) Erfüllung des Nachunternehmervertrags vom 31.7.2019 ab.
Das LG wies die Klage als unbegründet ab. Der streitgegenständliche Werklohnanspruch sei nicht fällig. Infolge der Erfüllungsablehnung durch den Kläger könne die Fälligkeit auch nicht mehr herbeigeführt werden. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft meint das OLG, die Vergütung für die vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung sei nicht fällig. Der Insolvenzverwalter kann einen Vergütungsanspruch aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten Werkvertrag für eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Teilleistung des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von einer Abnahme der Werkleistung durchsetzen. Dies ergibt sich aus §§ 103, 105 InsO, der bei einer teilbaren Leistung aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrag mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Spaltung des Vertrags und den damit für die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erbrachten Teilleistungen eintretenden Rechtsfolgen.
Der streitgegenständliche Anspruch ergibt sich aus einem gegenseitigen Vertrag i.S.d. § 103 InsO. Der Schuldner hat die nach dem Nachunternehmervertrag geschuldeten Bauleistungen noch nicht vollständig erbracht, weil die Leistungen nach den Feststellungen des OLG mangelhaft sind. Die Beklagte hat den Werklohn noch nicht vollständig bezahlt. Erfüllung i.S.d. § 103 InsO ist - selbst nach Abnahme des Werkes - solange nicht eingetreten, als beseitigungsfähige Mängel bestehen. Denn der Nacherfüllungsanspruch des Bestellers ist letztlich der ursprüngliche Erfüllungsanspruch in modifizierter Form. Der Anspruch auf Vergütung für die vom Schuldner vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistung ist unabhängig von einer Erfüllungswahl oder -ablehnung durch den Verwalter, weil die beiderseitig geschuldeten Leistungen teilbar sind und dies zu einer Aufspaltung (Teilung) des Vertrags führt. Dies gilt auch für einen Werkvertrag.
Der Insolvenzverwalter kann einen Anspruch auf Vergütung für die vom Schuldner vorinsolvenzlich erbrachten Leistungen auf einen zur Zeit der Verfahrenseröffnung beiderseitig nicht oder nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag unabhängig von einer Erfüllungswahl zur Masse ziehen, wenn die beiderseitig geschuldeten Leistungen teilbar sind. Ist dies der Fall, bewirkt bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und nicht erst die spätere Erfüllungswahl oder -ablehnung eine Aufspaltung des einheitlichen Vertragsverhältnisses in den vom Schuldner erfüllten und den nicht erfüllten Teil.
Bislang nicht abschließend geklärt ist, welche Auswirkungen es auf die Teilbarkeit der Leistung hat, wenn die vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung Mängel aufweist. Eine mangelhafte Leistung ist nur teilweise - im Umfang der Mängelfreiheit - erbracht. Die Mangelhaftigkeit der Leistung steht damit der Teilbarkeit nicht entgegen. Dies gilt auch für einen Werkvertrag. Denn hinsichtlich der Mängelbeseitigung und Herstellung eines mangelfreien Werks handelt es sich um die Teile des Vertrags, die - ohne dass zu den insoweit streitigen Fragen Stellung genommen werden müsste - der Erfüllungswahl unterliegen. Sie ist teilbar, wenn sich ein mangelfreier Leistungsteil abgrenzen lässt. Es kommt darauf an, ob sich der Wert der mangelfrei erbrachten Teilleistung und ein auf sie entfallender Anteil der Gegenleistung im Verhältnis zur Gesamtleistung und Gesamtvergütung objektiv bestimmen lassen.
Ist eine Werkleistung teilbar, setzt die Durchsetzung des Vergütungsanspruchs für den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erbrachten Teil der Leistung aufgrund der insolvenzrechtlichen Modifikationen keine Abnahme dieser Teilleistung voraus. Es ist insolvenzrechtlich unerheblich, dass materiellrechtlich kein Abrechnungsverhältnis entsteht. Aufgrund der mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Vertragsspaltung sind die Vergütungsansprüche für die jeweiligen Teile der Leistung - sofern sie teilbar sind - selbständig zu behandeln.
Aufgrund der Spaltung des Vertrags richtet sich die Vergütung nach dem für die erbrachte Teilleistung geschuldeten Betrag. Maßgeblich ist der Wert der Teilleistung nach Maßgabe der vertraglich vereinbarten Vergütung. Weist die Teilleistung Mängel auf, kommt es für die Bemessung der Teilvergütung auf den Wert der mangelfreien Leistung an. Hierzu ist der auf die erbrachte Teilleistung entfallende Anteil der Gesamtvergütung zu ermitteln und um die für die Beseitigung der Mängel der Teilleistung erforderlichen Kosten zu mindern, soweit die Mängel in den Verantwortungsbereich des Schuldners fallen. Es besteht daher insoweit nur ein von vornherein um die Mängelbeseitigungskosten verminderter Vergütungsanspruch für die Teilleistung.
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Marotzke in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
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Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.3.2022 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Er verlangt von der Beklagten restlichen Werklohn.
Der Schuldner war als selbständiger Dachdecker- und Zimmerermeister tätig. Mit Nachunternehmervertrag vom 31.7.2019 wurde er von der Beklagten mit den Gewerken Dachdecker- und Klempnerarbeiten an einem Bauvorhaben in Wilhelmshaven beauftragt. Die Vertragsparteien vereinbarten eine Abrechnung nach Einheitspreisen und die Geltung der VOB/B. Der Schuldner führte die Arbeiten in der Zeit vom 30.10.2019 bis zum 15.3.2021 aus und stellte Abschlagsrechnungen, welche die Beklagte im Wesentlichen bezahlte. Unter dem 15.3.2021 legte der Schuldner Schlussrechnung, die unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen eine offene Restforderung i.H.v. rd. 90.000 € auswies. Die Beklagte rügte Mängel und ausstehende Restleistungen. Der Schuldner nahm weitere Arbeiten an dem Bauvorhaben vor. Die Beklagte zahlte in mehreren Teilbeträgen insgesamt weitere 20.000 € und rügte weiterhin Mängel.
Im vorliegenden Rechtsstreit nahm zunächst noch der Schuldner die Beklagte auf Zahlung der ausstehenden Restforderung i.H.v. rd. 70.000 € in Anspruch. Der Rechtsstreit wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners unterbrochen. Der Kläger nahm den Rechtsstreit auf. Die vom LG durchgeführte Beweisaufnahme ergab Mängel der Werkleistung des Schuldners; daraufhin lehnte der Kläger die (weitere) Erfüllung des Nachunternehmervertrags vom 31.7.2019 ab.
Das LG wies die Klage als unbegründet ab. Der streitgegenständliche Werklohnanspruch sei nicht fällig. Infolge der Erfüllungsablehnung durch den Kläger könne die Fälligkeit auch nicht mehr herbeigeführt werden. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft meint das OLG, die Vergütung für die vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung sei nicht fällig. Der Insolvenzverwalter kann einen Vergütungsanspruch aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten Werkvertrag für eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Teilleistung des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von einer Abnahme der Werkleistung durchsetzen. Dies ergibt sich aus §§ 103, 105 InsO, der bei einer teilbaren Leistung aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrag mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Spaltung des Vertrags und den damit für die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erbrachten Teilleistungen eintretenden Rechtsfolgen.
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Bislang nicht abschließend geklärt ist, welche Auswirkungen es auf die Teilbarkeit der Leistung hat, wenn die vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung Mängel aufweist. Eine mangelhafte Leistung ist nur teilweise - im Umfang der Mängelfreiheit - erbracht. Die Mangelhaftigkeit der Leistung steht damit der Teilbarkeit nicht entgegen. Dies gilt auch für einen Werkvertrag. Denn hinsichtlich der Mängelbeseitigung und Herstellung eines mangelfreien Werks handelt es sich um die Teile des Vertrags, die - ohne dass zu den insoweit streitigen Fragen Stellung genommen werden müsste - der Erfüllungswahl unterliegen. Sie ist teilbar, wenn sich ein mangelfreier Leistungsteil abgrenzen lässt. Es kommt darauf an, ob sich der Wert der mangelfrei erbrachten Teilleistung und ein auf sie entfallender Anteil der Gegenleistung im Verhältnis zur Gesamtleistung und Gesamtvergütung objektiv bestimmen lassen.
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Aufgrund der Spaltung des Vertrags richtet sich die Vergütung nach dem für die erbrachte Teilleistung geschuldeten Betrag. Maßgeblich ist der Wert der Teilleistung nach Maßgabe der vertraglich vereinbarten Vergütung. Weist die Teilleistung Mängel auf, kommt es für die Bemessung der Teilvergütung auf den Wert der mangelfreien Leistung an. Hierzu ist der auf die erbrachte Teilleistung entfallende Anteil der Gesamtvergütung zu ermitteln und um die für die Beseitigung der Mängel der Teilleistung erforderlichen Kosten zu mindern, soweit die Mängel in den Verantwortungsbereich des Schuldners fallen. Es besteht daher insoweit nur ein von vornherein um die Mängelbeseitigungskosten verminderter Vergütungsanspruch für die Teilleistung.
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§ 103 Wahlrecht des Insolvenzverwalters
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