04.03.2013

Zur Unzulässigkeit eines den Wettbewerb ausschaltenden Systems von Pflichtfortbildungen einer berufsständischen Vertretung

Nach dem Unionsrecht darf eine berufsständische Vertretung für ihre Mitglieder nicht ein System von Pflichtfortbildungen vorsehen, das teilweise den Wettbewerb ausschaltet und das diskriminierende Bedingungen zum Nachteil von Wettbewerbern auf dem Fortbildungsmarkt schafft. Dass eine berufsständische Vertretung gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung zu errichten, entzieht die von ihr erlassenen Normen nicht dem Anwendungsbereich des Unionsrechts.

EuGH 28.2.2013, C-1/12
Der Sachverhalt:
Die Berufsständische Vertretung für geprüfte Buchhalter (OTOC) ist ein portugiesischer Berufsverband, in dem geprüfte Buchhalter Mitglied sein müssen. Die OTOC vertritt ihre beruflichen Interessen und führt die Aufsicht in allen Angelegenheiten, die mit der Wahrnehmung ihrer beruflichen Aufgaben zusammenhängen. Nach einem Erlass der OTOC müssen geprüfte Buchhalter in Portugal im Zeitraum der jeweils letzten beiden Jahre jährlich durchschnittlich 35 Punkte durch Fortbildungen erwerben, die von der OTOC erteilt werden oder anerkannt sind. Dabei sieht ein weiterer Erlass der OTOC über den Erwerb dieser Fortbildungspunkte zwei Arten von Fortbildungen vor.

Zum einen ist eine "institutionelle Fortbildung" (mit einer Dauer von bis zu 16 Stunden) vorgesehen, mit der die Berufsangehörigen für Gesetzesinitiativen und -änderungen sowie für Fragen ethischer und berufsrechtlicher Art sensibilisiert werden sollen. Diese Fortbildung kann nur von der OTOC erteilt werden, und jeder geprüfte Buchhalter muss in der institutionellen Fortbildung jährlich 12 Punkte erwerben. Zum anderen ist eine "berufliche Fortbildung" (mit einer Moduldauer von mindestens 16 Stunden) vorgesehen, die Studientagungen zu beruflichen Themen umfasst. Diese Fortbildung kann von der OTOC, aber auch von bei ihr registrierten Einrichtungen erteilt werden. Die Entscheidung darüber, ob eine Fortbildungseinrichtung von ihr registriert wird und ob von diesen registrierten Einrichtungen angebotene Fortbildungsmaßnahmen jeweils anerkannt werden, trifft die OTOC nach Entrichtung einer Gebühr.

Im Mai 2010 stellte die portugiesische Wettbewerbsbehörde fest, dass der Erlass über den Erwerb von Fortbildungspunkten unter Verstoß gegen das Unionsrecht eine Wettbewerbsverzerrung auf dem Markt der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter im gesamten Staatsgebiet verursacht habe. Gegen die OTOC wurde daher eine Geldbuße verhängt. Dieser Markt sei künstlich segmentiert worden, indem ein Drittel des Marktes der OTOC selbst vorbehalten worden sei (12 von insgesamt 35 Punkten) und auf dem restlichen Teil des Marktes diskriminierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber dieser berufsständischen Vertretung vorgesehen worden seien.

Die OTOC erhob gegen diese Entscheidung vor den portugiesischen Gerichten eine Klage auf Nichtigerklärung. In diesem Zusammenhang hat der Appellationshof Lissabon, bei dem der Rechtsstreit im Rechtsmittelverfahren anhängig ist, dem EuGH Fragen zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf berufsständische Vertretungen vorgelegt.

Die Gründe:
Ein von einer berufsständischen Vertretung wie der OTOC angenommener Erlass ist als Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.d. Wettbewerbsrechts der Union anzusehen. Dass eine berufsständische Vertretung wie die OTOC gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung für ihre Mitglieder zu errichten, ändert dabei nichts an der Anwendbarkeit des europäischen Wettbewerbsrechts auf die von ihr erlassenen Normen, sofern diese ausschließlich ihr zuzurechnen sind. Und auch der Umstand, dass sich diese Normen nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der berufsständischen Vertretung auswirken, berührt die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts nicht, wenn der dieser berufsständischen Vertretung zur Last gelegte Verstoß einen Markt betrifft, auf dem sie selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Ein von einer berufsständischen Vertretung angenommener Erlass, mit dem ein System der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter errichtet wird, um die Qualität der von diesen angebotenen Dienstleistungen sicherzustellen, kann eine unionsrechtlich verbotene Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Und zwar dann, wenn er auf einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes zugunsten dieser berufsständischen Vertretung den Wettbewerb ausschaltet und auf dem restlichen Teil dieses Marktes diskriminierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber der berufsständischen Vertretung vorsieht. Dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Es wird zunächst die Struktur des Marktes zu untersuchen haben, um zu ermitteln, ob die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Fortbildungen nach ihrem Gegenstand, ihrer Dauer und den zu ihrer Erteilung befugten Einrichtungen gerechtfertigt ist. Was ihren Gegenstand betrifft, gibt es Hinweise darauf, dass diese beiden Fortbildungsarten zumindest teilweise als austauschbar angesehen werden können. Hinsichtlich der Einrichtungen, die diese beiden Arten von Fortbildungen erteilen dürfen, ist festzuhalten, dass der fragliche Erlass einen nicht unbedeutenden Teil des Marktes der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter der OTOC vorbehält. Weiter wird das Gericht zu prüfen haben, ob andere Fortbildungseinrichtungen, die Fortbildungsprogramme von kurzer Dauer anbieten wollen, daran gehindert werden, dies zu tun, was das normale Verhältnis von Angebot und Nachfrage stören würde.

Zu Prüfen ist auch, welche Marktzugangsbedingungen für andere Einrichtungen als die OTOC bestehen, um zu überprüfen, ob die Chancengleichheit der unterschiedlichen Marktteilnehmer sichergestellt ist. Die von der OTOC erteilte berufliche Fortbildung unterliegt im Unterschied zu der anderer Fortbildungseinrichtungen keinem Anerkennungsverfahren, wobei zudem die von anderen Fortbildungseinrichtungen zu erfüllenden Kriterien in dem Erlass wenig präzise gefasst sind. So kann die OTOC nach ihrem Erlass über die Anträge auf Registrierung oder Anerkennung einseitig entscheiden, ohne dass diese Befugnis Beschränkungen, Bindungen oder einer Kontrolle unterliegt. Dies könnte dazu führen, dass die OTOC den Wettbewerb verfälscht, indem sie ihre eigenen Fortbildungsmaßnahmen begünstigt. Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass der Antrag auf Anerkennung mindestens drei Monate vor Beginn der Fortbildung gestellt werden muss, was den Einrichtungen faktisch die Möglichkeit nimmt, aktuelle Fortbildungsmaßnahmen unverzüglich anzubieten.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 21 vom 28.2.2013
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