31.05.2021

Zur Verwirklichung eines Merkmals (Schnellwechseldorn)

Wird in der Beschreibung eines Patents ein bekannter Stand der Technik als nachteilhaft bezeichnet und ein im Patentanspruch vorgesehenes Merkmal als Mittel hervorgehoben, um diesen Nachteil zu überwinden, ist diesem Merkmal im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge es sich in demjenigen Stand der Technik wiederfindet, von dem es sich gerade unterscheiden soll.

BGH v. 2.3.2021 - X ZR 17/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin für Deutschland erteilten europäischen Patents 1 827 741, das im Dezember 2004 angemeldet worden war und eine Schnellwechsel- und Bohrkernauswerfspindel für eine Lochsäge betrifft. Nach der Beschreibung waren im Stand der Technik Dorne bekannt, die geeignet sind, einen Bohrer und koaxial dazu eine Lochsäge zu halten und eine Befestigung an einer Bohrmaschine zu ermöglichen. Herkömmliche Ausgestaltungen wiesen hierfür einen Halter auf, der den Bohrer in einer axial verlaufenden Öffnung der Schnellwechselvorrichtung aufnehme und durch eine Klemmschraube in axialer Richtung sichere. Die Lochsäge sei mittels einer Gewindeverbindung oder eines Bajonettverschlusses an dem Halter der Schnellwechselvorrichtung befestigt. Dieser Aufbau sei komplex und in der Herstellung aufwändig und teuer. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, einen konstruktiv und funktional vereinfachten Dorn zur Verfügung zu stellen, der einfacher und kostengünstiger herzustellen ist.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und mit sieben Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag 2 verteidigte Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen wandten sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin. Der BGH hat das Urteil des Bundespatentgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.

Gründe:
Es fehlt, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, an einer Offenbarung von Merkmal 3 a.

Nach den Merkmalen 3 a und 3 b sind die Befestigungsmittel (6) vom Längskörper (3) lösbar und über diesen axial verschiebbar. Lösbar im Sinne von Merkmal 3 a ist die Verbindung zwischen den Befestigungsmitteln (6) und dem Längskörper (3), wenn die beiden Teile zur Entnahme des Werkzeugs auf einfache Weise voneinander getrennt werden können.

Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht es zur Verwirklichung dieses Merkmals nicht aus, wenn die Befestigungsmittel (6) zu Wartungs- oder Reparaturzwecken vom Längskörper (3) gelöst werden können. Die Möglichkeit, die Befestigungsmittel (6) zu lösen und zu verschieben, dient nach Merkmal 3 a dem Zweck, das Werkzeug (2) am Längskörper (3) zu befestigen. Deshalb muss diese Möglichkeit zum Einsatz kommen, wenn das Werkzeug im Zusammenhang mit dessen Benutzung befestigt oder entfernt wird. Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents.

Das Streitpatent setzt sich bei der Beschreibung des Stands der Technik mit der internationalen Patentanmeldung WO 01/38028 (K4) auseinander. Die dort offenbarte Vorrichtung zur Befestigung einer Lochsäge und eines Pilotbohrers weise eine verschiebbare Selektorhülse auf, die ein schnelles Koppeln und Entkoppeln von Lochsäge und Pilotbohrer ermögliche, aber fest mit dem Werkzeugende des Dorns verbunden sei (Abs. 3). Diese Ausgestaltung bezeichnet das Streitpatent als zu komplex (Abs. 5). Als Mittel zur Verbesserung wird unter anderem die Lösbarkeit der Befestigungsmittel hervorgehoben (Abs. 7).

Hieraus ist zu folgern, dass ein Befestigungsmittel nur dann lösbar im Sinne von Merkmal 3 a ist, wenn es nicht nur zu Reparatur- und Wartungszwecken vom Dorn gelöst werden kann, sondern auch bei dem für das Entfernen des Werkzeugs vorgesehenen Ablauf. Wird in der Beschreibung eines Patents ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen (BGH-Urt. v. 27.11.2018 - X ZR 16/17 - Scheinwerferbelüftungssystem).

Im Streitfall gehört das Merkmal 3 a zwar nicht zum kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs. Den aufgezeigten Ausführungen in der Beschreibung ist aber zu entnehmen, dass sich das Streitpatent auch mit diesem Merkmal von dem in K4 offenbarten Stand der Technik abgrenzen will. Deshalb ist auch dieses Merkmal im Zweifel so auszulegen, dass es sich in K4 nicht wiederfindet.
BGH-online
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