Zur Zulässigkeit einer identifizierenden Wortberichterstattung über den selbst nicht prominenten Ehegatten einer Person des öffentlichen Lebens
BGH v. 22.7.2025 - VI ZR 217/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer Wortberichterstattung auf Unterlassung in Anspruch. Der Kläger ist Arzt in Dresden und mit dem ehemaligen Model A. verheiratet. In der Öffentlichkeit ist das Paar bisher zusammen nicht aufgetreten. Die Beklagte, die für die Inhalte auf www.bild.de verantwortlich ist, veröffentlichte dort am 13.9.2019 den folgenden Artikel (nicht angegriffene Passagen kursiv):
Supermodel traut sich noch mal
A.[voller Name] - heimliche Hochzeit in Dresden
A.[voller Name und Bild] hat zum zweiten Mal geheiratet
Traumhochzeit auf Schloss Eckberg: Supermodel A.[voller Name und Alter] hat zum zweiten Mal geheiratet. In ihrer Wahlheimat Dresden gab die einstige Muse von Karl Lagerfeld (†85) ihrem sechs Jahre jüngeren Dauerfreund M.[voller Vorname] P. (42) das Ja-Wort. Wie "Bunte" berichtet [Verlinkung] heirateten das Model und der Uniklinik-Oberarzt am Samstag im Standesamt auf Schloss Albrechtsberg. Im Anschluss feierte die Gesellschaft im Schloss Eckberg.
[Foto Schloss Eckberg mit Bildunterschrift: Traumkulisse für die Traumhochzeit: Schloss Eckberg in Dresden]
A.s[Nachname] zweite Hochzeit fand heimlich nur mit Familie und engsten Freunden statt. Nicht so wie A.s[voller Name] erste Ehe mit Schauspieler G.[voller Name, Alter, Fernsehserie], die ebenso wie die Scheidung öffentlich ausgetragen wurden.
Das Model und der Dresdner Millionär sind seit vielen Jahren ein Paar. A.[Nachname] und P. haben zwei gemeinsame Töchter (9, 6).
Der Kläger begehrt die Unterlassung der Veröffentlichung der ausgewiesenen Passagen wie geschehen in Bezug auf ihn unter namentlicher Nennung "M.[voller Vorname] P."
Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung. Das KG wies die Klage ganz überwiegend ab und erhielt die Unterlassungsverpflichtung nur insoweit aufrecht, als die Beklagte nicht mehr verbreiten darf, der Kläger sei Millionär. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des KG auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Der Kläger kann von der Beklagten auch im noch streitgegenständlichen Umfang entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK Unterlassung verlangen.
Die angegriffene Berichterstattung beeinträchtigt den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in dessen Ausprägung als Recht auf Achtung der Privatsphäre. Bei der Eingehung der Ehe und den damit verbundenen Feierlichkeiten handelt es sich um familiäre Angelegenheiten, die als "privat" einzustufen sind, auch wenn das Ergebnis der Eheschließung, die Ehe samt deren rechtlichen Folgen (z.B. der Wechsel des Personenstandes), über die im Streitfall jedoch nicht berichtet wird, die Sozialsphäre betreffen kann. Der Kläger ist auch in persönlicher Hinsicht unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen. Zwar zielt die angegriffene Berichterstattung auf seine Ehefrau A. und steht diese im Mittelpunkt, doch ist als deren neuer Ehegatte auch der Kläger Gegenstand des Artikels. Der Kläger ist durch die Nennung seines vollen Vornamens und die Initiale seines Nachnamens, seines Alters, Berufs, Arbeitgebers, Wohnortes sowie von Zahl und Alter seiner Kinder ohne Weiteres auch über seinen engsten Familien- und Freundeskreis hinaus zu identifizieren.
Die Beeinträchtigung der Privatsphäre des Klägers, die demnach durch die angegriffene Berichterstattung bewirkt worden ist, erweist sich als rechtswidrig. Im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Klägers und den Rechten der Presse gebührt den schützenswerten Interessen des Klägers der Vorrang. Zwar wiegt die mit der angegriffenen Berichterstattung einhergehende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers angesichts dessen, dass jedenfalls teilweise nur seine äußere Privatsphäre betroffen ist, sowie vor dem Hintergrund nicht besonders schwer, dass keine dem Kläger abträglichen Informationen ausgebreitet werden. Auch wird der Kläger nicht mit vollem Nachnamen genannt und ist deshalb nicht für jeden Leser des Artikels ohne Weiteres zu identifizieren, wenngleich insofern zu berücksichtigen ist, dass gerade die Identifizierbarkeit in seinem örtlichen und beruflichen Umfeld vom Kläger als belastend empfunden werden kann. Insgesamt überwiegen aber die berechtigten Interessen des Klägers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der - allein streitgegenständlichen - Berichterstattung unter namentlicher Nennung des Klägers.
Ein originär dem Kläger gegenüber bestehendes Informationsinteresse an der angegriffenen Berichterstattung dergestalt, dass die Öffentlichkeit Kenntnis vom Umstand erhalten soll, dass namentlich der Kläger standesamtlich geheiratet hat, ist offensichtlich nicht gegeben. Der Kläger ist bislang nicht zusammen mit A. in der Öffentlichkeit aufgetreten und auch sonst jenseits seines regionalen beruflichen Umfeldes als Oberarzt an einer Uniklinik nicht öffentlich bekannt. Ein die Interessen des Klägers im Rahmen der Abwägung zurücktreten lassendes berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit folgt auch nicht daraus, dass sich ein solches von A. ableiten ließe. Es bedarf letztlich keiner Entscheidung, ob die angegriffene Berichterstattung über die zweite Ehe von A. bereits dieser gegenüber im Hinblick auf die Identifizierung des Klägers unzulässig war. Denn unabhängig davon ist das A. gegenüber bestehende Informationsinteresse jedenfalls nicht so gewichtig, dass es die in Bezug auf den Kläger unter dessen namentlicher Nennung angegriffene Berichterstattung auch diesem gegenüber rechtfertigen würde.
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer Wortberichterstattung auf Unterlassung in Anspruch. Der Kläger ist Arzt in Dresden und mit dem ehemaligen Model A. verheiratet. In der Öffentlichkeit ist das Paar bisher zusammen nicht aufgetreten. Die Beklagte, die für die Inhalte auf www.bild.de verantwortlich ist, veröffentlichte dort am 13.9.2019 den folgenden Artikel (nicht angegriffene Passagen kursiv):
Supermodel traut sich noch mal
A.[voller Name] - heimliche Hochzeit in Dresden
A.[voller Name und Bild] hat zum zweiten Mal geheiratet
Traumhochzeit auf Schloss Eckberg: Supermodel A.[voller Name und Alter] hat zum zweiten Mal geheiratet. In ihrer Wahlheimat Dresden gab die einstige Muse von Karl Lagerfeld (†85) ihrem sechs Jahre jüngeren Dauerfreund M.[voller Vorname] P. (42) das Ja-Wort. Wie "Bunte" berichtet [Verlinkung] heirateten das Model und der Uniklinik-Oberarzt am Samstag im Standesamt auf Schloss Albrechtsberg. Im Anschluss feierte die Gesellschaft im Schloss Eckberg.
[Foto Schloss Eckberg mit Bildunterschrift: Traumkulisse für die Traumhochzeit: Schloss Eckberg in Dresden]
A.s[Nachname] zweite Hochzeit fand heimlich nur mit Familie und engsten Freunden statt. Nicht so wie A.s[voller Name] erste Ehe mit Schauspieler G.[voller Name, Alter, Fernsehserie], die ebenso wie die Scheidung öffentlich ausgetragen wurden.
Das Model und der Dresdner Millionär sind seit vielen Jahren ein Paar. A.[Nachname] und P. haben zwei gemeinsame Töchter (9, 6).
Der Kläger begehrt die Unterlassung der Veröffentlichung der ausgewiesenen Passagen wie geschehen in Bezug auf ihn unter namentlicher Nennung "M.[voller Vorname] P."
Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung. Das KG wies die Klage ganz überwiegend ab und erhielt die Unterlassungsverpflichtung nur insoweit aufrecht, als die Beklagte nicht mehr verbreiten darf, der Kläger sei Millionär. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des KG auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Der Kläger kann von der Beklagten auch im noch streitgegenständlichen Umfang entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK Unterlassung verlangen.
Die angegriffene Berichterstattung beeinträchtigt den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in dessen Ausprägung als Recht auf Achtung der Privatsphäre. Bei der Eingehung der Ehe und den damit verbundenen Feierlichkeiten handelt es sich um familiäre Angelegenheiten, die als "privat" einzustufen sind, auch wenn das Ergebnis der Eheschließung, die Ehe samt deren rechtlichen Folgen (z.B. der Wechsel des Personenstandes), über die im Streitfall jedoch nicht berichtet wird, die Sozialsphäre betreffen kann. Der Kläger ist auch in persönlicher Hinsicht unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen. Zwar zielt die angegriffene Berichterstattung auf seine Ehefrau A. und steht diese im Mittelpunkt, doch ist als deren neuer Ehegatte auch der Kläger Gegenstand des Artikels. Der Kläger ist durch die Nennung seines vollen Vornamens und die Initiale seines Nachnamens, seines Alters, Berufs, Arbeitgebers, Wohnortes sowie von Zahl und Alter seiner Kinder ohne Weiteres auch über seinen engsten Familien- und Freundeskreis hinaus zu identifizieren.
Die Beeinträchtigung der Privatsphäre des Klägers, die demnach durch die angegriffene Berichterstattung bewirkt worden ist, erweist sich als rechtswidrig. Im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Klägers und den Rechten der Presse gebührt den schützenswerten Interessen des Klägers der Vorrang. Zwar wiegt die mit der angegriffenen Berichterstattung einhergehende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers angesichts dessen, dass jedenfalls teilweise nur seine äußere Privatsphäre betroffen ist, sowie vor dem Hintergrund nicht besonders schwer, dass keine dem Kläger abträglichen Informationen ausgebreitet werden. Auch wird der Kläger nicht mit vollem Nachnamen genannt und ist deshalb nicht für jeden Leser des Artikels ohne Weiteres zu identifizieren, wenngleich insofern zu berücksichtigen ist, dass gerade die Identifizierbarkeit in seinem örtlichen und beruflichen Umfeld vom Kläger als belastend empfunden werden kann. Insgesamt überwiegen aber die berechtigten Interessen des Klägers das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der - allein streitgegenständlichen - Berichterstattung unter namentlicher Nennung des Klägers.
Ein originär dem Kläger gegenüber bestehendes Informationsinteresse an der angegriffenen Berichterstattung dergestalt, dass die Öffentlichkeit Kenntnis vom Umstand erhalten soll, dass namentlich der Kläger standesamtlich geheiratet hat, ist offensichtlich nicht gegeben. Der Kläger ist bislang nicht zusammen mit A. in der Öffentlichkeit aufgetreten und auch sonst jenseits seines regionalen beruflichen Umfeldes als Oberarzt an einer Uniklinik nicht öffentlich bekannt. Ein die Interessen des Klägers im Rahmen der Abwägung zurücktreten lassendes berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit folgt auch nicht daraus, dass sich ein solches von A. ableiten ließe. Es bedarf letztlich keiner Entscheidung, ob die angegriffene Berichterstattung über die zweite Ehe von A. bereits dieser gegenüber im Hinblick auf die Identifizierung des Klägers unzulässig war. Denn unabhängig davon ist das A. gegenüber bestehende Informationsinteresse jedenfalls nicht so gewichtig, dass es die in Bezug auf den Kläger unter dessen namentlicher Nennung angegriffene Berichterstattung auch diesem gegenüber rechtfertigen würde.
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