06.12.2011

Zur Zulässigkeit von Vereinbarungen über den aktienrechtlichen Differenzhaftungsanspruch bei einer Sachkapitalerhöhung

Eine AG kann mit ihrem Aktionär über den Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen der bei einer Sachkapitalerhöhung übernommenen Einlageverpflichtung und dem tatsächlichen Wert der zur Erfüllung erbrachten Sachleistung (sog. Differenzhaftungsanspruch) einen Vergleich schließen, wenn eine tatsächliche oder rechtliche Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs besteht. Eine in dem Vergleich vereinbarte anderweitige Zahlungspflicht des Aktionärs kann später nur mit Ansprüchen gegen die AG verrechnet werden, wenn sie vollwertig, fällig und liquide ist.

BGH 15.11.2011, II ZR 149/10
Der Sachverhalt:
Im Jahr 1999 hatte die Babcock Borsig AG (Babcock) eine Sachkapitalerhöhung durchgeführt. Im Rahmen dieser Kapitalerhöhung brachte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Preussag AG (Preussag), gemäß einem mit der Babcock geschlossenen Transaktionsvertrag vom Februar 1999 sämtliche Geschäftsanteile an zwei Tochtergesellschaften sowie Aktien der Howaldswerke Deutsche Werft AG (HDW) als Sacheinlage für ca. 3,5 Mio Babcock-Aktien (33,29% des Grundkapitals) ein (erste Tranche). Die Babcock verpflichtete sich demgegenüber, von der Preussag später weitere Aktien der HDW für 325 Mio. DM zu kaufen (zweite Tranche).

Im Juni 2000 verpflichtete sich die Preussag sodann, der Babcock einen Ertragszuschuss i.H.v. 325 Mio DM zu gewähren, mit dem diese den Kaufpreis für die zweite Tranche der HDW-Aktien bezahlen sollte. Die Babcock erklärte dabei, aus dem Transaktionsvertrag keine Ansprüche mehr geltend zu machen. Im September 2000 vereinbarten die Babcock und die Preussag, dass die Zahlungsverpflichtung der Babcock für die zweite Tranche insgesamt durch Verrechnung mit dem Ertragszuschuss als mit Wirkung zum 28.6.2000 erfüllt anzusehen sei.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Babcock. Er nahm die Beklagte, die Rechtsnachfolgerin der Preussag, auf eine Differenzhaftung i.H.v. über 170 Mio € mit der Begründung in Anspruch, der Wert der von der Preussag erbrachten Leistungen sei geringer gewesen als die vereinbarte Einlage.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Es war davon auszugehen, dass nach der bisher noch nicht überprüften Behauptung des Klägers jedenfalls die bei der ersten Tranche auf die Kapitalerhöhung eingebrachten Gesellschaftsanteile und Aktien nicht den versprochenen Sachwert erreichten.

Eine AG kann mit ihrem Aktionär über den Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen der bei einer Sachkapitalerhöhung übernommenen Einlageverpflichtung und dem tatsächlichen Wert der zur Erfüllung erbrachten Sachleistung (sog. Differenzhaftungsanspruch) auch ohne Zustimmung der Hauptversammlung einen Vergleich schließen. Obwohl der Aktionär nach dem AktG von seiner Verpflichtung zur Leistung der Einlagen nicht befreit werden kann, ist ein solcher Vergleich zulässig, wenn eine tatsächliche oder rechtliche Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs besteht.

Zwar erfüllte die Vereinbarung zwischen der Babcock und der Preussag vom Juni 2000 die Voraussetzungen eines zulässigen Vergleichs. Das aktienrechtliche Verbot der Aufrechnung gegen die Einlageforderung der Gesellschaft gilt aber für eine in einem Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch vereinbarte Forderung der Gesellschaft gegen den Aktionär (hier: Ertragszuschuss in Höhe von 325 Mio DM) fort. Infolgedessen ist die Verrechnung des Anspruchs der Babcock auf den Ertragszuschuss mit der Kaufpreisforderung der Preussag hinsichtlich der mit der 2. Tranche zu übertragenden HDW-Aktien in der Vereinbarung vom September 2000 nur wirksam, wenn die Kaufpreisforderung vollwertig, fällig und liquide war. Davon war das Berufungsgericht nach seinen bisherigen Feststellungen allerdings zu Unrecht ausgegangen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 192 vom 6.12.2011
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