04.01.2024

Zurückverweisung an erste Instanz: Rückabwicklung der aus angefochtenem Verpflichtungsgeschäft erbrachten Leistungen zu Gunsten der Insolvenzmasse

Ist Gegenstand der Anfechtung nur das Verpflichtungsgeschäft, richtet sich die Rückabwicklung der daraus erbrachten Leistungen zu Gunsten der Insolvenzmasse nach allgemeinen Vorschriften. Ist nur ein Kaufvertrag angefochten, richtet sich der Wert der durch den Eigengebrauch der Kaufsache gezogenen Nutzungen im Grundsatz nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer; ist der Kaufvertrag als unentgeltliche Leistung angefochten, ist die Wertminderung am objektiven Wert der Sache zu messen.

BGH v. 26.10.2023 - IX ZR 250/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 20.5.2010 am 30.7.2010 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH (Schuldnerin). Die Schuldnerin war Erbbauberechtigte an einem Grundstück, das sie mit einer Schüttgutlagerhalle hatte bebauen lassen. Sie nutzte die Halle zur Einlagerung von Getreide und Dünger. Am 18.9.2008 unterbreitete die Schuldnerin der Beklagten zu 1) (nachfolgend nur noch: Beklagte), deren Komplementärin die Beklagte zu 2) ist, ein notariell beglaubigtes Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags über das Erbbaurecht zu einem Kaufpreis von 590.000 €. Das Angebot sah vor, dass die Beklagte berechtigt sein sollte, den Kaufpreis durch Aufrechnung mit einem ihr gegen die Schuldnerin zustehenden Darlehensrückzahlungsanspruch zu erfüllen. Zugleich bewilligte die Schuldnerin eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Beklagten, die am 15.10.2008 im Grundbuch eingetragen wurde.

Am 25.5.2010 nahm die Beklagte das Angebot auf Abschluss des Kaufvertrags an und erklärte die Aufrechnung mit ihrem Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Kaufpreisanspruch. Die Übertragung des Erbbaurechts wurde vorgenommen und am 13.4.2011 im Grundbuch eingetragen. Am 29.8.2011 machte der Kläger die (Insolvenz-)Anfechtbarkeit des Angebots auf Abschluss eines Kaufvertrags über das Erbbaurecht geltend. In einem Rechtsstreit über die Anfechtbarkeit wurde die teilweise Unentgeltlichkeit des Austauschgeschäfts festgestellt und die Beklagte deshalb rechtskräftig zur Rückübertragung des Erbbaurechts verurteilt. Am 12.2.2021 wurde die Schuldnerin wieder als Erbbauberechtigte im Grundbuch eingetragen. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagten auf Herausgabe von Nutzungen des Erbbaurechts für die Jahre 2014 bis 2017 in Anspruch.

Das LG gab der Zahlungsklage des Klägers im Wesentlichen statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit Recht machen die Beklagten geltend, dass die vom OLG auf Hilfsantrag des Klägers ausgesprochene Zurückverweisung der Sache an das LG in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO keine Stütze findet. Die vom OLG getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO darf das OLG auf Antrag einer Partei die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Die Vorschrift ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, nach dem das OLG die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 538 Abs. 1 ZPO). Wegen eines Verfahrensmangels ist eine Zurückverweisung nur statthaft, wenn es sich um einen wesentlichen Verfahrensmangel handelt und aufgrund des Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich ist. Die Notwendigkeit der Vernehmung nur eines Zeugen oder der Befassung eines Sachverständigen mit lediglich einem Werkmangel reicht dafür regelmäßig nicht. Die Beweisaufnahme muss gerade aufgrund des erstinstanzlichen Verfahrensmangels notwendig sein. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Weiterhin geht das OLG zu Unrecht davon aus, dass sich der von ihm angenommene Anspruch auf Nutzungsersatz aus § 143 InsO i.V.m. § 818 Abs. 1 oder 2 BGB ergibt. Angefochten hat der Kläger das Angebot auf Abschluss des Kaufvertrags über das Erbbaurecht und damit einen Teil des Verpflichtungsgeschäfts. Das Verfügungsgeschäft, das auch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgewickelt worden ist, ist ersichtlich nicht angefochten worden. Grund- und Erfüllungsgeschäft sind auch anfechtungsrechtlich selbständige Rechtshandlungen. Ist Gegenstand der Anfechtung - wie hier - nur das Verpflichtungsgeschäft, bleibt das Erfüllungsgeschäft wirksam, ist jedoch anfechtungsrechtlich als Leistung ohne Rechtsgrund anzusehen. Die Rückabwicklung der daraus erbrachten Leistungen zu Gunsten der Insolvenzmasse bemisst sich daher nach allgemeinen Vorschriften, insbesondere nach den §§ 812 ff BGB.

Das OLG geht hier zu Unrecht davon aus, dass sich die Höhe des von ihm angenommenen Anspruchs im Falle einer (in erster Instanz unstreitigen) Eigennutzung nach dem fiktiven Mietzins und nicht nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung richtet. In der Rechtsprechung des BGH wird angenommen, dass der Wert der durch den Gebrauch einer Sache gezogenen Nutzungen im Falle der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines nicht zustande gekommenen Kaufvertrags (§ 818 Abs. 1 und 2 BGB) nicht nach dem üblichen oder einem fiktiven Mietzins für eine gleichartige Sache zu ermitteln ist, sondern durch Schätzung der zeitanteiligen linearen Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer. Das entspricht dem Stand der Rechtsprechung zur Rückabwicklung eines Kaufvertrags im Wege des großen Schadensersatzes und - gestützt auf § 346 Abs. 2 Satz 1 BGB - nach Rücktritt. Zur Begründung wird jeweils verwiesen auf die (Investitions-)Entscheidung des Käufers zu kaufen und nicht zu mieten. Diese Entscheidung schließe eine Bestimmung des Werts der Gebrauchsvorteile nach dem fiktiven Mietzins aus.

Die Investitionsentscheidung des Käufers ist grundsätzlich auch dann zu achten, wenn die aufgrund eines Vertrags erbrachten Leistungen deshalb rückabzuwickeln sind, weil der Insolvenzverwalter das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft nach Maßgabe der §§ 129 ff InsO erfolgreich angefochten hat. Das kann ausnahmsweise dann anders sein, wenn es an einer echten Investitionsentscheidung fehlt; etwa deshalb, weil der Käufer in das Beiseiteschaffen von haftendem Schuldnervermögen eingebunden ist. Für einen solchen Ausnahmefall fehlt es hier an Feststellungen. Wird allerdings der Kaufvertrag, wovon das OLG ausgegangen ist, erfolgreich als unentgeltliche Leistung nach § 134 InsO angefochten, ist Ausgangspunkt für die Berechnung der linearen Wertminderung nicht der vereinbarte (zu niedrige) Kaufpreis. Maßgeblich ist vielmehr der objektive Wert des Kaufgegenstands. Der von § 134 InsO bezweckte Schutz von Gläubigern entgeltlich begründeter Rechte gegen die Folgen unentgeltlicher Verfügungen des Schuldners geriete sonst zu kurz.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | InsO
§ 129 Grundsatz
Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Kommentierung | InsO
§ 143 Rechtsfolgen
Thole/Kleindiek in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

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