§ 2270 BGB nur auf gemeinschaftliches Testament und nicht auf Verfügungen in Erbvertrag anwendbar
BGH v. 26.3.2025 - IV ZB 15/24
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der am 4.5.2023 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin, ihr am 21.6.2021 verstorbener Ehemann und ihr am 2.3.2022 verstorbener gemeinsamer Sohn, dessen einzige Kinder die Beteiligten zu 1) und 2) sind, schlossen am 12.3.1994 einen notariellen Erbvertrag, in dem die Erblasserin und ihr Ehemann sich gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn - nach dem Vertragswortlaut "erbvertraglich" - zum Erben des Längerlebenden einsetzten. Ferner erklärte ihr Sohn für den Fall, dass in der Urkunde näher bezeichnete Leistungen zugunsten ihrer Töchter - der Beteiligten zu 3), 4) und 5) - nicht mehr zu Lebzeiten der Erblasserin und ihres Ehemannes erbracht werden sollten, die entsprechende Verpflichtung zu übernehmen. In der gleichen Urkunde vereinbarten die Eheleute mit ihren Töchtern Erb- und Pflichtteilsverzichte. Die Urkunde enthält hierzu folgenden Passus:
"Wir, Elke L, Anette S und Monika R, haben von diesem Leistungsversprechen in Bezug auf uns Kenntnis genommen. Unter Berücksichtigung dieser, von uns noch zu erwartenden Leistungen und im Hinblick darauf, daß wir weitere Leistungen unserer Eltern als Ausstattung und Aussteuer erhalten haben, sehen wir uns als voll und ganz abgefunden an deren Nachlaß an. Wir verzichten daher auf alle weitergehenden Erb- und Pflichtteilsansprüche gegen unsere Eltern. Hermann und Anni R nehmen diesen Verzicht ihrer Töchter Elke, Anette und Monika hiermit an."
Nach dem Tod der Erblasserin wurde an das AG - Nachlassgericht - ein Notizzettel übermittelt, auf dem handschriftlich folgendes verfasst war:
"Ich gebe alles was in meinem Besitz ist, meiner Älsten Tochter Elke. Anni R Anni 1.9.22"
Die Beteiligten zu 1) und 2) beantragten beim AG die Erteilung eines Erbscheins, wonach sie die Erblasserin zu je 1/2 beerbt haben. Das AG wies den Antrag zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hob der BGH den Beschluss des OLG auf und wies das AG an, den Beteiligten zu 1) und 2) einen Erbschein mit dem beantragten Inhalt zu erteilen.
Die Gründe:
Der beantragte Erbschein wird durch das AG zu erteilen sein, da die Beteiligten zu 1) und 2) die Erblasserin zu je 1/2 aufgrund des Erbvertrags vom 12.3.1994 im Wege der Ersatzerbfolge beerbt haben.
Das OLG hat dem Erbvertrag im Ergebnis noch rechtsfehlerfrei eine Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) jedenfalls für den hier eingetretenen Fall des Wegfalls des eingesetzten Schlusserben durch Versterben vor dem Längerlebenden entnommen. Dabei kann dahinstehen, ob sich diese erst aus einem Rückgriff auf die Auslegungsregel des § 2069 BGB ergibt, die gem. § 2279 Abs. 1 BGB auf vertragsmäßige Zuwendungen - wie hier die Schlusserbeinsetzung des Vaters der Beteiligten zu 1) und 2) - entsprechende Anwendung findet oder dieses Ergebnis bereits aus einer ergänzenden Auslegung des Erbvertrags folgt. Denn für die Feststellung der Ersatzerbenstellung ist es ausreichend, dass sich ein einer Ersatzerbeinsetzung entgegenstehender Erblasserwille - wie hier - nicht feststellen lässt.
Anders als das OLG meint, vermag jedoch ein nach Abschluss des Erbvertrags durch die Erblasserin errichtetes Testament, in dem sie die Beteiligte zu 3) zu ihrer Erbin einsetzte, an der im Wege der Ersatzerbfolge erlangten Erbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) nichts zu ändern, denn eine solche letztwillige Verfügung wäre nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Aus diesem Grund kann auch offenbleiben, ob das dem Nachlassgericht vorgelegte, auf den 1.9.2022 datierte Schreiben von der Erblasserin mit Testierwillen eigenhändig geschrieben und unterschrieben worden ist und eine Einsetzung der Beteiligten zu 3) zur Alleinerbin enthält.
Für die Feststellung des in einem Erbvertrag erklärten Erblasserwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB. Die Aufgabe der (auch ergänzenden) Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt. Solche Auslegungsfehler sind hier gegeben. Bereits die Annahme des OLG, für die Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB sei kein Raum, wenn die Ersatzberufung auf der Anwendung des § 2069 BGB beruhe, weshalb hier eine erbrechtliche Bindung nur dann anzunehmen sei, wenn es wahlweise der Zweifelsregelung des § 2069 BGB oder der des § 2270 Abs. 2 BGB nicht bedürfe, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Vorschrift des § 2270 BGB ist - wie sich schon aus ihrer systematischen Stellung im Buch 5 Abschnitt 3 Titel 8 des BGB, der die Überschrift "Gemeinschaftliches Testament" trägt, und ihrem Wortlaut ergibt - nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht (auch nicht entsprechend) auf Verfügungen in einem Erbvertrag anwendbar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in diesem Zusammenhang vom OLG zitierten Senatsbeschluss vom 16.1.2002 (IV ZB 20/01).
Auch von der Verweisungsnorm des § 2279 Abs. 1 BGB ist § 2270 BGB nicht umfasst, denn die für letztwillige Zuwendungen und Auflagen geltenden Vorschriften, die nach § 2279 Abs. 1 BGB auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen entsprechende Anwendung finden sollen, gelten nur insoweit, als sich nicht aus den §§ 2274 bis 2298 BGB oder aus dem Wesen des Erbvertrags etwas anderes ergibt. Letzteres ist hier der Fall. Eine entsprechende Anwendung kommt wegen der anders gearteten Bindungswirkung von Erbvertrag und gemeinschaftlichem Testament nicht in Betracht. Die erbrechtliche Bindung des Erblassers an die in einem Erbvertrag vertragsmäßig getroffenen Verfügungen, die sich nicht erst aus § 2289 BGB, sondern aus der Vertragsnatur des Rechtsgeschäfts selbst ergibt, geht über die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament hinaus. Der Testator eines gemeinschaftlichen Testaments kann sich jederzeit einseitig von seinen wechselbezüglichen Verfügungen lossagen: zu Lebzeiten des anderen Ehegatten, indem er diese gem. § 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 BGB widerruft, und nach dessen Tod durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB. Die Bindung an eine vertragsmäßige Verfügung in einem Erbvertrag kann der Erblasser hingegen in der Regel nur dann einseitig aufheben, wenn er sich den Rücktritt in dem Erbvertrag vorbehalten hat (§ 2293 BGB).
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Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der am 4.5.2023 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin, ihr am 21.6.2021 verstorbener Ehemann und ihr am 2.3.2022 verstorbener gemeinsamer Sohn, dessen einzige Kinder die Beteiligten zu 1) und 2) sind, schlossen am 12.3.1994 einen notariellen Erbvertrag, in dem die Erblasserin und ihr Ehemann sich gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn - nach dem Vertragswortlaut "erbvertraglich" - zum Erben des Längerlebenden einsetzten. Ferner erklärte ihr Sohn für den Fall, dass in der Urkunde näher bezeichnete Leistungen zugunsten ihrer Töchter - der Beteiligten zu 3), 4) und 5) - nicht mehr zu Lebzeiten der Erblasserin und ihres Ehemannes erbracht werden sollten, die entsprechende Verpflichtung zu übernehmen. In der gleichen Urkunde vereinbarten die Eheleute mit ihren Töchtern Erb- und Pflichtteilsverzichte. Die Urkunde enthält hierzu folgenden Passus:
"Wir, Elke L, Anette S und Monika R, haben von diesem Leistungsversprechen in Bezug auf uns Kenntnis genommen. Unter Berücksichtigung dieser, von uns noch zu erwartenden Leistungen und im Hinblick darauf, daß wir weitere Leistungen unserer Eltern als Ausstattung und Aussteuer erhalten haben, sehen wir uns als voll und ganz abgefunden an deren Nachlaß an. Wir verzichten daher auf alle weitergehenden Erb- und Pflichtteilsansprüche gegen unsere Eltern. Hermann und Anni R nehmen diesen Verzicht ihrer Töchter Elke, Anette und Monika hiermit an."
Nach dem Tod der Erblasserin wurde an das AG - Nachlassgericht - ein Notizzettel übermittelt, auf dem handschriftlich folgendes verfasst war:
"Ich gebe alles was in meinem Besitz ist, meiner Älsten Tochter Elke. Anni R Anni 1.9.22"
Die Beteiligten zu 1) und 2) beantragten beim AG die Erteilung eines Erbscheins, wonach sie die Erblasserin zu je 1/2 beerbt haben. Das AG wies den Antrag zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hob der BGH den Beschluss des OLG auf und wies das AG an, den Beteiligten zu 1) und 2) einen Erbschein mit dem beantragten Inhalt zu erteilen.
Die Gründe:
Der beantragte Erbschein wird durch das AG zu erteilen sein, da die Beteiligten zu 1) und 2) die Erblasserin zu je 1/2 aufgrund des Erbvertrags vom 12.3.1994 im Wege der Ersatzerbfolge beerbt haben.
Das OLG hat dem Erbvertrag im Ergebnis noch rechtsfehlerfrei eine Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) jedenfalls für den hier eingetretenen Fall des Wegfalls des eingesetzten Schlusserben durch Versterben vor dem Längerlebenden entnommen. Dabei kann dahinstehen, ob sich diese erst aus einem Rückgriff auf die Auslegungsregel des § 2069 BGB ergibt, die gem. § 2279 Abs. 1 BGB auf vertragsmäßige Zuwendungen - wie hier die Schlusserbeinsetzung des Vaters der Beteiligten zu 1) und 2) - entsprechende Anwendung findet oder dieses Ergebnis bereits aus einer ergänzenden Auslegung des Erbvertrags folgt. Denn für die Feststellung der Ersatzerbenstellung ist es ausreichend, dass sich ein einer Ersatzerbeinsetzung entgegenstehender Erblasserwille - wie hier - nicht feststellen lässt.
Anders als das OLG meint, vermag jedoch ein nach Abschluss des Erbvertrags durch die Erblasserin errichtetes Testament, in dem sie die Beteiligte zu 3) zu ihrer Erbin einsetzte, an der im Wege der Ersatzerbfolge erlangten Erbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) nichts zu ändern, denn eine solche letztwillige Verfügung wäre nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Aus diesem Grund kann auch offenbleiben, ob das dem Nachlassgericht vorgelegte, auf den 1.9.2022 datierte Schreiben von der Erblasserin mit Testierwillen eigenhändig geschrieben und unterschrieben worden ist und eine Einsetzung der Beteiligten zu 3) zur Alleinerbin enthält.
Für die Feststellung des in einem Erbvertrag erklärten Erblasserwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB. Die Aufgabe der (auch ergänzenden) Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt. Solche Auslegungsfehler sind hier gegeben. Bereits die Annahme des OLG, für die Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB sei kein Raum, wenn die Ersatzberufung auf der Anwendung des § 2069 BGB beruhe, weshalb hier eine erbrechtliche Bindung nur dann anzunehmen sei, wenn es wahlweise der Zweifelsregelung des § 2069 BGB oder der des § 2270 Abs. 2 BGB nicht bedürfe, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Vorschrift des § 2270 BGB ist - wie sich schon aus ihrer systematischen Stellung im Buch 5 Abschnitt 3 Titel 8 des BGB, der die Überschrift "Gemeinschaftliches Testament" trägt, und ihrem Wortlaut ergibt - nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht (auch nicht entsprechend) auf Verfügungen in einem Erbvertrag anwendbar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in diesem Zusammenhang vom OLG zitierten Senatsbeschluss vom 16.1.2002 (IV ZB 20/01).
Auch von der Verweisungsnorm des § 2279 Abs. 1 BGB ist § 2270 BGB nicht umfasst, denn die für letztwillige Zuwendungen und Auflagen geltenden Vorschriften, die nach § 2279 Abs. 1 BGB auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen entsprechende Anwendung finden sollen, gelten nur insoweit, als sich nicht aus den §§ 2274 bis 2298 BGB oder aus dem Wesen des Erbvertrags etwas anderes ergibt. Letzteres ist hier der Fall. Eine entsprechende Anwendung kommt wegen der anders gearteten Bindungswirkung von Erbvertrag und gemeinschaftlichem Testament nicht in Betracht. Die erbrechtliche Bindung des Erblassers an die in einem Erbvertrag vertragsmäßig getroffenen Verfügungen, die sich nicht erst aus § 2289 BGB, sondern aus der Vertragsnatur des Rechtsgeschäfts selbst ergibt, geht über die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament hinaus. Der Testator eines gemeinschaftlichen Testaments kann sich jederzeit einseitig von seinen wechselbezüglichen Verfügungen lossagen: zu Lebzeiten des anderen Ehegatten, indem er diese gem. § 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 BGB widerruft, und nach dessen Tod durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB. Die Bindung an eine vertragsmäßige Verfügung in einem Erbvertrag kann der Erblasser hingegen in der Regel nur dann einseitig aufheben, wenn er sich den Rücktritt in dem Erbvertrag vorbehalten hat (§ 2293 BGB).
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