Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall mit spurwechselndem Pkw auf der Autobahn
OLG Hamm v. 8.7.2025 - 7 U 6/25
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über den Schadensersatz nach einem Auffahrunfall mit spurwechselndem Pkw auf einer Autobahn. Der Beklagte hatte eingewandt, der Kläger sei so schnell vor seinem Lkw eingeschert, dass die Sensoren des Bremsassistenten nicht reagiert hätten und er selbst auch nicht so schnell habe reagieren können. Dann sei er auf den Pkw aufgefahren. Für ihn sei nur eine kurze Bremsung möglich gewesen, da der Abstand zu kurz gewesen sei. Der Kläger sei etwa eine Wagenlänge vor ihm eingeschert.
Das LG ging davon aus, dass aufgrund der Unfallentstehung in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrspurwechsel des klägerischen Fahrzeugs ein Anscheinsbeweis gegen den Kläger spricht, welchen dieser nicht zu erschüttern vermochte.
Dieser Beurteilung hat sich das OLG angeschlossen.
Die Gründe:
Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 7 Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu. Da beiden Seiten der Unabwendbarkeitsnachweis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG nicht gelungen ist, richtet sich die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG. Während im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Abwägung von einem Verkehrsverstoß des Klägers gegen § 7 Abs. 5 StVO auszugehen ist, ist ein Verkehrsverstoß des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs nicht erwiesen; dessen Betriebsgefahr tritt hinter dem Verschulden des Klägers vollständig zurück.
Gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 StVO darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Entgegen der Rüge des Klägers hat sich das LG in nicht zu beanstandender Weise davon überzeugt, dass der unmittelbare räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen Fahrstreifenwechsel und Kollision vorliegend gegeben ist. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung zum Unfallhergang u.a. geschildert, er sei ruhig nach rechts eingeschert, wobei zwischen den beiden Fahrzeugen auf der rechten Spur 70 bis 80 Meter Platz gewesen seien. Er sei dann 300 bis 400 Meter weitergefahren, dann sei der ganze Verkehr zum Stillstand gekommen. Er habe dann angehalten und nach einer Zeit einen Knall von hinten gehört.
Das LG ist unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die klägerische Schilderung jedenfalls insoweit widerlegt ist, als dieser angegeben hat, vor der Kollision mit seinem Pkw zum Stillstand gekommen zu sein. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Umstand, dass sich die unfallbeteiligten Fahrzeuge auch nachkollisionär noch in direktem Kontakt zueinander befunden hätten, zeige, dass der klägerische Pkw zum Kollisionszeitpunkt voll gebremst gewesen sei. Die klägerische Unfallschilderung sei mit der Endstellung der Fahrzeuge nicht in Einklang zu bringen.
Demgegenüber ist auf Seiten der Beklagten kein Verkehrsverstoß des Zeugen S. in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen. Insbesondere greift bei der gegebenen Sachlage ein gegen den Zeugen sprechender Anscheinsbeweis entgegen der Ansicht der Berufung nicht ein.
Allein das Kerngeschehen "Auffahrunfall" reicht als Grundlage eines solchen Anscheinsbeweises jedoch noch nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallgeschehens bekannt sind, die die den Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden begründende Typizität des Geschehensablaufs in Frage stellen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer rückwärtigen Kollision erfolgter Fahrspurwechsel des Vorausfahrenden zu einer Durchbrechung der Typizität des Geschehensablaufs und der damit einhergehenden Anscheinsvermutung zu Lasten des auffahrenden Verkehrsteilnehmers führt, weil das typische Gepräge eines den Auffahrunfall begründenden Geschehensablaufs nicht mehr gegeben ist.
Mehr zum Thema:
Link zum Volltext der Entscheidung
Rechtsprechung:
Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall mit spurwechselndem Pkw auf der Autobahn
OLG Hamm vom 08.07.2025 - 7 U 6/25
MDR 2025, 1398
Texte enthalten im
Aktionsmodul Zivilrecht
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Die Parteien streiten über den Schadensersatz nach einem Auffahrunfall mit spurwechselndem Pkw auf einer Autobahn. Der Beklagte hatte eingewandt, der Kläger sei so schnell vor seinem Lkw eingeschert, dass die Sensoren des Bremsassistenten nicht reagiert hätten und er selbst auch nicht so schnell habe reagieren können. Dann sei er auf den Pkw aufgefahren. Für ihn sei nur eine kurze Bremsung möglich gewesen, da der Abstand zu kurz gewesen sei. Der Kläger sei etwa eine Wagenlänge vor ihm eingeschert.
Das LG ging davon aus, dass aufgrund der Unfallentstehung in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrspurwechsel des klägerischen Fahrzeugs ein Anscheinsbeweis gegen den Kläger spricht, welchen dieser nicht zu erschüttern vermochte.
Dieser Beurteilung hat sich das OLG angeschlossen.
Die Gründe:
Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 7 Abs. 1 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu. Da beiden Seiten der Unabwendbarkeitsnachweis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG nicht gelungen ist, richtet sich die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG. Während im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Abwägung von einem Verkehrsverstoß des Klägers gegen § 7 Abs. 5 StVO auszugehen ist, ist ein Verkehrsverstoß des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs nicht erwiesen; dessen Betriebsgefahr tritt hinter dem Verschulden des Klägers vollständig zurück.
Gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 StVO darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Entgegen der Rüge des Klägers hat sich das LG in nicht zu beanstandender Weise davon überzeugt, dass der unmittelbare räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen Fahrstreifenwechsel und Kollision vorliegend gegeben ist. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung zum Unfallhergang u.a. geschildert, er sei ruhig nach rechts eingeschert, wobei zwischen den beiden Fahrzeugen auf der rechten Spur 70 bis 80 Meter Platz gewesen seien. Er sei dann 300 bis 400 Meter weitergefahren, dann sei der ganze Verkehr zum Stillstand gekommen. Er habe dann angehalten und nach einer Zeit einen Knall von hinten gehört.
Das LG ist unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die klägerische Schilderung jedenfalls insoweit widerlegt ist, als dieser angegeben hat, vor der Kollision mit seinem Pkw zum Stillstand gekommen zu sein. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Umstand, dass sich die unfallbeteiligten Fahrzeuge auch nachkollisionär noch in direktem Kontakt zueinander befunden hätten, zeige, dass der klägerische Pkw zum Kollisionszeitpunkt voll gebremst gewesen sei. Die klägerische Unfallschilderung sei mit der Endstellung der Fahrzeuge nicht in Einklang zu bringen.
Demgegenüber ist auf Seiten der Beklagten kein Verkehrsverstoß des Zeugen S. in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen. Insbesondere greift bei der gegebenen Sachlage ein gegen den Zeugen sprechender Anscheinsbeweis entgegen der Ansicht der Berufung nicht ein.
Allein das Kerngeschehen "Auffahrunfall" reicht als Grundlage eines solchen Anscheinsbeweises jedoch noch nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallgeschehens bekannt sind, die die den Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden begründende Typizität des Geschehensablaufs in Frage stellen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer rückwärtigen Kollision erfolgter Fahrspurwechsel des Vorausfahrenden zu einer Durchbrechung der Typizität des Geschehensablaufs und der damit einhergehenden Anscheinsvermutung zu Lasten des auffahrenden Verkehrsteilnehmers führt, weil das typische Gepräge eines den Auffahrunfall begründenden Geschehensablaufs nicht mehr gegeben ist.
Link zum Volltext der Entscheidung
Rechtsprechung:
Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall mit spurwechselndem Pkw auf der Autobahn
OLG Hamm vom 08.07.2025 - 7 U 6/25
MDR 2025, 1398
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