24.11.2025

Anspruchs des Mieters auf Gewährung rechtlichen Gehörs bei Geltendmachung einer unzumutbaren Härte

Der BGH hat sich vorliegend mit der Verletzung des Anspruchs eines Mieters auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) im Falle der Geltendmachung einer unzumutbaren Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB befasst.

BGH v. 28.10.2025 - VIII ZR 17/25
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist seit dem Jahr 1993 Mieterin einer circa 100 qm großen Wohnung der Kläger in einem Mehrfamilienhaus in Kempten. Im Dezember 2021 erklärten die Kläger - der Kläger zu 1) ist der Sohn, die Klägerin zu 2) die Schwiegertochter der Beklagten - die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs, da ihre Tochter und deren Familie die Wohnung benötigten. Die Beklagte widersprach der Kündigung, berief sich auf das Vorliegen von Härtegründen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB) und legte diesbezüglich mehrere (fach-)ärztliche Atteste vor. 

Das AG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe der Wohnung. Der auf Einräumung der alleinigen Nutzung von zwei Kellerräumen gerichteten Widerklage der Beklagten hab das AG lediglich bzgl. eines dieser Räume statt. Das LG wies die Berufung der Beklagten zurück und deren Widerklage insgesamt ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das LG hat, soweit es hinsichtlich der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB und des dort geregelten Anspruchs des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das LG durfte das Vorliegen einer Härt nicht verneinen, ohne den (angebotenen) Sachverständigenbeweis zu dem behaupteten Beschwerdebild sowie zu den gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs für die Beklagte zu erheben. Denn hierzu hat die Beklagte hinreichend substantiiert vorgetragen.

Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn dessen Beendigung für ihn, seine Familie oder seine Haushaltsangehörigen eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Der Tatrichter ist dabei gehalten, sich durch gründliche und sorgfältige Sachverhaltsfeststellung vom Vorliegen der von dem Mieter geltend gemachten Härtegründe und der berechtigten Interessen des Vermieters zu überzeugen. Einen Härtegrund in diesem Sinn stellen nicht nur solche Erkrankungen dar, die einen Umzug des Mieters nicht zulassen. Vielmehr können auch Erkrankungen i.V.m. weiteren Umständen oder (allein) die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eines (schwer) erkrankten Mieters im Falle eines Wohnungswechsels einen Härtegrund darstellen. Macht der Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels durch hinreichend substantiierten Prozessvortrag ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, haben sich die Tatsacheninstanzen - beim Fehlen eigener Sachkunde - regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.

Hiernach bestand vorliegend die Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, die Beklagte habe - anders als das LG gemeint hat - bis zum maßgebenden Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen hinreichend substantiiert zu den nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels vorgetragen. Die gegenteilige Annahme des LG, wonach der Vortrag der Beklagten "jeglicher Anknüpfungstatsachen" für das Vorliegen einer Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB entbehre, beruht auf einem Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG), weil es das - durch entsprechende (fach-)ärztliche Atteste untermauerte - Vorbringen der Beklagten in zentralen Punkten nicht berücksichtigt hat.

Das LG kann die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens nicht mit Erfolg darauf stützen, die Beklagte leide "nicht unter psychiatrischen Erkrankungen" und auch nicht unter "sonstigen kognitiven Einschränkungen". Denn zu dieser - dem Inhalt der vorgenannten Atteste widersprechenden - Schlussfolgerung ist das LG ersichtlich ohne eigene, von ihm auch nicht aufgezeigte medizinische Sachkunde gelangt. Ebenso unter Anmaßung einer eigenen, nicht aufgezeigten Sachkunde, hat das LG angenommen, der Grund für die "psychische Belastung" der Beklagten läge nicht überwiegend in dem Wunsch, in der vertrauten Wohnung zu bleiben, sondern in deren Unfähigkeit, gemeinsam mit den Familienmitgliedern eine Lösung für die gegenwärtige Situation zu finden und sei "in erheblichem Maß auf ihr eigenes Verhalten, nicht ausschließlich auf den Zwang zum Wohnungswechsel zurückzuführen." Das LG hat nicht dargelegt, inwiefern es über die medizinische Kompetenz verfügt, sowohl die Ursache als auch den Schweregrad der psychischen Erkrankungen der Beklagten zu ermitteln.

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