Anwaltliche Pflichtverletzung? Missglückte Hemmung der Verjährung einer Forderung mittels Mahnbescheid
BGH v. 24.7.2025 - IX ZR 92/24
Der Sachverhalt:
Die Gesellschafter der Beklagten, M.H. und H.W. (fortan: Gesellschafter), beschlossen in einer Gesellschafterversammlung am 24.9.2019 u.a., gegen ihre Mitgesellschafterin C.W. - (Mitgesellschafterin) Schadensersatzansprüche wegen Untreue- und Schädigungshandlungen geltend zu machen. Die Mitgesellschafterin erhob noch im Jahr 2019 Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluss.
Die Gesellschafter und damaligen Geschäftsführer der Beklagten suchten am 22.12.2020 die Klägerin auf und führten mit dem Sozius der Klägerin, dem Drittwiderbeklagten, ein Mandatsgespräch. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig. Die Gesellschafter teilten insbesondere mit, dass es im Jahr 2016 zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis der Gesellschafter der Beklagten gekommen sei. Sie behaupteten, dass sich die Mitgesellschafterin während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Beklagten über Jahre in erheblichem Umfang am Gesellschaftsvermögen bereichert habe. Sie habe dabei mit ihrer bei der Beklagten in der Buchhaltung beschäftigten Mutter zusammengewirkt. Sie wollten daher auf der Grundlage ihrer Ermittlungen Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter geltend machen. Hierzu beauftragte die Beklagte die Klägerin mit ihrer Vertretung. Im Anschluss an dieses Gespräch übersandte die Beklagte der Klägerin am 30.12.2020 eine E-Mail mit einer Tabelle zu den von ihr behaupteten, zahlreichen Einzelforderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter.
Noch am 30.12.2020 beantragte die Klägerin auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen den Erlass von zwei Mahnbescheiden, und zwar gegen die Mitgesellschafterin i.H.v. rd. 1,36 Mio. € sowie gegen diese und deren Mutter als Gesamtschuldner i.H.v. rd. 1,12 Mio. €. Die Mahnbescheide wurden nachfolgend erlassen und zugestellt. Die Mitgesellschafterin und ihre Mutter legten jeweils Widerspruch ein. Eine Abgabe der Verfahren an das im Mahnbescheid benannte Gericht unterblieb. Anspruchsbegründungen erfolgten nicht. Mit E-Mail vom 16.2.2021 kündigte die Beklagte das der Klägerin erteilte Mandat und beauftragte einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
Der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten wusste von den Mahnbescheiden. Er erhob wegen der behaupteten Schadensersatzansprüche in dem von der Mitgesellschafterin anhängig gemachten Beschlussanfechtungsrechtsstreit ab dem 22.2.2021 sukzessiv erweiterte Widerklagen gegen diese und Drittwiderklagen gegen deren Mutter. Nachdem die Mitgesellschafterin und ihre Mutter eine anderweitige Rechtshängigkeit aufgrund der Mahnbescheide geltend gemacht hatten, nahm der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Mahnanträge am 13.4.2023 zurück. Auf Antrag der Mitgesellschafterin und deren Mutter erlegte das Mahngericht der Beklagten mit Beschlüssen vom 12.7. und 19.7.2023 die Kosten der Mahnverfahren auf.
Die Klägerin verlangt - soweit noch von Interesse - die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für die beiden Mahnverfahren i.H.v. insgesamt rd. 13.000 € von der Beklagten. Mit ihrer Widerklage und Drittwiderklage begehrt die Beklagte von der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten die Zahlung der von ihr in den beiden Mahnverfahren aufgewendeten Gerichtskosten sowie der an die Mitgesellschafterin und deren Mutter für deren anwaltliche Vertretung in diesen Verfahren erstatteten Rechtsanwaltsgebühren von in der Summe rd. 15.700 € als Schadensersatz.
Das LG gab der Klage statt und wies die Widerklage sowie die Drittwiderklage ab. Das OLG wies die Klage ab und gab Widerklage und Drittwiderklage statt. Auf die Revision der Klägerin und des Drittwiderbeklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Beklagte dem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht deshalb eine dolo-agit-Einrede entgegenhalten, weil die Klägerin einen nicht ausreichend individualisierten Mahnbescheidsantrag erhoben und die Beklagte über die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung durch einen Mahnbescheid nicht ausreichend aufgeklärt hat. Mit der Begründung des OLG kann ein Zurechnungszusammenhang zwischen einer unterstellten anwaltlichen Pflichtverletzung der Klägerin bei der Beratung der Beklagten und dem durch die Mahnanträge und die Rücknahme der Mahnanträge entstandenen Kostenschaden nicht bejaht werden.
Das OLG hat angenommen, die Klägerin habe pflichtgemäß von der Beantragung der beiden Mahnbescheide abraten müssen, weil die Rechtsverfolgung durch Mahnantrag aussichtslos gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche mit Blick auf eine wegen fehlender Informationen von Seiten der Beklagten nicht mögliche Individualisierung der einzelnen Forderungen nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Das OLG hat aber nicht festgestellt, dass Ansprüche der Beklagten gegen ihre Mitgesellschafterin und deren Mutter in der in den Mahnbescheiden geltend gemachten Höhe nicht bestehen, insbesondere nicht, dass diese Ansprüche zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich ganz oder teilweise verjährt waren. Für die revisionsgerichtliche Prüfung ist deshalb zugrunde zu legen, dass die Ansprüche bestehen und nicht verjährt sind. Auszugehen ist ferner davon, dass die Beklagte ihre angeblichen Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in voller Höhe gerichtlich durchsetzen wollte. Auf dieser Grundlage kann die Beklagte den behaupteten Kostenschaden nicht wegen der von dem OLG angenommenen Pflichtwidrigkeit von der Klägerin erstattet verlangen. Denn es fehlt an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der - unterstellt - verletzten Norm und den im Mahnverfahren entstandenen Kosten.
Nach den getroffenen Feststellungen ging es in dem Beratungsgespräch vom 22.12.2020 darum, eine - aus der Sicht ex ante eventuell - drohende Verjährung von Forderungen der Beklagten zu vermeiden und dieses Ziel durch die Beantragung der beiden Mahnbescheide und die damit verbundene Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO zu erreichen. Dieses Ziel bedingte die Notwendigkeit einer genügenden, nach der Annahme des OLG jedoch im Streitfall wegen des Fehlens hinreichender Informationen nicht möglichen und auch nicht erfolgten Individualisierung der mit den Mahnanträgen zu verfolgenden Forderungen i.S.v. § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sowie eine Aufklärung der Beklagten über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit gestellten Anforderungen. Der Zweck dieser anwaltlichen Beratungspflicht bestand mithin in der Abwehr von solchen Schäden des Mandanten, die aus der Verjährung seiner Forderung resultieren können, wenn insbesondere nämlich eine hinreichende Individualisierung pflichtwidrig unterbleibt und der Ablauf der Verjährungsfrist deshalb nicht gehemmt wird. Darum geht es im Streitfall mit Blick auf die Kosten des Mahnverfahrens jedoch nicht.
Die Belastung der Beklagten mit den Anwaltsgebühren für die Tätigkeit der Klägerin im Mahnverfahren sowie mit den Gerichtsgebühren und den Anwaltskosten der Gegenseite im Mahnverfahren steht mit der ggf. verletzten anwaltlichen Beratungspflicht nicht im Zusammenhang. Es handelt sich vielmehr um Kosten, die im Rahmen der von der Beklagten bis heute in vollem Umfang gewünschten Durchsetzung ihrer behaupteten und nach den (fehlenden) Feststellungen nicht verjährten Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter so oder so entstanden wären, insbesondere, weil sie auf die Kosten eines nachfolgenden Klageverfahrens anzurechnen sind. Die Beantragung der Mahnbescheide hat keine Mehrkosten gegenüber einer Klage verursacht. Ebensowenig genügen die Feststellungen des Berufungsgerichts, um eine Kostenhaftung der Klägerin deshalb zu bejahen, weil die erlassenen Mahnbescheide für die Beklagte von vornherein nutzlos gewesen sind oder die mit den Mahnbescheiden beabsichtigte Rechtsverfolgung ganz oder teilweise ohne Aussicht auf Erfolg gewesen ist. Dass die Mahnbescheide - wie das OLG annimmt - nicht geeignet waren, die Verjährung der mit den Mahnbescheiden verfolgten Ansprüche zu hemmen, ist für sich genommen kein ausreichender Grund für eine Haftung auf den Kostenschaden.
Die Kostentragung der Beklagten im Mahnverfahren beruht vielmehr allein auf ihrer Entscheidung, der Klägerin das Mandat zu entziehen, ihren neuen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, die in Frage stehenden Forderungen im Wege der Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit statt im Wege der Beantragung des streitigen Verfahrens und einer nachfolgenden Anspruchsbegründung (§ 696 Abs. 1, § 697 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) geltend zu machen und sodann die Mahnanträge zurückzunehmen. Dieser Schaden beruht weder auf der unzureichenden Individualisierung der Mahnanträge noch auf einer Verjährung von Ansprüchen. Die Gefahr, die in der Beantragung von nicht genügend individualisierten Mahnanträgen liegt, die mögliche Verjährung von Forderungen wegen unterbliebener Hemmung der Verjährungsfrist, hat sich mithin nicht verwirklicht. Da es bereits am notwendigen Zurechnungszusammenhang fehlt, kommt es nicht darauf an, ob die Erhebung der Widerklagen im Beschlussanfechtungsstreit und die spätere Rücknahme der Mahnanträge durch den neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt haben.
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Die Gesellschafter der Beklagten, M.H. und H.W. (fortan: Gesellschafter), beschlossen in einer Gesellschafterversammlung am 24.9.2019 u.a., gegen ihre Mitgesellschafterin C.W. - (Mitgesellschafterin) Schadensersatzansprüche wegen Untreue- und Schädigungshandlungen geltend zu machen. Die Mitgesellschafterin erhob noch im Jahr 2019 Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluss.
Die Gesellschafter und damaligen Geschäftsführer der Beklagten suchten am 22.12.2020 die Klägerin auf und führten mit dem Sozius der Klägerin, dem Drittwiderbeklagten, ein Mandatsgespräch. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig. Die Gesellschafter teilten insbesondere mit, dass es im Jahr 2016 zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis der Gesellschafter der Beklagten gekommen sei. Sie behaupteten, dass sich die Mitgesellschafterin während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Beklagten über Jahre in erheblichem Umfang am Gesellschaftsvermögen bereichert habe. Sie habe dabei mit ihrer bei der Beklagten in der Buchhaltung beschäftigten Mutter zusammengewirkt. Sie wollten daher auf der Grundlage ihrer Ermittlungen Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter geltend machen. Hierzu beauftragte die Beklagte die Klägerin mit ihrer Vertretung. Im Anschluss an dieses Gespräch übersandte die Beklagte der Klägerin am 30.12.2020 eine E-Mail mit einer Tabelle zu den von ihr behaupteten, zahlreichen Einzelforderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter.
Noch am 30.12.2020 beantragte die Klägerin auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen den Erlass von zwei Mahnbescheiden, und zwar gegen die Mitgesellschafterin i.H.v. rd. 1,36 Mio. € sowie gegen diese und deren Mutter als Gesamtschuldner i.H.v. rd. 1,12 Mio. €. Die Mahnbescheide wurden nachfolgend erlassen und zugestellt. Die Mitgesellschafterin und ihre Mutter legten jeweils Widerspruch ein. Eine Abgabe der Verfahren an das im Mahnbescheid benannte Gericht unterblieb. Anspruchsbegründungen erfolgten nicht. Mit E-Mail vom 16.2.2021 kündigte die Beklagte das der Klägerin erteilte Mandat und beauftragte einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
Der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten wusste von den Mahnbescheiden. Er erhob wegen der behaupteten Schadensersatzansprüche in dem von der Mitgesellschafterin anhängig gemachten Beschlussanfechtungsrechtsstreit ab dem 22.2.2021 sukzessiv erweiterte Widerklagen gegen diese und Drittwiderklagen gegen deren Mutter. Nachdem die Mitgesellschafterin und ihre Mutter eine anderweitige Rechtshängigkeit aufgrund der Mahnbescheide geltend gemacht hatten, nahm der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Mahnanträge am 13.4.2023 zurück. Auf Antrag der Mitgesellschafterin und deren Mutter erlegte das Mahngericht der Beklagten mit Beschlüssen vom 12.7. und 19.7.2023 die Kosten der Mahnverfahren auf.
Die Klägerin verlangt - soweit noch von Interesse - die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für die beiden Mahnverfahren i.H.v. insgesamt rd. 13.000 € von der Beklagten. Mit ihrer Widerklage und Drittwiderklage begehrt die Beklagte von der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten die Zahlung der von ihr in den beiden Mahnverfahren aufgewendeten Gerichtskosten sowie der an die Mitgesellschafterin und deren Mutter für deren anwaltliche Vertretung in diesen Verfahren erstatteten Rechtsanwaltsgebühren von in der Summe rd. 15.700 € als Schadensersatz.
Das LG gab der Klage statt und wies die Widerklage sowie die Drittwiderklage ab. Das OLG wies die Klage ab und gab Widerklage und Drittwiderklage statt. Auf die Revision der Klägerin und des Drittwiderbeklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Beklagte dem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht deshalb eine dolo-agit-Einrede entgegenhalten, weil die Klägerin einen nicht ausreichend individualisierten Mahnbescheidsantrag erhoben und die Beklagte über die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung durch einen Mahnbescheid nicht ausreichend aufgeklärt hat. Mit der Begründung des OLG kann ein Zurechnungszusammenhang zwischen einer unterstellten anwaltlichen Pflichtverletzung der Klägerin bei der Beratung der Beklagten und dem durch die Mahnanträge und die Rücknahme der Mahnanträge entstandenen Kostenschaden nicht bejaht werden.
Das OLG hat angenommen, die Klägerin habe pflichtgemäß von der Beantragung der beiden Mahnbescheide abraten müssen, weil die Rechtsverfolgung durch Mahnantrag aussichtslos gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche mit Blick auf eine wegen fehlender Informationen von Seiten der Beklagten nicht mögliche Individualisierung der einzelnen Forderungen nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Das OLG hat aber nicht festgestellt, dass Ansprüche der Beklagten gegen ihre Mitgesellschafterin und deren Mutter in der in den Mahnbescheiden geltend gemachten Höhe nicht bestehen, insbesondere nicht, dass diese Ansprüche zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich ganz oder teilweise verjährt waren. Für die revisionsgerichtliche Prüfung ist deshalb zugrunde zu legen, dass die Ansprüche bestehen und nicht verjährt sind. Auszugehen ist ferner davon, dass die Beklagte ihre angeblichen Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in voller Höhe gerichtlich durchsetzen wollte. Auf dieser Grundlage kann die Beklagte den behaupteten Kostenschaden nicht wegen der von dem OLG angenommenen Pflichtwidrigkeit von der Klägerin erstattet verlangen. Denn es fehlt an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der - unterstellt - verletzten Norm und den im Mahnverfahren entstandenen Kosten.
Nach den getroffenen Feststellungen ging es in dem Beratungsgespräch vom 22.12.2020 darum, eine - aus der Sicht ex ante eventuell - drohende Verjährung von Forderungen der Beklagten zu vermeiden und dieses Ziel durch die Beantragung der beiden Mahnbescheide und die damit verbundene Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO zu erreichen. Dieses Ziel bedingte die Notwendigkeit einer genügenden, nach der Annahme des OLG jedoch im Streitfall wegen des Fehlens hinreichender Informationen nicht möglichen und auch nicht erfolgten Individualisierung der mit den Mahnanträgen zu verfolgenden Forderungen i.S.v. § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sowie eine Aufklärung der Beklagten über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit gestellten Anforderungen. Der Zweck dieser anwaltlichen Beratungspflicht bestand mithin in der Abwehr von solchen Schäden des Mandanten, die aus der Verjährung seiner Forderung resultieren können, wenn insbesondere nämlich eine hinreichende Individualisierung pflichtwidrig unterbleibt und der Ablauf der Verjährungsfrist deshalb nicht gehemmt wird. Darum geht es im Streitfall mit Blick auf die Kosten des Mahnverfahrens jedoch nicht.
Die Belastung der Beklagten mit den Anwaltsgebühren für die Tätigkeit der Klägerin im Mahnverfahren sowie mit den Gerichtsgebühren und den Anwaltskosten der Gegenseite im Mahnverfahren steht mit der ggf. verletzten anwaltlichen Beratungspflicht nicht im Zusammenhang. Es handelt sich vielmehr um Kosten, die im Rahmen der von der Beklagten bis heute in vollem Umfang gewünschten Durchsetzung ihrer behaupteten und nach den (fehlenden) Feststellungen nicht verjährten Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter so oder so entstanden wären, insbesondere, weil sie auf die Kosten eines nachfolgenden Klageverfahrens anzurechnen sind. Die Beantragung der Mahnbescheide hat keine Mehrkosten gegenüber einer Klage verursacht. Ebensowenig genügen die Feststellungen des Berufungsgerichts, um eine Kostenhaftung der Klägerin deshalb zu bejahen, weil die erlassenen Mahnbescheide für die Beklagte von vornherein nutzlos gewesen sind oder die mit den Mahnbescheiden beabsichtigte Rechtsverfolgung ganz oder teilweise ohne Aussicht auf Erfolg gewesen ist. Dass die Mahnbescheide - wie das OLG annimmt - nicht geeignet waren, die Verjährung der mit den Mahnbescheiden verfolgten Ansprüche zu hemmen, ist für sich genommen kein ausreichender Grund für eine Haftung auf den Kostenschaden.
Die Kostentragung der Beklagten im Mahnverfahren beruht vielmehr allein auf ihrer Entscheidung, der Klägerin das Mandat zu entziehen, ihren neuen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, die in Frage stehenden Forderungen im Wege der Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit statt im Wege der Beantragung des streitigen Verfahrens und einer nachfolgenden Anspruchsbegründung (§ 696 Abs. 1, § 697 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) geltend zu machen und sodann die Mahnanträge zurückzunehmen. Dieser Schaden beruht weder auf der unzureichenden Individualisierung der Mahnanträge noch auf einer Verjährung von Ansprüchen. Die Gefahr, die in der Beantragung von nicht genügend individualisierten Mahnanträgen liegt, die mögliche Verjährung von Forderungen wegen unterbliebener Hemmung der Verjährungsfrist, hat sich mithin nicht verwirklicht. Da es bereits am notwendigen Zurechnungszusammenhang fehlt, kommt es nicht darauf an, ob die Erhebung der Widerklagen im Beschlussanfechtungsstreit und die spätere Rücknahme der Mahnanträge durch den neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt haben.
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