Arbeitnehmerüberlassungsverträge mit ausländischem Vertragsstatut - Werk- oder Dienstvertrag?
KG Berlin v. 15.2.2022 - 21 U 1116/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein in Polen ansässiges Bauunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft des polnischen Rechts. Die Beklagte ist ein in Deutschland ansässiges Bauunternehmen. Sie war im Jahr 2018 mit der Installierung einer Heizungsanlage sowie der Verlegung von Abwasserleitungen auf dem Bauvorhaben G. beauftragt. Am 17.2.2018 hatten die Parteien einen Vertrag in polnischer Sprache abgeschlossen. Darin wurde die Klägerin beauftragt, auf dieser Baustelle mit allen erforderlichen Werkzeugen ausgestattete Mitarbeiter zu stellen, damit die Beklagte sie dort ab dem 19.2.2018 zur Ausführung der Installationsarbeiten einsetzen kann. Die Parteien vereinbarten eine Vergütung von 20 € pro Stunde und Mitarbeiter.
Vom 19.2.2018 bis zum 28.3.2018 waren Arbeiter der Klägerin auf der Baustelle für die Beklagte tätig. Die Klägerin stellte der Beklagten dafür sieben Rechnungen über insgesamt 55.580 € (Endbetrag ohne Umsatzsteuer) aus. Den Rechnungen waren Stundenzettel beigefügt. Dies entsprach einer Gesamtleistung von 2.779 Mannstunden. Die Beklagte leistete keine Zahlungen an die Klägerin.
Das LG hat der Klageforderung in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Klageanspruch ergebe sich aus § 611 BGB. Bei der Vereinbarung zwischen den Parteien handele es sich um einen Dienstvertrag, da sich die Klägerin verpflichtet habe, der Beklagten Arbeitskräfte für eine Baustelle zu überlassen. Die Klägerin habe den zeitlichen Umfang ihrer Dienstleistungen nachvollziehbar dargelegt, die Beklagte habe sich dagegen nicht in erheblicher Form verteidigt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das KG das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.
Die Gründe:
Das LG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von 50.480 € gegen die Beklagte hat. Insoweit ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Nur wegen des darüber hinausgehenden Betrages der Hauptforderung und Teilen der Zinsforderung hat besteht die vom LG zuerkannte Forderung nicht. Insoweit ist das Urteil des LG dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.
Auf den Vertrag zwischen den Parteien ist entgegen der Ansicht des LG gem. Art. 4 Abs. 1 b) Rom I Verordnung das polnische Recht anzuwenden. Aus dem Gutachten des Sachverständigen für polnisches Recht folgt, dass der Vertrag nach polnischem Recht als Auftragsvertrag über eine Dienstleistung (Art. 734, 750 poln. ZGB) anzusehen ist. Allerdings wäre der streitgegenständliche Vertrag gem. § 9 Nr. 1 AÜG wegen Verstoßes gegen § 1b S. 1 AÜG nichtig, sofern dieses deutsche Verbotsgesetz auf ihn anzuwenden ist. Obgleich der Vertrag zwischen den Parteien gem. Art. 4 Abs. 1 b) Rom I Verordnung dem polnischen Recht unterfällt, ist die in § 1b S. 1 AÜG enthaltene deutsche Verbotsnorm auf ihn anwendbar, da es sich bei ihr um eine Eingriffsnorm des Rechts des angerufenen deutschen Gerichts handelt, Art. 9 Abs. 2 Rom I Verordnung.
Eine inländische Bestimmung ist als Eingriffsnorm anzusehen, wenn sie einen bestimmten Sachverhalt ohne Rücksicht auf das Vertragsstatut und mit internationalem Geltungsanspruch regelt und dabei ein "überindividuelles" Ordnungsinteresse verfolgt, also eines, das über die Interessen der Vertragsparteien hinausgeht. Und § 1b S. 1 AÜG erfüllt diese Voraussetzungen. Der Vertrag zwischen den Parteien ist von dem Verbotstatbestand des § 1b S. 1 AÜG erfasst, denn er ist auf Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte, also in einen Betrieb des Baugewerbes gerichtet. Die Klägerin hat sich nicht zu einer Werkleistung verpflichtet, sondern nur zu der Dienstleistung, der Beklagten nach Maßgabe des Vertrages Arbeitskräfte zu überlassen, damit die Beklagte sie zur Erstellung eines Werks einsetzen kann. Und genau das ist Arbeitnehmerüberlassung. Dass das Verbot gem. § 1b S. 2 oder S. 3 AÜG ausnahmsweise nicht zur Anwendung käme, ergibt sich aus dem Parteivorbringen nicht. Folglich wäre der streitgegenständliche Vertrag gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam.
Allerdings könnte es sein, dass die Klägerin durch diese Rechtsfolge in ihrer durch Art. 56 AEUV geschützten Dienstleistungsfreiheit verletzt wird. Dann stünde der Vorrang des europäischen Primärrechts einer Anwendung von § 1b S. 1 AÜG entgegen. Der Senat muss die Frage, ob § 1b S. 1 AÜG europäisches Recht verletzt, allerdings nicht durch Vorlage an den EuGH klären, da sie im vorliegenden Fall keine Auswirkungen auf den Rechtsstreit hat.
Verstößt § 1b S. 1 AÜG gegen europäisches Primärrecht, dürfte der Senat die Vorschrift nicht auf den Fall anwenden, es bliebe bei dem vertraglichen Anspruch der Klägerin über 50.480 € aus Art. 744 poln. ZGB. Verstößt § 1b S. 1 AÜG nicht gegen europäisches Primärrecht, müsste der Senat die Norm zwar wie dargelegt auf den Vertrag anwenden, sodass dieser gem. § 9 Nr. 1 AÜG bzw. Art. 58 § 1 poln. ZGB nichtig wäre. Die Klägerin hätte dann aber ebenfalls einen Anspruch i.H.v. 50.480 € gegen die Beklagte, nur dass sich dieser dann aus Art. 410 poln. ZGB, der Leistungskondiktion des polnischen Zivilrechts, ergäbe.
Die Frage, ob und in welchem Umfang solche Bereicherungsansprüche der Klägerin wegen rechtsgrundlos erbrachter Leistungen bestehen, richtet sich ebenfalls nach dem Vertragsstatut, also ebenfalls nach dem polnischen Recht, Art. 38 Abs. 1 EGBGB. Da die Arbeitsleistungen, die die Beklagte dann ohne rechtliche Grundlage erhalten hätte, nicht mehr in Natur zurückgegeben werden kann, hätte die Beklagte den Wert dieser Arbeitsleistungen zu erstatten. Nach Aussage des Sachverständigen richtet sich dieser Wert im polnischen Recht nach dem Marktwert des erlangten Vorteils. Da die Parteien in ihrem Vertrag die Vergütung der Arbeitnehmerüberlassung frei mit 20 € pro Stunde vereinbart hatten, kann dieser Wert nach Meinung des Senats auch zur Bestimmung des Marktwerts herangezogen werden. Da für den zeitlichen Umfang der wertmäßig zu erstattenden Arbeitsleistungen die Ausführungen unter 1.b) bb) entsprechend gelten, beliefe sich der Anspruch aus Art. 410 poln. ZGB somit ebenfalls auf 50.480 €.
Was die Höhe der Leistungskondiktion anbelangt ist die Rechtslage im polnischen Recht somit anders als im deutschen Recht, worauf der Senat die Parteien ausdrücklich hingewiesen hat. Damit kann die Frage, ob § 1b S. 1 AÜG gegen Europarecht verstößt, dahinstehen.
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Das LG hat der Klageforderung in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Klageanspruch ergebe sich aus § 611 BGB. Bei der Vereinbarung zwischen den Parteien handele es sich um einen Dienstvertrag, da sich die Klägerin verpflichtet habe, der Beklagten Arbeitskräfte für eine Baustelle zu überlassen. Die Klägerin habe den zeitlichen Umfang ihrer Dienstleistungen nachvollziehbar dargelegt, die Beklagte habe sich dagegen nicht in erheblicher Form verteidigt.
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Auf den Vertrag zwischen den Parteien ist entgegen der Ansicht des LG gem. Art. 4 Abs. 1 b) Rom I Verordnung das polnische Recht anzuwenden. Aus dem Gutachten des Sachverständigen für polnisches Recht folgt, dass der Vertrag nach polnischem Recht als Auftragsvertrag über eine Dienstleistung (Art. 734, 750 poln. ZGB) anzusehen ist. Allerdings wäre der streitgegenständliche Vertrag gem. § 9 Nr. 1 AÜG wegen Verstoßes gegen § 1b S. 1 AÜG nichtig, sofern dieses deutsche Verbotsgesetz auf ihn anzuwenden ist. Obgleich der Vertrag zwischen den Parteien gem. Art. 4 Abs. 1 b) Rom I Verordnung dem polnischen Recht unterfällt, ist die in § 1b S. 1 AÜG enthaltene deutsche Verbotsnorm auf ihn anwendbar, da es sich bei ihr um eine Eingriffsnorm des Rechts des angerufenen deutschen Gerichts handelt, Art. 9 Abs. 2 Rom I Verordnung.
Eine inländische Bestimmung ist als Eingriffsnorm anzusehen, wenn sie einen bestimmten Sachverhalt ohne Rücksicht auf das Vertragsstatut und mit internationalem Geltungsanspruch regelt und dabei ein "überindividuelles" Ordnungsinteresse verfolgt, also eines, das über die Interessen der Vertragsparteien hinausgeht. Und § 1b S. 1 AÜG erfüllt diese Voraussetzungen. Der Vertrag zwischen den Parteien ist von dem Verbotstatbestand des § 1b S. 1 AÜG erfasst, denn er ist auf Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte, also in einen Betrieb des Baugewerbes gerichtet. Die Klägerin hat sich nicht zu einer Werkleistung verpflichtet, sondern nur zu der Dienstleistung, der Beklagten nach Maßgabe des Vertrages Arbeitskräfte zu überlassen, damit die Beklagte sie zur Erstellung eines Werks einsetzen kann. Und genau das ist Arbeitnehmerüberlassung. Dass das Verbot gem. § 1b S. 2 oder S. 3 AÜG ausnahmsweise nicht zur Anwendung käme, ergibt sich aus dem Parteivorbringen nicht. Folglich wäre der streitgegenständliche Vertrag gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam.
Allerdings könnte es sein, dass die Klägerin durch diese Rechtsfolge in ihrer durch Art. 56 AEUV geschützten Dienstleistungsfreiheit verletzt wird. Dann stünde der Vorrang des europäischen Primärrechts einer Anwendung von § 1b S. 1 AÜG entgegen. Der Senat muss die Frage, ob § 1b S. 1 AÜG europäisches Recht verletzt, allerdings nicht durch Vorlage an den EuGH klären, da sie im vorliegenden Fall keine Auswirkungen auf den Rechtsstreit hat.
Verstößt § 1b S. 1 AÜG gegen europäisches Primärrecht, dürfte der Senat die Vorschrift nicht auf den Fall anwenden, es bliebe bei dem vertraglichen Anspruch der Klägerin über 50.480 € aus Art. 744 poln. ZGB. Verstößt § 1b S. 1 AÜG nicht gegen europäisches Primärrecht, müsste der Senat die Norm zwar wie dargelegt auf den Vertrag anwenden, sodass dieser gem. § 9 Nr. 1 AÜG bzw. Art. 58 § 1 poln. ZGB nichtig wäre. Die Klägerin hätte dann aber ebenfalls einen Anspruch i.H.v. 50.480 € gegen die Beklagte, nur dass sich dieser dann aus Art. 410 poln. ZGB, der Leistungskondiktion des polnischen Zivilrechts, ergäbe.
Die Frage, ob und in welchem Umfang solche Bereicherungsansprüche der Klägerin wegen rechtsgrundlos erbrachter Leistungen bestehen, richtet sich ebenfalls nach dem Vertragsstatut, also ebenfalls nach dem polnischen Recht, Art. 38 Abs. 1 EGBGB. Da die Arbeitsleistungen, die die Beklagte dann ohne rechtliche Grundlage erhalten hätte, nicht mehr in Natur zurückgegeben werden kann, hätte die Beklagte den Wert dieser Arbeitsleistungen zu erstatten. Nach Aussage des Sachverständigen richtet sich dieser Wert im polnischen Recht nach dem Marktwert des erlangten Vorteils. Da die Parteien in ihrem Vertrag die Vergütung der Arbeitnehmerüberlassung frei mit 20 € pro Stunde vereinbart hatten, kann dieser Wert nach Meinung des Senats auch zur Bestimmung des Marktwerts herangezogen werden. Da für den zeitlichen Umfang der wertmäßig zu erstattenden Arbeitsleistungen die Ausführungen unter 1.b) bb) entsprechend gelten, beliefe sich der Anspruch aus Art. 410 poln. ZGB somit ebenfalls auf 50.480 €.
Was die Höhe der Leistungskondiktion anbelangt ist die Rechtslage im polnischen Recht somit anders als im deutschen Recht, worauf der Senat die Parteien ausdrücklich hingewiesen hat. Damit kann die Frage, ob § 1b S. 1 AÜG gegen Europarecht verstößt, dahinstehen.
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