30.06.2025

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein kann Nichterscheinen zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft i.S.v. § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entschuldigen

Ein aussagekräftiges ärztliches Attest über eine ernsthafte Erkrankung, die die Transport- oder Vernehmungsunfähigkeit des Schuldners nachweist, kann sein Nichterscheinen zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft i.S.v. § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO entschuldigen; die bloße Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne konkrete Diagnose reicht für eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht aus.

BGH v. 10.4.2025 - I ZB 59/24
Der Sachverhalt:
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung. Der sich zum damaligen Zeitpunkt in Singapur aufhaltende Vorstand der Schuldnerin ist zum vom Gerichtsvollzieher auf den 7.11.2023 angesetzten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erschienen, nachdem die Schuldnerin sein Nichterscheinen angekündigt und dies mit einem "Medical Certificate" vom 6.11.2023 entschuldigt hatte. Darin hieß es:

"Unfit for Duty for 3 days
from 06. Nov. 2023 to 08 Nov. 2023 inclusive.
Remarks: Dizziness."

Das AG erließ am 10.1.2024 antragsgemäß einen Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft. Das LG wies die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Haftbefehl des AG zurück und führte zur Begründung aus, das beigebrachte ärztliche Attest und eine außerdem eingereichte E-Mail des Vorstands mit einer Einordnung seiner gesundheitlichen Beschwerden genügten den Anforderungen an eine hinreichende Entschuldigung des Nichterscheinens bei dem vom Gerichtsvollzieher angeordneten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht. Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des LG, das von der Schuldnerin eingereichte "Medical Certificate" vom 6.11.2023 und die außerdem eingereichte E-Mail ihres Vorstands genügten den Anforderungen an eine hinreichende Entschuldigung des Fernbleibens des Vorstands im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht. Gem. § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO erlässt das Gericht auf Antrag des Gläubigers gegen den Schuldner, der dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleibt oder die Abgabe der Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO ohne Grund verweigert, zur Erzwingung der Abgabe einen Haftbefehl. Ein aussagekräftiges ärztliches Attest über eine ernsthafte Erkrankung, die die Transport- oder Vernehmungsunfähigkeit des Schuldners nachweist, kann das Nichterscheinen rechtfertigen; die bloße Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne konkrete Diagnose reicht für eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht aus.

Von diesen Grundsätzen ist das LG zutreffend ausgegangen. Es hat angenommen, das "Medical Certificate" vom 6.11.2023 genüge diesen Anforderungen nicht. Das Attest enthalte eine in jeder Hinsicht unspezifische Diagnose. Der dort verwendete Begriff "dizziness" umfasse einen breiten Kanon mehr oder weniger gesundheitlich relevanter Zustände einschließlich bloßer Schwindelgefühle, welche diverse Schweregerade erreichen könnten, die sich wiederum unterschiedlich auf die Fähigkeit auswirken könnten, eine Vermögensauskunft abzugeben oder zum Termin zu ihrer Abgabe anzureisen. Hinzu komme, dass der Begriff "unfit for duty" gänzlich unspezifisch sei und keinen hinreichenden Bezug zu der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Termins zur Abgabe einer Vermögensauskunft oder der Fähigkeit zur Anreise mit dem Flugzeug aufweise. Soweit der Vorstand der Schuldnerin in einer E-Mail von "starken Schwindelanfällen" berichtet habe, handele es sich schon nicht um ein ärztliches Attest, sondern um eine unzureichende bloße Selbsteinordnung. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.

Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch mit Erfolg eine rechtswidrige Verfahrensführung des vorliegend tätig gewordenen Gerichtsvollziehers. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der mit dem Vollstreckungsverfahren befasste Gerichtsvollzieher habe die Akten gemäß dem zuvor von der Gläubigerin gestellten Haftbefehlsantrag mit der Feststellung, die Schuldnerin sei zum Termin zur Vermögensauskunft unentschuldigt nicht erschienen, an das Vollstreckungsgericht weitergeleitet, obwohl er vor dem anberaumten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft von einem den Anforderungen an eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht entsprechenden ärztlichen Attest Kenntnis erlangt und der Schuldnerin dennoch auf deren Nachfrage versichert habe, aus seiner Sicht bedürfe es für eine hinreichende Entschuldigung keiner weiteren Unterlagen, keiner Übersetzung, keiner eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit der Angaben und auch keiner weiteren Erläuterungen. Ausgehend davon beruht der angegriffene Haftbefehl auf einem durchgreifenden Verfahrensfehler.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
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Kommentierung | ZPO
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